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Wie ist das alles zu erklären? Woody Allen – hier mit Mia Farrow in „Hannah und ihre Schwestern“ – versucht es in seiner Autobiografie.

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Bild aus glücklichen Tagen: Woody Allen und Mia Farrow mit zweien ihrer (Adoptiv-)Kinder.

Veröffentlichung
27.03.2020

Woody Allens Plädoyer in eigener Sache

Von Stefan Dosch

Die Autobiografie des Filmemachers ist erschienen. Natürlich geht es darin um sein Leben, seine Filme – ausführlich aber auch um die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn.

Woody Allen bittet um Nachsicht. Ganz am Ende seiner Lebenserinnerungen, auf Seite 439, schreibt er: „Ich bedaure, dass ich so viel Raum auf die falschen Anschuldigungen gegen mich verwenden musste.“ Tatsächlich, wer gedacht hatte, der Filmemacher würde sich in seiner Autobiografie mit ein paar dürren Worten am Vorwurf des sexuellen Missbrauchs, unter dem er steht, vorbeischlängeln, der sieht sich nun, da das Buch auch auf Deutsch vorliegt, getäuscht. Die Vorwürfe seiner Adoptivtochter Dylan und der voraufgegangene Sorgerechtsstreit mit seiner Ex-Partnerin Mia Farrow nehmen einen erheblichen Platz in den 450 Seiten starken Memoiren ein. Raum, den der hochproduktive Autor und Regisseur – inzwischen hat er über 50 Filme abgedreht – locker auch mit weniger brisantem Material hätte füllen können.

Um die Veröffentlichung von Allens Autobiografie hatte es im Vorfeld einige Aufregung gegeben. Im Gefolge der #MeToo-Debatte, die stark vorangetrieben wurde von den Harvey-Weinstein-Recherchen des Journalisten Ronan Farrow, des vermutlich leiblichen Sohns von Allen mit Mia Farrow (die allerdings behauptet, Frank Sinatra sei der Vater) – im Zuge dieser Missbrauchs-Empörung gelang es dem Regisseur in den USA zunächst nicht, seine Lebenserinnerungen bei einem Verlag unterzubringen. Zu toxisch, sorgte sich die Buchbranche. Dann aber wagte der US-Verlag Hachette doch noch, eine Veröffentlichung anzukündigen, was einen Protest von Teilen der Mitarbeiter und auch einigen Verlagsautoren nach sich zog, darunter wiederum Ronan Farrow, der in der Missbrauchsdebatte um seinen (eventuellen) Vater entschieden auf der Seite seiner Mutter und deren Adoptivtochter Dylan steht. Hachette knickte ein und zog zurück. Nun ist in dieser Woche Allens Autobiografie beim Verlag Arcade in den USA erschienen.

Der Ton ist typisch Woody Allen

In Deutschland ist es der Rowohlt Verlag, der sich die Rechte gesichert hat. Auch hier geißelten einige Autoren des Hauses die Publikation in einem offenen Brief, doch der Verlag blieb bei seiner ursprünglichen Absicht. Und so erscheint nun Woody Allens Autobiografie an diesem Samstag unter dem Titel „Ganz nebenbei“.

„Ganz nebenbei“, das schlägt sogleich den typischen Woody-Allen-Ton an, voller flapsig-ironischer Distanz auch noch in widrigsten Lagen. Tatsächlich beginnt das Buch erst einmal locker mit einer langen Rückblende in Woodys frühen und frühesten Tage. Der Vater zum Beispiel wird eingeführt als Matrose im Ersten Weltkrieg, dessen „Kahn“ von den Deutschen getroffen wurde, aber „Dad“ als lediglich einer von dreien vermochte „es mit dem Atlantik aufzunehmen“. – „Um ein Haar wäre ich also nie geboren worden.“ Da ist er wieder, dieser typische Erzählstil, wie man ihn aus Allens Filmen kennt. Zweihundert Seiten geht es so durch Allens Jugend und seine Anfänge als Stand-up-Comedian, durch die 30er, 40er und 50er Jahre im jüdischen Milieu von Brooklyn, dessen Atmosphäre – auch das kennt man von der Leinwand – Allen ungemein sinnenhaft einzufangen vermag.

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Bild aus glücklichen Tagen: Woody Allen und Mia Farrow mit zweien ihrer (Adoptiv-)Kinder.

Doch dann, die Chronologie ist inzwischen in den 80ern angekommen und Allen längst ein erfolgreicher Regisseur, „hatte ich … eine neue Hauptdarstellerin: Mia Farrow“. Erzählt wird ausführlich beider Annäherung, und Allen findet zunächst eine ganze Reihe von charmanten Worten für die als „umwerfend schön“ empfundene Frau. Etwa wenn er die Szene schildert, wie sie ihm in einem chinesischen Restaurant vorschlägt zu heiraten, „und ich dachte, vielleicht hat sie ihre Kontaktlinsen nicht drin und verwechselt mich mit jemand anderem“. Bald aber ändert sich der Ton, wenn Allen auf Farrows Herkunftsfamilie zu sprechen kommt („eine Galerie extrem bedenklicher Verhaltensauffälligkeiten“), um daraus zu bilanzieren: auch „sie [Mia] war nicht unbeschadet“.

Was folgt, ist die Schilderung der Entfremdung des Paars, das mit mehreren vornehmlich adoptierten Kindern als Patchworkfamilie in getrennten Wohnungen zusammenlebt. Damals hatten sich Woody und die bereits erwachsene Adoptivtochter Soon-Yi einander angenähert, und Mia entdeckt eines Tages Nacktfotos, die der Regisseur von Soon-Yi gemacht hat. Sie kappt die Beziehung: „Ich kann ihre Bestürzung und Wut nachvollziehen“, schreibt er.

Als das Kind in der Luft baumelte

Mia Farrow will das alleinige Sorgerecht für die Kinder gerichtlich erwirken und in diesem Zusammenhang erhebt sie 1992 den Vorwurf, Allen habe die siebenjährige Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht. Im Buch schildert Allen die Szene detailliert als harmlosen Körperkontakt, wie er zwischen Vätern und ihren Töchtern im Bereich des Normalen liege. Mia hingegen unterstellt er, im Rahmen ihres „Rachefeldzugs“ das Kind instrumentalisiert zu haben. Kronzeuge ist ihm dabei der gemeinsame Adoptivsohn Moses, der im Streit seiner Eltern sich inzwischen auf die Seite des Vaters geschlagen hat und aus seiner und Dylans Kindheit von einer „Gehirnwäsche“ spricht, die Mia Farrow an ihren kleinen Kindern vorgenommen habe. Auch Soon-Yi, nun schon seit über 20 Jahren Woodys Ehefrau, wird ausführlich mit Erinnerungen zitiert, um Mia als dominante und manipulative Mutter zu beschreiben. Sie, Soon-Yi, sei als Kind bei ausbleibenden Lernerfolgen von ihrer Adoptivmutter an den Beinen gepackt und kopfüber in der Luft hängen gelassen worden unter der Androhung, ins Irrenhaus gesperrt zu werden, wenn sie nicht schneller lerne.

Beim Sorgerecht für die gemeinsam adoptierten Kinder zog Allen einst zwar den Kürzeren, doch legt er Wert darauf, dass wegen des Vorwurfs des sexuellen Kindesmissbrauchs nie ein Prozess eröffnet worden sei. Umso mehr beklagt er die seither bestehende öffentliche Stimmung gegen ihn. Die Gier von Medien, ihm etwas anzuhängen, nennt er ein „Martyrium“.

Dennoch sind diese Passagen ohne Larmoyanz geschrieben, und auch wenn er gegen Mia Farrow manchen Pfeil abschießt, um aus seiner Sicht eine Erklärung für ihr Vorgehen in dem Sorgerechtsstreit zu geben, so tut Allen das doch ohne Schaum vor dem Mund. Über die Tochter Dylan, die auch heute als inzwischen erwachsene Frau am Vorwurf des Missbrauchs festhält, verliert er kein schlechtes Wort. Und über die ein oder andere Folge des in den USA breit diskutierten Falls ist ihm dann schon wieder zum Witzeln zumute.

Woody Allen hat mit seiner Autobiografie ein unaufgeregtes Plädoyer in eigener Sache geschrieben. Wahrscheinlich das Sinnvollste, was er tun konnte in einer Situation, in der Aussage gegen Aussage steht.

  • Woody Allen: Ganz nebenbei. Rowohlt, 448 S., 25 €
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