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Island 2011 Gast der Buchmesse: Wir waren allein auf der Welt

Island 2011 Gast der Buchmesse

Wir waren allein auf der Welt

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    Die Natur als ein geöffnetes Buch – welch ein schönes Plakat der Buchmesse Frankfurt für die diesjährigen Veranstaltungen zu Ehren der Gastnation Island!
    Die Natur als ein geöffnetes Buch – welch ein schönes Plakat der Buchmesse Frankfurt für die diesjährigen Veranstaltungen zu Ehren der Gastnation Island! Foto: Buchmesse

    Sie ist eine der erfolgreichsten isländischen Autorinnen und bringt mit „Der gute Liebhaber“ zur Frankfurter Buchmesse ein neues Buch auf den Markt, das auch von ihrer ambivalenten Beziehung zur Heimat erzählt.

    Es ist ein glücklicher Zufall, dass wir uns hier treffen können, in Reykjavík: Die 61-jährige Steinunn Sigurdadóttir lebt schon längst nicht mehr auf Island. Nach Jahren in Frankreich hat es sie nach Berlin verschlagen, dahin, wo sie „alles findet, was ein Schriftsteller braucht“. Jetzt ist sie nur nach Reykjavík gekommen, um sich um ihr Haus, das sie an Touristen vermietet, zu kümmern und um einen Blick auf den Bauernhof der Großeltern bei Kirkjubaejarklaustur zu werfen, wo sie als Kind glückliche Zeiten erlebt hat und wo ihr „Herzort“ ist.

    Steinunn liebt ihre Insel, daraus macht sie kein Hehl. Sie liebt die Lava- und die Gletscherlandschaft, das „außerirdische Grün“, die ungestüme Natur. Aber für immer dort leben könnte sie nicht. „Ich hätte meine Bücher nicht geschrieben, wenn ich immer hier gelebt hätte“, sagt sie nachdenklich. „Die Freiheit im Kopf hätte mir gefehlt.“

    Während sie fort war, hat sich Island ins Technologiezeitalter katapultiert. „Wir kommen hierher zurück und finden unsere Wege nicht mehr“, gesteht die Weitgereiste. „Reykjavík hat nichts mit der Stadt zu tun, in der ich aufgewachsen bin. Die Welt war bei uns, aber wir konnten nicht in die Welt hinaus.“

    Da geht es der Tochter von Steinunn Sigurdadóttir anders. Sie war schon fünfjährig mit der Mutter in Barcelona, „von Anfang an ein Weltmädchen, ich war ein Landmädchen“. Seit 1995 ist Steinunn Sigurdadóttir, die ihr Studium in Dublin abgeschlossen hat, „nur noch als Reisende“ in ihrer Heimat gewesen. Sie betrachtet das, was dort geschieht, mit kritischen Augen.

    Jeder ist mit jedem verwandt

    „Island ist ein kompliziertes Land“, versucht sie zu erklären. Die Familienstammbäume, die fast jeder Isländer bis auf die ersten Siedler zurückführen kann, würden kreuz und quer verlaufen. Über irgendwelche Ecken ist jeder mit jedem verwandt. Und Steinunn Sigurdadóttir ärgert sich über die Mentalität ihrer Landsleute, kritische Aspekte im Land totzuschweigen. Das gilt auch für die Umweltzerstörung.

    Erst der Schriftsteller Andri Snær Magnason hatte es gewagt, den Isländern mit seinem Buch „Traumland“ den Spiegel vorzuhalten, zu zeigen, wohin das „immer weiter, immer mehr“ führt – zur Selbstverstümmelung: Stein des Anstoßes war der Kárahnjúkar-Staudamm im Osten Islands. In dem 60 Quadratkilometer großen Stausee, der die Energie für die Aluminiumverhüttung liefert, versanken 20 Wasserfälle und Herden von Rentieren. Ganze Berge wurden weggesprengt – eine Welt ging unter. Auch die Sängerin Björk schloss sich damals der grünen Protestbewegung an, die gegen den Ausverkauf der unberührten Naturschönheiten Islands an die Aluminiumkonzerne protestierte. „Und wenn die neuen Pläne der Konzerne durchkommen, werden fast alle Wasserfälle Islands zu Dämmen – so viel Energie brauchen diese Schmelzen“, warnt weiterhin Magnason.

    Bei solchen Aussichten wird Steinunn angst und bange. „Es sieht so aus, als hassten die Isländer ihr Land“, wundert sie sich – und erzählt von den Menschen, die weggingen wie der „gute Liebhaber“ in ihrem neuen Roman.

    Die raue Welt der Fjorde und Vulkane findet ihre literarischen Wurzeln in den Island-Sagas aus dem frühen Mittelalter. Sie erzählen von der Eroberung der Insel, von kämpferischen Bauern, Blutrache und einem Leben am Abgrund. Weil die isländische Sprache sich kaum verändert hat, können die Isländer ihre Sagas sogar im Original lesen, und sie tun das mit scheinbar nicht nachlassender Begeisterung. „Ohne die Sagas wäre Islands Literatur nicht denkbar“, sagt Steinunn Sigurdadóttir. „Unser Leben ist durchflutet davon. Sie wirken selbst bei denen, die sie womöglich nicht einmal gelesen haben. Diese Helden sind so cool wie die Gangster in den Filmen Tarantinos“, begeistert sich die Schriftstellerin. Die Sagas sind jung geblieben, weil sie in den Bauernhöfen gelesen wurden, immer und immer wieder, bis die Gestalten lebendig wurden.

    Die originalen Handschriften reisen nach Frankfurt

    Anlässlich der Frankfurter Buchmesse verlassen nun originale Handschriften der Sagas erstmals Island. Sie bestehen aus Kalbshaut, sind mit Initialen und Zeichnungen versehen und werden innerhalb einer Kunst-Installation bei der Ausstellung „Gabriela Fridriksdóttir“ vom 29. September bis 8. Januar 2012 in der Frankfurter Schirn zu sehen sein.

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