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Vom Rebellen zum Mystiker: Arvo Pärt wird 75

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Vom Rebellen zum Mystiker: Arvo Pärt wird 75

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    Vom Rebellen zum Mystiker: Arvo Pärt wird 75
    Vom Rebellen zum Mystiker: Arvo Pärt wird 75 Foto: DPA

    Schließlich fand er einen ganz persönlichen Stil - und das Ideal der Einfachheit. Am 11. September wird er 75. Pärt selbst sagte einmal: "Stille ist immer vollkommener als Musik. Man muss lernen, ihr zuzuhören." Fast seltsam, dass seine meist religiöse Musik dem Komponisten weltweite Beliebtheit bescherte. Als er 2008 den Léonie-Sonning-Musikpreis erhielt, wurde er in eine Reihe mit Komponisten wie Igor Strawinsky und Benjamin Britten gestellt.

    Arvo Pärt entzieht sich jeder Einordnung. Gerne romantisch verklärt als komponierender Mönch, doch sich selbst beschreibend als "kein Prophet, kein Kardinal, kein Mönch, nicht einmal Vegetarier", setzt er sich von den Schulen und Moden der Neuen Musik radikal ab. Frei nach Verdis Forderung, man möge zum Alten zurückkehren, es werde ein Fortschritt sein, befasste er sich mit der Musik des 15. Jahrhunderts, erschloss sich die gregorianischen Gesänge und lernte nach seinen Frühwerken in Zwölftontechnik gleichsam das Komponieren neu.

    Von da an stand ihm die Welt offen: Für die Olympischen Winterspiele 2006 steuerte er als Uraufführung ein Stück aus ganz speziellem Stoff bei - "La Sindone", eine Orchesterkomposition auf das Turiner Grabtuch. Regisseure wie Jean-Luc Godard, Werner Herzog und Michael Moore verwendeten seine Musik für ihre Filme.

    Was macht diese Musik so unverwechselbar? "Ich habe entdeckt, dass es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich", sagte Pärt einmal. Sein Kompositionsstil, erarbeitet während einer mehrjährigen Auszeit nach 1968, beruht auf einem glockenähnlichen Dreiklang ("die drei Klänge eines Dreiklangs wirken glockenähnlich") und der Melodiestimme.

    Dieser Stil, den er "Tintinnabuli" (lateinisch für "Glöckchen") nannte, bestimmt seine Musik seit dem Klavierstück "Für Alina" (1976). Über "Tabula Rasa" (1977) heißt es im "American Record Guide", das Stück sei ein Versuch, "das 20. mit dem 15. Jahrhundert musikalisch zu verbinden und alles dazwischen zu ignorieren". Und damit setzte er sich durch; man kennt seine Melodien, die getragene Feierlichkeit und die ruhige, manchmal archaisch anmutende Klangwelt seiner Stücke.

    Pärt wurde 1935 in der estnischen Stadt Paide geboren und am Konservatorium von Tallin ausgebildet. Bis Ende der 1960er Jahre war er Tonmeister beim estnischen Rundfunk. Seine Kompositionen erregten die Kritik der sowjetischen Hardliner, vor allem das 1960 entstandene Orchesterwerk "Nekrolog", das erste serielle Werk in Estland. 1968 kam es zum Skandal: Sein "Credo" wurde verboten. Danach verstummte Pärt für Jahre, stürzte sich in das Studium der alten Musik.

    1980 nutzte der Sohn eines Kraftfahrers eine Gelegenheit, mit seiner Frau und den beiden Söhnen durch den Eisernen Vorhang zu schlüpfen. Er wurde österreichischer Staatsbürger und zog nach West- Berlin. Den Durchbruch schaffte er mit Plattenveröffentlichungen beim deutschen ECM-Label. Zu seinen Interpreten zählen Keith Jarrett und Gidon Kremer. Immer öfter äußerte er sich auch politisch: Alle Konzerte der Jahre 2006 und 2007 widmete er der ermordeten russischen Journalistin Anna Politkowskaja, die als Kritikerin der Kremlpolitik im Nordkaukasus galt, die Uraufführung seiner 4. Sinfonie dem inhaftierten Ex-Ölmanager Michail Chodorkowski.

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