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Ulm: "Terror" im Theater Ulm: Steht hier ein Mörder?

Ulm

"Terror" im Theater Ulm: Steht hier ein Mörder?

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    Major Koch (Jakob Egger, Mitte) ist angeklagt, weil er ein Flugzeug abgeschossen hat, um ein größeres Unglück zu verhindern. Mit im Bild: sein Verteidiger (Gunther Nickles, links) und der Richter (Fabian Gröver).
    Major Koch (Jakob Egger, Mitte) ist angeklagt, weil er ein Flugzeug abgeschossen hat, um ein größeres Unglück zu verhindern. Mit im Bild: sein Verteidiger (Gunther Nickles, links) und der Richter (Fabian Gröver). Foto: Kerstin Schomburg

    Das Licht bleibt an im Großen Haus. Denn das Theater Ulm ist an diesem Tag kein Theater, sondern ein Gerichtssaal, und die Zuschauer sind die Geschworenen, die am Ende über das Urteil in einem spektakulären Prozess entscheiden. Mehr als drei Jahre nach der Uraufführung ist Ferdinand von Schirachs Justizdrama „Terror“, das in den vergangenen Jahren meistgespielte Stück auf deutschen Bühnen, auch in Ulm zu sehen – in einer ästhetisch zurückhaltenden und auf Realismus bedachten Inszenierung der Münchnerin Sarah Kohrs, bei der vor allem das Schauspielensemble glänzt. Und doch polarisiert der Premierenabend.

    Das liegt allerdings nicht an der Vorlage. Von Schirach, früher selbst Strafverteidiger, wollte mit dem Stück nach eigenen Angaben die Zuschauer zum Diskutieren über die eigenen Werte bringen – angesichts der Bedrohung des (islamistischen) Terrorismus. Vor Gericht steht der Kampfpilot Lars Koch, der befehls- und gesetzeswidrig ein entführtes Passagierflugzeug abgeschossen hat. Er tötete dadurch 164 Unschuldige, rettete durch seine Tat aber – wahrscheinlich – 70000 andere. Denn der Terrorist wollte die Maschine in die voll besetzte Allianz-Arena lenken. Ist Major Koch ein Mörder? Darüber entscheiden die „Schöffen“ im Theater.

    Der Pilot wird in den meisten Fällen freigesprochen

    Ein durchaus reizvolles Theaterexperiment, das jedoch reichlich Angriffsfläche bietet, da es mit der Realität der deutschen Rechtsprechung wenig zu tun hat, allein schon, weil es – aus gutem Grund – keine mehrheitlich entscheidenden Laiengerichte gibt. Größer ist aber ein anderes Problem: „Terror“ erweckt den Eindruck, dass es auch in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik geboten ist, sich in bestimmten Situationen über geltendes Recht hinwegzusetzen – und über das Prinzip der Menschenwürde, das am Beginn des Grundgesetzes steht. Der Kampfpilot Koch wird in den allermeisten Fällen freigesprochen. Rund 63 Prozent der mehr als 500000 Zuschauer weltweit entschieden sich für „nicht schuldig“.

    Interessant ist „Terror“ auf der theatralen Ebene – weil die Prozess-Illusion nur dann funktioniert, wenn das Geschehen auf der Bühne möglichst realistisch und die Darsteller glaubhaft agieren. Und das gelingt dem Ulmer Ensemble hervorragend: Jakob Egger als prinzipientreuer Pilot ist ein Strebertyp, der keine Emotionen zeigt, Marie Luisa Kerkhoff als Witwe eines Abschussopfers berührt mit trauriger Gefasstheit. Die etwas fahrige Staatsanwältin Christel Mayr und der selbstdarstellerische Verteidiger Gunther Nickles schaffen es, mit ihren Plädoyers die Schöffen in ihren Bann zu ziehen, Fabian Gröver ist als resoluter Richter überzeugend wie immer. Beeindruckend auch, wie Stephan Clemens als Oberstleutnant im Zeugenstand militärische Korrektheit und Angespanntheit zusammenbringt. Sie alle agieren auf einer beeindruckenden Bühne (Ausstattung: Monika Gora): ein monumentaler Raum aus dunklem Holz, voller schiefer Ebenen, als drohe er auseinanderzubrechen. Ein starkes Bild für eine Welt, in der alte Gewissheiten ins Wanken geraten.

    Und das Urteil? Das geht auch in Ulm zugunsten des Kampfpiloten aus – mit 282 zu 255. Was in der Summe allerdings deutlich weniger Stimmen als Besucher gibt. Offenbar, so stellt sich nach dem Schlussapplaus heraus, haben sich einige Besucher bewusst um die für die Abstimmung gedachten Eingänge herumgeschlichen. Angst vor einer Entscheidung oder stiller Protest gegen das Experiment „Terror“? Noch eine Frage, die an diesem Theaterabend offenbleibt.

    19. und 24. Januar. Weitere Vorstellungen bis 23. März.

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