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Ulm: "La Cage aux Folles" im Theater Ulm: Famos im Fummel

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"La Cage aux Folles" im Theater Ulm: Famos im Fummel

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    Nennt man ihn künftig "die Hottgenroth"? Schauspieler Markus Hottgenroth zeigt als  Zaza eine brillante Vorstellung in "La Cage aux Folles". Das Musical läuft im Theater Ulm.
    Nennt man ihn künftig "die Hottgenroth"? Schauspieler Markus Hottgenroth zeigt als Zaza eine brillante Vorstellung in "La Cage aux Folles". Das Musical läuft im Theater Ulm. Foto: Kerstin Schomburg

    Travestie-Star sei der einzig emanzipierte Beruf, findet Zaza. "Man kann ganz Frau sein und bekommt das Gehalt eines Mannes." Lachen im Großen Haus des Theaters Ulm. Noch ein Witz: Ob das Publikum wisse, wie es im Schlafzimmer eine katholischen Pfarrers aussieht? "Das weiß doch jedes Kind!" Frösteln in den Sitzreihen. Wer vorher geglaubt hat, dass sich die Themen von Jerry Hermans 1983 uraufgeführter Broadway-Version von "La Cage aux Folles" ("Ein Käfig voller Narren") im Zeitalter der "Ehe für alle" erledigt haben, muss Abbitte leisten. Wenn er nicht schon vorher hingerissen war von dem, was das Theater Ulm aus diesem Bühnen-Dauerbrenner gemacht hat.

    Nach dem Riesenerfolg von "My Fair Lady" in der vergangenen Spielzeit (eine Wiederaufnahme für Juni 2020 ist geplant) wirbt das Theater Ulm auch dieses Jahr wieder mit einer großen Musical-Produktion um die Gunst des Publikums. Die Inszenierung hat Schauspieldirektor Jasper Brandis übernommen, es singt und spielt das Schauspielensemble, verstärkt um einige Sänger aus dem Opernchor, die Ballettcompagnie tanzt, im Graben arbeitet das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Levente Török. In Sachen Ausstattung wird auch geklotzt: Andreas Freichels hat auf die Theaterbühne eine glitzernde Showbühne gezaubert, Petra Mollérus ebenso glitzernde Kostüme entworfen.

    Der zukünftige Schwiegervater ist vom "Aktionsforum für Desexualisierung"

    "La Cage aux Folles", das auf einem französischen Stück aus dem Jahr 1973 beruht, spielt in Saint-Tropez. Dort betreibt Georges (Stephan Clemens) einen Nachtclub, in dem sein Lebensgefährte Albin (Markus Hottgenroth) als Drag-Queen Zaza der Star ist. Doch dann eröffnet Georges’ Sohn Jean-Michel (Rudi Grieser) – das Produkt eines Hetero-Ausrutschers – seinem Vater, dass er heiraten will. Und zwar Anne (Alexandra Ostapenko), die Tochter des erzkonservativen Edouard Dindon (Gunter Nickles) vom "Aktionsforum für Desexualisierung". Dem Politiker will Jean-Michel kein schwules Paar als Eltern präsentieren, sondern eine christliche Familie. Albin soll für einen Tag verschwinden, die leibliche Mutter anreisen. Klar, dass dieser Plan spektakulär scheitert.

    Der Reiz von "La Cage aux Folles" ist, dass es gleichzeitig als Komödie und als Show funktioniert. Und das liegt vor allem am großartigen Markus Hottgenroth, der als kapriziöser Albin mit Georges ein wirklich hinreißendes alterndes Paar abgibt – und als Zaza in Fummel und Federboa eine Wucht ist. Ob er vor dem Vorhang den Kapellmeister und seine "Puszta-Tanzkapelle" anflirtet oder zuerst verletzt, dann aber aus voller Brust "Ich bin, was ich bin" singt: Allein seine Darbietung ist den Besuch im Theater wert. Aber auch die kleineren Rollen sind toll besetzt. Tini Prüferts Verwandlung von der grauen Politikergattin zur Tanzmaus ist explosiv, Björn Ingmar Böske als "Zofe" Jacob lässt ahnen, wie "Dinner for One" in schwul aussehen würde. Dass nicht alle Schauspieler gesanglich mit Hottgenroth mithalten können, verzeiht man angesichts der liebevollen Details gerne.

    Tabus bricht "La Cage aux Folles" im Jahr 2019 nicht mehr, aber es steckt voller Klischees

    Natürlich: "La Cage aux Folles" wimmelt vor derben sexuellen Anspielungen und Homo-Klischees. Brach das Stück in den 70ern und 80ern noch moralische Tabus, läuft es in der Gegenwart eher Gefahr, Empfindlichkeiten zu berühren. Aber die Show-Illusion in Ulm ist so gut, dass man sich zeitweise eher in einem Nachtclub als im Theater wähnt. Die Tänzer, kostümiert als Geisha, Kleopatra oder Wiesn-Girl, bringen eine verruchte Stimmung auf die Bühne (Choreografie: Reiner Feistel) – die Lippenbewegungen zum Chorgesang von der Hinterbühne fallen allerdings arg ins Auge. Das Orchester, verstärkt unter anderem um ein Akkordeon, verbreitet sowohl französisches Flair als auch Broadway-Schwung. Fehlt eigentlich nur noch ein Glas Champagner in der Hand.

    Und doch hat diese bunte Show einen doppelten Boden. Denn die Dekadenz lauert weniger in der Travestie-Show als in den Institutionen der vermeintlichen Hüter der Moral. Als sich nach der Pause der Tunten-Tempel von Albin und Georges wegen des Spießerbesuchs in eine Sakristei verwandelt, wird aus dem Zuhause ein Ort des kalten Horrors. Und "Zaza" Hottgenroths (selbst geschriebene!) Priestergags sind noch herber, wenn man weiß, dass er vor der Theaterkarriere katholische Theologie studiert hat.

    Stürmischer Applaus und Bravo-Rufe am Schluss für Ensemble, Orchester und Inszenierungsteam.

    Wieder am 23. November sowie am 1., 5., 13., 26., 28. und 31. Dezember. Weitere Vorstellungen bis Ende März.

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