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Twitter-Buch: Die Marke Jan Böhmermann

Twitter-Buch

Die Marke Jan Böhmermann

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    Bald auch zurück im TV: Die neue Show von Jan Böhmermann wird im ZDF freitagabends nach der „heute-show“ zu sehen sein. „ZDF Magazin Royale“ startet nach Angaben des Senders am 6. November um 23 Uhr, die Sendedauer wird 30 Minuten sein.
    Bald auch zurück im TV: Die neue Show von Jan Böhmermann wird im ZDF freitagabends nach der „heute-show“ zu sehen sein. „ZDF Magazin Royale“ startet nach Angaben des Senders am 6. November um 23 Uhr, die Sendedauer wird 30 Minuten sein. Foto: Ben Knabe, ZDF, dpa

    Am Anfang steht nur dieses eine Wort: „Hunger“. Es ist der 16. Januar 2009, als damit ein leidlich durch Satiren auf Lukas Podolski und eine WDR-Show bekannter Komiker seine Präsenz im Kurznachrichtendienst Twitter beginnt. Heute, gute elf Jahre später, folgen ihm und seinen Textchen dort über 2,2 Millionen Menschen, mehr als allen deutschen Politikern und Medienmachern – und der Mann selbst ist eine Marke: Jan Böhmermann.

    25.800 Twitter-Textchen gieren nach Aufmerksamkeit

    Der mit dem „Neo Magazin Royale“, der mit dem gefakten Varoufakis-Stinkefinger, mit dem Erdogan-Schmähgedicht, der mit dem Deutsch-Rap-Satire-Hit „Ich hab Polizei“, der mit Olli Schulz und einem der erfolgreichsten deutschen Podcasts „Fest & Flauschig“, der mit all den Fernseh- und Grimmepreisen, der längst zu allen politischen Debatten twittert und auch zitiert wird … Böhmermann!

    Sein „Hunger“ – der war damals vielleicht wirklich konkret aufs Körperliche bezogen. Aber freilich hat sich der gebürtige Bremer damit auf jene öffentliche Plattform begeben, die unter den Digitalen schlechthin diejenige ist, die am meisten dem Verlangen nach Aufmerksamkeit gilt. Und als hätte es noch eines Nachweises bedurft, welche Bedeutung und vor allem auch welches Bedeutungsbewusstsein sich da bei ihm angehäuft hat im Laufe von 25800 Twitter-Textchen mit ihren je bis zu 280 Zeichen in all der Zeit – Tweets, Replys, Retweets: Jetzt hat der 39-Jährige alles das im Internet gelöscht, um eine Auswahl daraus als Buch zu veröffentlichen. Aus der unüberschaubaren Digitalflut also eine selbst kuratierte Verdichtung – gedruckt mit der Hoffnung auf Bestand und als Hinweis auf Substanz? Die Entstehung einer Marke mit Macht als Geschichte für die Ewigkeit?

    Der Verlag jedenfalls sieht in den gut 450 Seiten von „Gefolgt von niemandem, dem du folgst“ eine „umfangreiche Kulturgeschichte des vergangenen Jahrzehnts“. Und Böhmermann schreibt am 12. Dezember 2017 um 12.06 Uhr ja auch: „Twitter ist Literatur.“ Aber Böhmermann schreibt eben auch am 26. November 2016 um 13.05 Uhr: „Ich twittere nicht. Ich denke laut.“ Und erhält daraufhin auch glatt die Antwort (von @jneugebauer): „Das merkt man leider oft.“ Tatsächlich stimmt alles vier irgendwie.

    Von Helene-Fischer-Späßchen zur Kommentierung der Zeitläufte

    Als Erstes formt sich eine wenn auch sehr eigenwillige Chronik, weil Böhmermann mit zunehmender Verbreitung auch immer mehr von spitzen Späßchen („Gewagte Thesen, die wahrscheinlich wahr sind, Folge 1: Wer Helene Fischer hört, interessiert sich nicht für den NSU-Prozess“) zur Kommentierung der Zeitläufte übergeht. Zu Flüchtlingskrise und AfD-Aufstieg („Die unkontrollierte Grenzöffnung 1989 ist schuld am System Merkel“); zu islamistischen Terroranschlägen in Berlin wie international samt seiner „100 Fragen nach Paris“ („69: Halten wir zusammen?; 70: Wer ist ‚wir‘?“); zu Euro-Krise und Trump-Wahl, auch mal mit Liveticker zur Papstwahl: „Schon wieder ein Opa mit Rock! („ Bei Amazon ist das Buch übrigens auf Platz eins der Kategorie „Geschichte Allgemein“ und „Politik & Geschichte des 21. Jahrhunderts“ gelistet.

    Das ist vor allem lustig, wenn sich Böhmermann mit sogenannten Communitys duelliert, also um Stars oder Werte vereinte Gruppen piesackt, um damit im besten Sinne satirisch aufklärerisch zu wirken, gegen Xavier-Naidoo- und Felix-von-Laden-Fans etwa oder die Demonstranten in Dresden. Der Kippmoment hier ist allerdings die Debatte um seine Erdogan-Satire, in der Böhmermann nicht nur über fast einen ganzen Monat verstummt – sondern nach der er zudem noch engagierter, politischer zurückkehrt, weniger persönlich und dafür mit viel mehr Feinden und zugleich viel mehr Followern. Jan Böhmermann am 9. Juli 2016 um 13.08 Uhr: „Wenn ein Witz eine Staatskrise auslösen kann, ist das nicht das Problem des Witzes, sondern des Staates.“

    Beim Lesen kommt man Böhmermann näher

    Als Zweites erlebt man in dieser Verdichtung aber tatsächlich auch immer wieder durchaus kunstvolle Momente: „Realsatire ist keine Einbahnstraße“ – „Wenn keiner mehr über irgendwas lacht, ist endlich alles gut“ – „Wer sich nie bekennt, hat immer recht“ – „Ist der Name Claas Relotius denn wenigstens echt?“ – „Der Zufall hat kein Gedächtnis“ – „Mama, ich bin ein Meme“ – „Ich habe, wie ich es mir gewünscht hatte, Liebe, Gesundheit und Weltfrieden zu Weihnachten bekommen – hätte aber jetzt doch lieber die PS4“ – „Mein Nationalgefühl ist wie dieser hässliche kratzige Wollpulli, den Mama mir früher rausgelegt hat, mit der Bitte, ihn sofort anzuziehen“.

    Als Drittes kommt man dem Typen hinter der Marke mit zunehmender Lesezeit doch näher. Weil er sich bei aller Ironie ja in Haltungen und im Engagement etwa für Bürgerrechtsbewegungen und die Seenotrettung der Sea-Watch kenntlich und damit angreifbar macht. Und natürlich ist der teils bösartige Satiriker da einer, den nur Zyniker einen „Gutmenschen“ nennen würden, den ausgerechnet der Spiegel aber „Der Robert Habeck der linken Twitterblase nennt“.

    Zum Vierten aber zeigt sich im Ganzen dieser Veröffentlichung wie in einzelnen Tweets die unheimliche Haltung, die die Marke prägt, samt Mechanismen mit „Viel Feind, viel Ehr“ („Es stimmt, was alle sagen: Ab 480.000 Followern kommen die Arschlöcher“). Die Überlegenheit der Kunst des Jan Böhmermann ist es, sich allem gegenüber überlegen geben zu können. Und so gelingt es ihm, dass ihn wohl jeder im Lauf all der Seiten mal für ein Arschloch halten wird. Zum Beispiel am Tag des nach schwerem Leiden gestorbenen Künstlers zu twittern: „Was macht eigentlich Christoph Schlingensief?“ Und nach wütenden Reaktionen folgen zu lassen: „Ironie funktioniert nicht im Internet.“

    Das fällt zwar nicht in die Sphäre, die Böhmermann selbst schon vor dem Erdogan-Fall meinte, als er schrieb: „Dass jemand glaubt, der Witz als Form der Meinungsäußerung ließe sich in einer freiheitlichen Gesellschaft juristisch verhindern, macht mir Angst.“ Aber es ist schlicht wahnsinnig blöd und ätzend.

    Info: Jan Böhmermann: Gefolgt von niemandem, dem du folgst. Twitter-Tagebuch. 2009–2020. Kiepenheuer & Witsch, 464 S., 22

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