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Trauer um liberalen Weltbürger Dahrendorf

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Trauer um liberalen Weltbürger Dahrendorf

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    Trauer um liberalen Weltbürger Dahrendorf
    Trauer um liberalen Weltbürger Dahrendorf Foto: DPA

    Das bestätigte seine Sprecherin Birgit Hahn der Deutschen Presse-Agentur dpa. Sein umfangreiches und einflussreiches Wirken als unabhängiger und weitsichtiger Geist und als liberaler, großer Europäer wurde von vielen Politikern und Wissenschaftlern im In- und Ausland gewürdigt. Bundespräsident Horst Köhler schrieb, Dahrendorf habe das Gemeinwesen vorangebracht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte ihn als "großartigen Europäer". EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso nannte ihn einen Intellektuellen von Weltruf.

    Seinen Geburtstag am 1. Mai hatte Dahrendorf, von Krankheit schon gezeichnet, mit akademischen Freunden in Oxford verbracht. Bei seinem Tod war seine dritte Ehefrau, die Kölner Ärztin Christiane Dahrendorf, an seiner Seite. Wo die Beisetzung stattfinden wird, sei noch nicht entschieden, sagte Hahn. Dahrendorf machte sich schon in den 1960er Jahren als kritischer Gesellschaftswissenschaftler einen Namen. Später wurde er Direktor der renommierten London School of Economics (LSE) und 1993 Mitglied des britischen Oberhauses.

    Köhler schrieb nach Angaben des Bundespräsidialamtes in einem Kondolenzbrief an Dahrendorfs Witwe: "Mit seiner Freude an der Debatte, mit seiner Fairness im Streitgespräch und mit seinem klaren Blick für die Chancen und Gefahren der Freiheit hat er Generationen politisch denken gelehrt und unser Gemeinwesen vorangebracht."

    Merkel sagte in Brüssel: "Mit Ralf Dahrendorf verlieren wir einen der wichtigsten Vordenker und Intellektuellen." Er habe gezeigt, dass die gleichzeitige Arbeit in Wissenschaft und Politik möglich sei.

    EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte in Brüssel: "Durch seine aktiven Rollen als Politiker und Intellektueller von Weltruf kombinierte Lord Dahrendorf Exzellenz in Soziologie und Philosophie mit politischer Erfahrung und Überzeugung." Dahrendorfs politisches und intellektuelles Vermächtnis habe "eine dauerhafte Spur in unserer jüngeren Geschichte hinterlassen".

    Der Philosoph Jürgen Habermas würdigte Dahrendorf als "politisch denkenden Gelehrten". Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Habermas, er habe Dahrendorf bei dessen Geburtstag vor wenigen Wochen in Oxford getroffen, wo er nur noch mit Mühe habe sprechen können. "Aber immer wenn es an die Substanz ging, an die Freiheit des Einzelnen, an die Freiheit des Gesellschaftsbürgers und an die des Staatsbürgers, zwang er seinen versagenden Stimmbändern doch noch eine leidenschaftliche Intervention ab", wurde Habermas im online- Medium "FAZ.NET" zitiert.

    Mit Dahrendorf hätten "die deutschen und die europäischen Liberalen einen der bedeutendsten Soziologen unserer Zeit verloren, dessen unerschütterliche freiheitliche Geisteshaltung ihm überragende Anerkennung gebracht hat", betonte der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering würdigte Dahrendorf als einen "unermüdlichen Modernisierer", der die öffentlichen Debatten über Jahrzehnte mit seinen Analysen und Denkanstößen wesentlich mitgestaltet habe. Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) betonte, Dahrendorf habe "die bundesrepublikanische Gesellschaft über Jahrzehnte maßgeblich mitgeprägt". Seine Stimme sei in der Welt gehört worden.

    Das St. Antony's College in Oxford und die LSE, die beide jahrelang von Dahrendorf geleitet worden waren, hoben sein Wirken hervor. Das St. Antony's College nannte Dahrendorf einen "großen Europäer und Denker". Er habe Generationen von Studenten inspiriert und entscheidende Verbindungen zwischen den akademischen und nicht- akademischen Welten hergestellt. LSE-Direktor Howard Davies betonte den "einzigartigen" Beitrag Dahrendorfs für die Londoner Elite-Hochschule. Jeder hätte sich für die Zukunft "mehr seiner Weisheit und Erkenntnis" erhofft. Das Mitglied des britischen Oberhauses, Frances D'Souza, würdigte Dahrendorf als "großen Freund".

    Der am 1. Mai 1929 in Hamburg geborene Dahrendorf profilierte sich schon früh als überragender Intellektueller. Nach wissenschaftlicher Laufbahn und Habilitation (1957) an der Universität Saarbrücken forschte er zunächst in seiner Geburtsstadt Hamburg. Später gehörte er zu den Mitbegründern der Universität Konstanz. In Baden- Württemberg begann auch seine politische Karriere. Im April 1968 schaffte er den Sprung in den Landtag, wo er stellvertretender FDP- Fraktionsvorsitzender wurde.

    Ein Jahr später wurde er in den Bundestag gewählt, wo ihn der damalige Bundesaußenminister Walter Scheel als Parlamentarischen Staatssekretär in Auswärtige Amt holte. Wenig später wechselte er als EU-Kommissar nach Brüssel. Dort schied er 1974 aus, um künftig die LSE zu leiten. 1988 zog Dahrendorf nach England und wurde Leiter des St. Antony's College in Oxford. In Deutschland trat er im selben Jahr aus der FDP aus. Seit der Übersiedlung nach Großbritannien besaß er auch die britische Staatsbürgerschaft. 1993 ernannte ihn Königin Elizabeth II. zum Baron mit Sitz im Oberhaus. Mit dem "Ritterschlag" würdigte sie seinen Beitrag zu den deutsch-britischen Beziehungen.

    Auch im Ruhestand blieb Dahrendorf in seinem öffentlichen Wirken auf beiden Seiten des Kanals einer der wichtigsten Vertreter der liberalen Staats- und Gesellschaftstheorie in Europa. Einen letzten großen Auftritt hatte er im April 2009 in Düsseldorf, wo er als Vorsitzender der NRW-Zukunftskommission seinen Bericht übergab. Dabei war er gesundheitlich schon erkennbar angeschlagen.

    Dahrendorf war dreimal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit einer Engländerin gingen drei Töchter hervor. 1980 heiratete er die Amerikanerin Ellen Joan Krug. Später wurde die Ärztin Christiane Klebs seine dritte Frau.

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