Seit dem Erfolg ihres ersten großen Zeichentrickfilms „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ im Jahr 1935 haben die Disney-Studios sich mit kommerzieller Hartnäckigkeit den internationalen Märchen-Kanon angeeignet. Inzwischen lässt der Konzern die eigenen Klassiker als computeranimierte Realfilme wieder auferstehen. Gerade erst ist mit Tim Burtons „Dumbo“ der Elefant mit seinen Segelohren durch die Zirkusarena geflogen, da erhebt sich schon „Aladdin“ auf seinem fliegenden Teppich in den Himmel.
1992 brachte Disney seine Version des Märchens aus Tausendundeine Nacht heraus – mit weltweit eingespielten 504 Millionen Dollar zum erfolgreichsten Film des Jahres aufgestiegen. Aber auch deutliche Kritik an den Orient-Klischees wurde formuliert. Während Nebenfiguren mit großen Nasen und wilder Mimik als Ethno-Karikaturen angelegt waren, sahen Aladdin und Prinzessin Jasmin aus wie schwarzhaarige amerikanische Teenager. Als Vorlage für die Titelfigur soll den Zeichnern damals der junge Tom Cruise gedient haben. Die Sensibilität gegenüber solchen Stereotypen ist heute stärker denn je, und darauf reagiert Disney nun in seiner Realfilm-Adaption mit einer Besetzungsliste, die den modernen Diversitätsansprüchen entgegenkommt. Für die Rolle des Aladdin wurde der ägyptisch-kanadische Newcomer Mena Massoud gecastet, der hier auch seine Gesangs- und Tanztalente unter Beweis stellen kann.
Neu im Kino: Viele Disney-Szenen gibt es auch in der Realverfilmung von Aladdin
Furios taucht der Film hinein ins Getümmel der Stadt Agrabah, wo der junge Dieb mit halsbrecherischer Akrobatik vor den Ordnungshütern flüchtet. Diese Action-Eröffnung wäre eines James-Bond-Films würdig und führt gleichzeitig in eine orientalische Fantasiewelt ein, die mit satten Farben und überbordendem Detailreichtum punktet. Tanz, Gesang und CGI-Effekte greifen hier nahtlos und fluide ineinander. Regisseur Guy Ritchie und sein Co-Drehbuchautor John August halten sich eng an das Handlungsgerüst der Vorlage und übersetzen auch visuell manche Szenen fast 1:1 ins Realfilmformat.
Aus der Wunderlampe steigt ein überdimensionaler, blau eingefärbter Will Smith als Zaubergeist Dschinni hervor. Smith geht hier als magische Witzfigur in die Vollen, sein Overacting passt in diesem Fall bestens zur Rolle. Guy Ritchie gilt ja seit seinem Debüt „Bube Dame König grAS“ (1998) bis hin zur hypervirilen King-Arthur-Adaption eher als Macho-Regisseur. Umso mehr überrascht es, dass er sich hier auf dem Gebiet Romantik bewährt. Mena Massoud und Naomi Scott in der Prinzessinnenrolle geben ein sehr attraktives und hochfunktionales Liebespaar ab, das Schnulzen schmetternd auf dem fliegenden Teppich über Agrabah dahinschweben darf.
Einen gewissen Sinn für Opulenz muss man als Zuschauer hier mitbringen für Ritchies bekennenden Anti-Minimalismus. Aber vollkommen aus der Zeit gefallen ist das eskapistische Kinomärchen dennoch nicht: Im Verein mit der neuen Generation von Disney-Prinzessinnen wie „Rapunzel“ und „Cinderella“ beweist sich Jasmin als selbstbewusste Frau, die nicht nur ihren Aladdin heiraten darf, sondern auch – abweichend vom Original – am Ende als kompetente Herrscherin gekrönt wird. Äußerst zeitgenössisch wirkt auch der Bösewicht Jafar (Marwan Kenzari), der in seiner Machtgier keineswegs zufällig an die politischen Omnipotenz-Fantasien Donald Trumps erinnert und am Ende spektakulär in die Lampe zurückgezaubert wird. Darauf müssen wir in der außerfilmischen Realität wohl noch ein wenig warten.
Wertung: 4 / 5