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Theater Ulm: Diese Geschichte ist erschreckend zeitlos

Theater Ulm

Diese Geschichte ist erschreckend zeitlos

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    Martin Gäbler konnte die Titelpartie zwar nicht singen, aber bei der Premiere wenigstens spielen.
    Martin Gäbler konnte die Titelpartie zwar nicht singen, aber bei der Premiere wenigstens spielen. Foto: Theater Ulm

    Besucher wandeln durch das Madrider Museo Nacional del Prado und bewundern eine Ausstellung zum Untergangs des Reiches des Aztekenherrschers Montezuma. Doch die unbeweglichen Statuen auf den Sockeln, bekleidet mit aztekisch anmutenden Gewändern, sind lebende Menschen – der Aztekenherrscher selbst, seine Frau Mitrena und beider Tochter Teutile. So beginnt Antje Schupps Inszenierung der selten gespielten Vivaldi-Oper „Motezuma“ (vom Komponisten so geschrieben) im Großen Haus des Theaters Ulm.

    Antje Schupp erzählt im beeindruckenden Bühnenbild Mona Hapkes den Untergang einer Kultur durch Täuschung, durch tatsächliche oder vermeintliche Demütigung, durch Rache, Gewalt und den Vorwurf der Gottlosigkeit als zeitlose und erschreckend aktuelle Parabel von Krieg und Zerstörung.

    Plötzlich springt der Abend in die Realität

    Ein aufgepflanztes goldglänzendes Kreuz auf einer Stele entmachtet die Götter der Azteken, während der spanische General Fernando die Herrschertochter schändet: Was in historisierenden Kostümen beginnt und das Morden der als Gäste empfangenen spanischen Eroberer im Aztekenreich schildert, springt plötzlich in die Realität, die nur vermeintlich gewaltloser erscheint. Der Besucher findet sich als Beobachter des 11. Jahrestags der UN-Konferenz zum Schutz indigener Völker im Jahr 2018. Während sich Politiker entspannt unterhalten und mit ihren Smartphones beschäftigt sind, bricht draußen vor den Mauern des Weltsicherheitsrates ein Krieg aus. Die Teilnehmer der Konferenz verlassen überstürzt den Saal.

    Nach der Pause liegt das Museo del Prado in Schutt und Asche, marodierende Kämpfer machen Selfies mit Teilen der Kunstwerke, posieren mit Maschinengewehren vor verkohlten Körpern, und eine rachsüchtige Herrscherin (brillant: I Chiao Shih in der Rolle der Mitrena) feiert die Vergeltung, während um sie die Flammen lodern.

    Eine Erkrankung ließ die Premiere wackeln

    Eigene Spannung erhielt die Ulmer Premiere der 2002 in einem Berliner Archiv entdeckten und sensibel aus Fragmenten komplettierten Oper Vivaldis durch einen anderen Umstand: Bass Martin Gäbler, der die Titelrolle des Aztekenherrschers hätte singen sollen, erkrankte und konnte nicht singen. Da nur wenige Bässe die Rolle Montezumas im Repertoire haben, war Ersatz kaum zu finden. Kurzfristig rettete der Münchner David Pichlmaier die Premiere, indem er am Bühnenrand stehend vom Blatt sang – stimmkräftig und fein differenziert –, während Gäbler wie im Stummfilm den Herrscher und seine Beziehung zu Frau und Tochter (Helen Willis), zu den Conquistadores und zu seinem General Asprano (Maria Rosendorfsky) darstellte.

    Das Philharmonische Orchester Ulms unter der Leitung von Michael Wegner interpretiert Vivaldis hochbarocke Musik zum Genuss von Liebhabern solcher Klänge; die Kastraten-Rollen sind sämtlich als Hosenrollen überzeugend besetzt. Der lange Applaus am Ende gilt vor allem dem Appell gegen Gewalt, den Antje Schupp mit dieser überraschenden Inszenierung setzt.

    Weitere Termine am 6., 13., 15., 20., 24. April und am 2., 5., 24. Mai

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