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Textilmuseum: Quilts der Amisch im Dialog mit moderner Kunst

Textilmuseum

Quilts der Amisch im Dialog mit moderner Kunst

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    Quilts der Amisch korrespondieren im Textilmuseum Augsburg mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler wie Julio Rondo.
    Quilts der Amisch korrespondieren im Textilmuseum Augsburg mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler wie Julio Rondo. Foto: Birgit Müller-Bardorff

    Wenn Schlichtheit zum Lebensprinzip erhoben ist, wenn der Glaube Bilddarstellungen verbietet und Arbeitseifer und Pflichtbewusstsein oberste Maxime sind, wo bleibt da der Raum für das Schöne, für die Kunst? Im Alltäglichen. In schnöden Bettdecken etwa – feiner ausgedrückt in Quilts, wie sie seit Jahrhunderten von den Amish People gefertigt werden. Sie nähen und steppen diese aus vielen Geweben und meist aus drei Lagen bestehenden Decken für den Hausgebrauch oder als Geschenke zu besonderen Anlässen. Abstrakte Muster, klare Formen und Farben bestimmen deren Aussehen, weshalb der Weg zu Werken etwa von Piet Mondrian oder Josef Albers nicht weit scheint. Seit den 1960er Jahren brachten denn auch Ausstellungen das Kunsthandwerk der Amisch in Zusammenhang mit moderner Kunst.

    Grundhaltungen der Amisch sind in die Quilts eingearbeitet

    Einen anderen Weg geht nun das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg (tim), das in seiner neuen Ausstellung „Amish Quilts meet Modern Art“ 50 Quilts aus der Sammlung Wurzer, entstanden zwischen 1890 und 1950, den Arbeiten zeitgenössischer Künstler gegenüberstellt. Dies jedoch nicht so sehr unter formalen Aspekten, sondern unter philosophisch-anthropologischen. So bestimmen die von Museumsdirektor Karl Borromäus Murr und Mitarbeiterin Tanja Kreuzer kuratierte Ausstellung Grundhaltungen menschlicher Existenz, wie sie die moderne Kunst ins Zentrum stellt, wie sie aber auch – bewusst oder unbewusst – in die Quilts der Amish People eingeflossen und charakteristisch für die Lebensweise dieser protestantischen Splittergruppe sind, die die einen als rückständig und technikfeindlich bezeichnen, andere als naturnah und ursprünglich loben.

    Denn noch heute leben die Amisch wie vor 300 Jahren, als sie aus Europa nach Nordamerika auswanderten, weil sie wirtschaftlich kein Auskommen mehr fanden und zudem religiös verfolgt wurden. In Pennsylvania, Ohio, Indiana und Iowa leben sie, als gäbe es nicht Fernseher und Autos, moderne Telekommunikation und Internet, Jeans und Reißverschlüsse: Die Männer mit breitkrempigen Hüten und einem an der Oberlippe abrasierten Vollbart, die Frauen mit weißen Hauben, langen Röcken und Schürzen. Ihr Leben ist einfach von landwirtschaftlicher und häuslicher Arbeit sowie religiösen Ritualen geprägt. Gottesfurcht, Demut, Armut, Arbeitseifer, Friedfertigkeit sind Grundprinzipien ihrer Lebensführung – Grunddimensionen menschlichen Lebens, die auch die Kunst immer wieder auf die Probe stellt und hinterfragt. So geht die Ausstellung im tim in 14 Abteilungen diesen anthropologischen Aspekten als einem Dialog aus Gegensatzpaaren wie Müßiggang/Arbeit, Frieden/Krieg, Natur/Kultur nach.

    Streifen und Quadrate sind Symbol für die Ordnung

    Oder dem Leitmotiv amischer Existenz, der Ordnung, die das Leben der Gemeinschaften durchdringt, und dem Chos der Welt gegenübersteht. Davon etwa zeugen die symetrische Aufgeräumtheit der Quilts, mit geometrischen Formen wie Streifen, Quadraten und Quadern, und die klare Struktur der Muster. Eine Ordnung, wie sie auch Winfried Gaul nach dem Zusammenbruch des Naziregimes in der informellen Malerei suchte. In seiner Werkserie „Sex-a-gon“ schuf er stark reduzierte Arbeiten, Verkehrszeichen nachempfunden, die in ihrer geometrischen Form und ihrer strahlenden Farbigkeit mit den Quilts der Amisch korrespondieren. Wie ein Kontrapunkt wirkt dazu die Wandplastik „Natural Chaos“ des belgischen Künstlers Arne Quinze aus Kabel, Gittern, Metall- und Holzteil, die in einem kosmischen Strudel ineinander übergehen.

    Naheliegend ist auch die Gegenüberstellung von Armut und Reichtum, die Bezug nimmt auf das karge, ganz auf materielle Güter verzichtende Leben der Amisch, das seinen Ausdruck findet in den Plain Quilts, die oft monochrom oder nur mit rahmenden Streifen verarbeitet sind. Dagegen steht die Plastik „Consumers Martini“ von Jan Kuck – ein übergroßes Cocktailglas, in das der Künstler die Fetische der westlichen Kultur getaucht hat: ein Porsche-Modell, goldene Kaffeekapseln, eine teure Uhr.

    Der einzige Schmuck im Haus

    Nicht immer sind die Zuordnungen der Gegensatzpaare so eindeutig. Wie sich in Mustern und Abbildungen Verschiebungen ergeben, wie Zeichen neue Bedeutungen erhalten, wie sich hinter dem Offensichtlichen nach eingehendem Betrachten eine neue Ebene auftut – Prinzipien, die der modernen Kunst eingeschrieben sind – auch davon zeugen die Quilts, die nicht als Kunstwerke angefertigt wurden, doch in denHäusern der Menschen der einzige Schmuck waren.

    Ausstellung „Amisch Quilts meet Modern Art“, geöffnet Di. bis So. von 9 bis 18 Uhr, Laufzeit bis 25. Oktober.

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