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Takis Würger: Wer ist eigentlich der Autor hinter dem "Stella"-Skandal?

Takis Würger

Wer ist eigentlich der Autor hinter dem "Stella"-Skandal?

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    33 Jahre alt, seit zehn Jahren Reporter beim „Spiegel“, der zweite Roman ein Streitfall: Takis Würger. 
    33 Jahre alt, seit zehn Jahren Reporter beim „Spiegel“, der zweite Roman ein Streitfall: Takis Würger.  Foto: Christophe Gateau, dpa

    Es wird ein schlimmer Abend und ein bewegender Abend und ein irritierender Abend. Ein erhellender Abend auch, weil er vieles erklärt – und manches interessanterweise gerade dadurch, dass man daran vorbeiredet, obwohl außerordentlich viel gesprochen wird …

    Zunächst aber: Passt hier noch ein Klappstuhl hin? Sitzt da schon jemand? Es ist ein Raum mit rund hundert Quadratmetern, in den an diesem Abend der Skandal dieses Frühjahrs Einzug hält. In der Mitte ein großes Oval, zugleich Büchertisch und Umrahmung des Treppenabgangs, drumherum, zwischen Regalen und in Nischen sitzen überall Menschen, mehrheitlich ältere, mehrheitlich Frauen, 80, 90 sind es insgesamt. Voll ist es. Voller war es überhaupt erst ein Mal, damals, als der Bierbichler Sepp aufgetreten ist, Kultfigur, erst recht im Münchner Umland. Heimspiel quasi. Da haben sie 100 Leute untergebracht hier in der Buchhandlung Kirchheim in Gauting, irgendwie.

    Was sagt Takis Würger selbst zum "Stella"-Skandal?

    Aber Moment:  …der Skandal Einzug hält? An diesem Abend ist es jedenfalls nicht der prominente Autor, der so zieht. Sondern der Trubel um das Buch, das dieser gerade mal 33-jährige, aus Niedersachsen stammende Schlaks vorstellt, der nun in die lediglich durch Tisch und stärkere Beleuchtung als Bühne herausgehobene hintere Ecke tritt. Vollbärtig, strubbelig, knuffig: Gestatten, Takis Würger – und ja, der heißt wirklich so. Aber eben auch: Der Mann, ansonsten Reporter beim Spiegel, dessen zweiten Roman die Literaturkritik fast geschlossen und in seltener Härte zum Skandal erklärt hat. „Ein Vergehen gegen die Opfer von Auschwitz.“ – „Das Ende der Literatur.“

    Was Takis Würger selbst dazu sagt? Seit er auch noch angezeigt wurde, weil er gegen die Persönlichkeitsrechte seiner Hauptfigur verstoßen habe, spricht er nur noch mit seinen Lesern über „Stella“, das Buch. Und über Stella Goldschlag, den Menschen, gestorben 1994 – jedoch während der Nazizeit, obwohl selbst Jüdin, Greiferin versteckter Juden für die Gestapo, mitverantwortlich für deren Deportation ins KZ. Und über die fiktive Stella Goldschlag in seinem Roman, die er in eine Liebesgeschichte verstrickt.

    Seit Erscheinen Anfang Januar steht das Buch weit oben auf den Bestsellerlisten, und seitdem tritt Takis Würger auch mindestens an fünf, meistens an sieben Tagen pro Woche in irgendeinem Literaturhaus oder irgendeiner Buchhandlung irgendwo in Deutschland damit auf. Überall ist es voll wie an diesem Abend in Gauting. Auch in Sälen, die mehrere hundert Leute fassen. Und er wird diese Lesereise auch noch um die Welt fortsetzen, wo das Buch auch erscheint, bis nach China und in die USA. Was aber entgegnet er nun zum Beispiel in Gauting, wenn es um den zentralen Vorwurf geht, er habe den Abgrund von Auschwitz und das Drama um die echte Stella nur als effektvolle Kulissen für eine süffige, klischeehafte Romanze missbraucht, eine abgefeimte Bestseller-Mischung mit historischem Horror angerührt?

    Stella taucht bei der Lesung erst am Ende kurz auf

    Das Schlimme an diesem Abend ist: Takis Würger lässt die Vorwürfe gegen sein Buch als geradezu auf der Hand liegend erscheinen, wenn er selbst daraus vorliest. Die ersten 40 Seiten sind es an diesem Abend, Stella taucht überhaupt erst ganz am Ende ganz kurz auf – und es ist gut so. Denn im viel zu schnellen und ungelenk und kaum modulierten Vortrag seiner freundlich weichen Stimme verliert der Text hier jede Kontur. Ob der Ich-Erzähler Friedrich nun Butterkuchen isst oder erzählt, dass die doch so fatal geliebte Mutter bei einem Bombenangriff verbrannt ist – es gibt hier keine Unterschiede. Und eben auch nicht, als er aus einem der eingestreuten Zeugenprotokolle gegen die echte Stella vorliest, wie eine Familie nach deren Verrat in Auschwitz vergast worden ist. Als wäre alles eine Geschichte, bestsellertauglich bunt eben …

    Das Bewegende an diesem Abend ist: Takis Würger bringt in dem langen Gespräch mit den immer weiter nachfragenden Zuschauern danach glaubwürdig zum Ausdruck, wie viel ihm gerade als jungem Autor daran gelegen ist, am Wachhalten der Erinnerung an jene dunkeldeutsche Zeit mitzuarbeiten. Wo, so der Autor, vier von zehn deutschen Schülern nicht mal mehr wüssten, dass in Auschwitz ein Konzentrationslager gewesen sei. Diese Mission hat Familiengeschichte. Der Urgroßvater, dem „Stella“ gewidmet ist, wurde als psychisch Kranker von Nazis vergast – und dessen Sohn, Takis Würgers Opa, selbst bei der Wehrmacht, mahnte den Enkel, jenem das Erinnern zu schulden. Das ist zur persönlichen Mission geworden.

    Als Reporter war Takis Würger in vielen aktuellen Kriegs- und Krisengebieten unterwegs. Für sein nächstes Buch hat er den Winter 2017/18 in Tel Aviv verbracht, um die Lebensgeschichte eines Mannes an dessen Sterbebett sitzend aufzuschreiben, „der von Josef Mengele persönlich selektiert worden ist“ – eines Auschwitz-Überlebenden also. Diesmal in einem Sachbuch allerdings. Aber auch sein Roman, sagt Würger, könne die Erkenntnis und die Erinnerung in der Breite und in die Jugend hinein befördern. Wie es ihm einst selbst, als Oberstufen-Schüler, mit Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ gegangen sei, das ja ebenfalls auf realen Figuren basiere und dafür ähnlich kritisiert worden sei.

    Auf den Kern der Kritik geht Takis Würger nicht ein

    Das Irritierende an diesem Abend ist: Takis Würger kann auf viele gewogene, aber auch vereinzelte kritische Fragen der Zuhörer hin durchaus erklären, warum seine Stella ist, wie sie ist – aber auf den Kern der Kritik an diesem Buch geht er dabei gar nicht erst ein. Ihn habe die Frage der Schuld interessiert; ihn habe inspiriert, dass der echten Stella nach Zeugenaussagen viele Männer verfallen sind; er habe eben keinen moralisch erhabenen, sondern einen betont naiven Standpunkt gewählt, um zu fragen und nicht zu urteilen; und er habe mit seiner Fiktion auch auf die Spur menschlicher Schicksale wie jener echten Stella führen wollen, deren Historie er dann auch komplett recherchiert und mit drei Historikern besprochen habe, zur deren Aufklärung er aber nichts beitragen könne und wolle.

    Als solche Fiktion mag der Roman ja durchaus auch funktionieren. Aber der Vorwurf besagt ja, dass gerade dieser Takis Würger bei all seinem menschlichen Einfühlen das Wesentliche selbst aus dem Blick verloren hat. Der Abgrund von Auschwitz wird nur genannt und kommt eigentlich nicht vor, das Leid der Opfer bleibt eine Aktennotiz, historische Kulisse. In der Polemik, die der Autor selbst erfahren hat, ist er selbst polemisch gegen die Kritik geworden.

    Sprechen über die Notwendigkeit des Erinnerns

    Das Erhellende an diesem Abend ist: Takis Würger sieht den Sinn des Buches nun spätestens darin als erwiesen, dass er nun Abend für Abend mit Menschen in Buchhandlungen und Literaturhäusern über die Notwendigkeit des Erinnerns spricht. Das funktioniert auch in Gauting – und deutlich besser, als über eventuelle Probleme des Buches selbst zu reden. Und die Sinnhaftigkeit dieses Gesprächs erschließt sich unmittelbar, wenn eine Frau berichtet, wie sie auf „Stella“ hin beschlossen habe, in der eigenen Familie mal genauer nachzufragen. Bizarrerweise kann also gerade „der Skandal“ geholfen haben, weil er Aufmerksamkeit für das Thema und dessen besondere Schwierigkeit gebracht hat. In der Buchhandlung Kirchheim in Gauting sind auch schon Saul Friedländer und Imre Kertész aufgetreten. Auf den Rekordlisten tauchen sie nicht auf.

    Lesen Sie zum Roman "Stella" auch die Kritik von Wolfgang Schütz: Gestapo-Spitzel Stella Goldschlag: Die Schuld und das Mädchen

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