Zwischen 2001 und 2013 hatte die Jugendbuchreihe des irischen Autors Eoin Colfer die Bestsellerlisten gestürmt. Acht Bände mit insgesamt 25 Millionen verkauften Exemplaren in 44 Sprachen übersetzt – das ist eine solide Erfolgsbilanz, die nach Kino-Franchise ruft. Aber auch inhaltlich hat das Fantasy-Abenteuer des zwölfjährigen Ganovensohnes einiges mit der Geschichte des Zauberlehrlings gemein.
Hier gibt es ebenfalls eine geheime Parallelwelt, von der die menschliche Normalbevölkerung nichts ahnt. Der junge Artemis ist zwar kein Auserwählter, aber ein hochbegabter Dieb und blitzgescheiter Stratege, der den Erwachsenen hoffnungslos überlegen ist. Nur die Bescheidenheit des Harry Potter fehlt dem gesetzlosen Alleskönner, der von dem Romanautoren eher als Antiheld ohne moralische Vorbildfunktionen entworfen ist.
Von der kriminellen, anarchistischen Energie des Nachkommens einer irischen Verbrecherdynastie bleibt in der Disney-Version des Stoffes allerdings kaum noch etwas übrig. Hier mutiert der junge Artemis Fowl (Ferdia Shaw) zu einem hochbegabten Helden, der seinen Vater (Colin Farrell) aus den Fängen eines machthungrigen Dämons zu befreien versucht. Der Finsterling ist hinter dem sogenannten „Aculos“ her – ein jahrtausendealtes, handgranatengroßes Glitzer-Ei, das unbeschränkte Macht übers Universum garantiert.
Der Lichtblick bei Artemis Fowl: Judi Dench
Da die Vernichtung der Menschheit ganz oben auf der To-do-Liste des Bösewichts steht, ergibt sich eine gewisse Dringlichkeit über die familiäre Befreiungsaktion hinaus. Dafür lockt Artemis die Elfen aus ihrem unterirdischen Reich, mit deren magischen Fähigkeiten und Hi-Tech-Bewaffnung Vater wie Menschheit vor ihrem sicheren Untergang bewahrt werden sollen.
Keine Geringere als Judi Dench schlüpft hier in die Rolle der Oberkommandantin und in ein giftgrünes Kunstlederkostüm hinein. Ihre Auftritte sorgen für die wenigen Lichtblicke in diesem unstrukturierten Fantasy-Spektakel, das auf Figurencharakterisierungen ansonsten keinen großen Wert legt. Das Konzept der Drehbuchautoren Conor McPherson und Hamish McColl zielt offensichtlich darauf ab, erst einmal die Vorlage ihrer Originalität zu berauben und den entstehenden Hohlraum im Anschluss mit allen verfügbaren Genre-Versatzstücken zu füllen. Das reicht von einem Riesenzwerg als Erzähler, der wie ein Zwillingsbruder Hagrids aus „Harry Potter“ aussieht, über einen Bösewicht, der sich als Mischung zwischen Voldemort und Darth Vader durchs Geschehen raunt, bis hin zu schwarzem Anzug und Sonnenbrille, die den zwölfjährigen Helden wie ein zu kurz geratener „Man in Black“ aussehen lassen.
Von Kenneth Branaghs Virtuosität ist nichts zu sehen
Ohne narrative Sinnproduktion poltert der Plot von einem Gefecht zum nächsten. Wenn die ohnehin recht dünnen Dialoge ausgehen, wird ein Riesentroll von der Festplatte heruntergeladen, der das digitale Set kurz und klein schlagen darf. Kaum zu glauben, dass der geschätzte Kenneth Branagh hier Regie geführt hat. Branagh, der dem Kino die saftigsten Shakespeare-Verfilmungen geschenkt hat. Branagh, der in der Marvel-Adaption „Thor“ den nordischen Donnergott durch ein Meer von Selbstironie waten ließ und Disneys „Cinderella“ mit grandioser Opulenz wiedererweckte. Nichts von dieser lustvollen Virtuosität eines begeisterten Filmemachers ist in „Artemis Fowl“ zu sehen. Nur leere Genre-Redundanzen ohne eigene Seelenstruktur.
Mit vorgeschobenem Bedauern hat Disney den geplanten Kinostart im Mai 2020 wegen der Covid-Krise fallengelassen und die Premiere auf die hauseigene Streaming-Plattform verlegt. Dass die Pandemie ihnen einen vorhersehbaren Kassenflop erspart hat, wird man wohl auch in der Konzernzentrale wissen.
„Artemis Fowl“ läuft bei Disney plus, USA 2019. 95 min, R: Kenneth Branagh D: Ferdia Shaw, Judy Dench, Colin Farrell
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