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Stockholm spekuliert: Nobelpreis an Herta Müller?

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Stockholm spekuliert: Nobelpreis an Herta Müller?

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    Stockholm spekuliert: Nobelpreis an Herta Müller?
    Stockholm spekuliert: Nobelpreis an Herta Müller? Foto: DPA

    Wenn der neue Chef der Schwedischen Akademie, Peter Englund, am Donnerstag um 1300 Uhr in der alten Börse den Namen verkündet, rechnen sowohl literarisch bewanderte Nobelpreis-Rater in den Kulturredaktionen wie auch Zocker bei Ladbrokes ganz stark mit Müller. Vor ihr liegen nur noch knapp der Israeli Amos Oz sowie die US-Autoren Joyce Carol Oates und Philip Roth.

    Die in Rumänien geborene Müller hat schriftstellerisch vor allem ihre Erfahrungen mit dem alles und alle unterdrückenden System der rumänischen Ceausescu-Diktatur verarbeitet. Ihr neuer Roman "Atemschaukel" über die Deportation deutschstämmiger Rumänen nach dem Zweiten Weltkrieg in die damalige Sowjetunion wurde von der Kritik fast einhellig positiv aufgenommen. Er gehört zu den sechs Finalisten für den Deutschen Buchpreis.

    Seit vier, fünf Jahren hat die Berlinerin eine typische "Karriere" als Nobelpreis-Kandidatin durchlaufen: Erst mal so hingestreut als überraschend genannte und außerdem noch ziemlich junge Anwärterin, gehörte sie zuletzt zum festen Bestand bei allen Spekulationen. Jetzt ist sie unmittelbar vor der Verkündung in den Topkreis aufgerückt. Aber ob das die Juroren der Schwedischen Akademie bei ihrem streng geheimen Auswahlprozess aber tatsächlich auch so sehen, kann mit Sicherheit niemand (öffentlich) sagen.

    "Es ist schwerer geworden, die Akademie zu durchschauen", meint der Stockholmer Verleger Svante Weyler. Neue, deutlich jüngere Mitglieder sind nachgerückt, unter ihnen auch der neue Akademie-Sekretär Peter Englund (52). Ein selbstironisch auftretender Historiker, bis vor kurzem fleißiger und davon sichtlich begeisterter Blogger im Internet.

    Englund hat für Schwedens große liberale Tagezeitung "Dagens Nyheter" auch schon neue Computerspiele rezensiert, und nennt sich selbst einen "literarischen Eunuchen". Weil er in seinem neuen Amt nicht mehr selbst zum Schreiben kommt, obwohl er doch beim Lesen so verführerisch von "literarischer Schönheit umgegeben ist". Was aber bedeutet all das für seinen Lese-Geschmack und Vorlieben in Sachen Nobelpreis?

    Die professionellen Rater vor der jährlichen Vergabe haben in den letzten zehn Jahren meistens irgendwie richtig gelegen, mitunter wurden sie auch mal völlig kalt erwischt. Als Grass die "Mutter" aller Literaturpreise 1999 bekam, hatte er gut zwei Jahrzehnte auf den Listen gestanden und nach eigenem Bekunden auch auf den Anruf aus Schweden gewartet, der am Ende niemanden mehr überraschen konnte. Aus allen Wolken dagegen vielen sowohl die Fachwelt wie auch die Preisträgerin selbst, als fünf Jahre später Elfriede Jelinek (62) ausgezeichnet wurde. Sie sei allenfalls eine gute Regionalschriftstellerin und spiele nicht in derselben Liga wie etwa der ewige Nobelpreis-Favorit Thomas Pynchon, meinte die Wienerin.

    Wenn die Wetteinsätze auf den diesjährigen Nobelpreis einigermaßen stimmen und vielleicht gar auf Insider-Wissen beruhen, dann hat Müller tatsächlich beste Aussichten. Bekam man bei Ladbrokes auf ihren Namen letzte Woche noch das 51-Fache des Einsatzes, sank die zu erwartende Quote bis Mittwoch auf das Siebenfache.

    Das könnte man schon ernst nehmen: Im letzten Jahr hatte es kurz vor der Bekanntgabe eine ähnlich markante Entwicklung beim späteren Preisträger Jean Marie Le Clézio (69) aus Frankreich gegeben. Auch 2006 schienen etliche Zocker etwas gewusst zu haben, denn der türkische Autor Orhan Pamuk lag einen Tag vor der Vergabe des Preises an ihn plötzlich bei den Einsätzen plötzlich einsam an der Spitze.

    Fällt der Name Müller am Donnerstag nicht, wird sich das Spiel um die Berlinerin in zwölf Monaten wiederholen. Berühmte Autoren wie der letztes Jahr gestorbene Belgier Hugo Claus und der Portugiese António Lobo Antunes (67) haben öffentlich geklagt, wie extrem störend sie die Rolle des ewigen "Nobelpreis-Favoriten" empfanden. Für Grass endete sie nach gut zwanzig Jahren, als er gerade zum Zahnarzt wollte. Da klingelte das Telefon mit einem Anruf aus Stockholm.

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