Wird der stark in der Kritik stehende Roman „Stella“ von Takis Würger in absehbarer Zeit nur mit geschwärzten Passagen sein Verlagshaus Hanser verlassen dürfen?
Dies ist die möglicherweise juristisch zu klärende Frage, nachdem der Verlag rechtsanwaltlich aufgefordert ist, „Stella“ nicht mehr – ohne Schwärzungen – zu vertreiben. Parallel dazu, so berichtet die Wochenzeitung Die Zeit, habe der Berliner Anwalt Karl Alich auch von der Neuköllner Oper in Berlin verlangt, dass sie nicht mehr ihre – seit Jahren gezeigte – Musical-Produktion „Stella“ aufführt. Alich vertritt die Erben des Historikers Ferdinand Kroh, dem die Jüdin Stella Goldschlag vier Jahre vor ihrem Suizid 1994 all ihre Persönlichkeitsrechte übertragen hatte. Sie beabsichtigte damit, dass ihr Leben nie verfälscht dargestellt werde – und immer auch die Vorgeschichte enthalte, die sie zur Verräterin von Juden im Nationalsozialismus machte. Stella Goldschlag hatte bis zu 300 Juden der Ermordung ausgeliefert, nachdem sie durch Nazis schwer gefoltert worden war. Ihr Übertragungsvertrag mit Ferdinand Kroh soll dessen Alleinrecht festgeschrieben haben, ihre Biografie zu veröffentlichen. In der Folge hatte Kroh dann die Film-Dokumentation „Die Greiferin. Die Geschichte einer jüdischen Gestapo-Agentin“ gedreht.
Der Hanser Verlag will sich vorerst nicht zu der anwaltlichen Forderung auf Schwärzung einzelner Passagen in „Stella“ äußern. Diese Passagen sollen jene Zitate aus Prozessakten eines sowjetischen Militärtribunals umfassen, die in den Romantext integriert sind. Stella Goldschlag war 1946 vor dem Tribunal gestanden.
Von dem anwaltlichen Schreiben hat in der Zeit der ehemalige Leiter des Frankfurter Fritz-Bauer-Instituts zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Micha Brumlik, berichtet. Er schließt sich dabei einem Teil der Literatur-Kritik an, die der Roman „Stella“ in den letzten Wochen erfahren hat: „Musical und Buch verdrehen das, was Stella Goldschlag in all ihrer Tragik am Ende noch wollte, ins groteske Gegenteil: in kulturindustrielle Unterhaltung.“
Sollte die Forderung des Berliner Anwalts Alich vor Gericht gehen, so wäre allerdings auch zu klären, wie lange die Persönlichkeitsrechte im vorliegenden Fall nachwirken und ob diese überhaupt an Personen außerhalb der Familie übertragen werden können. Zur Dauer von Persönlichkeitsrechten gibt es in der bundesdeutschen Rechtssprechung unterschiedliche Urteile.
Bis vor das Bundesverfassungsgericht aufgestiegen ist etwa Klaus Manns „Mephisto“, dieser Roman über die NS-Karriere des Schauspielers und Intendanten Gustaf Gründgens, einst auch Schwager von Klaus Mann. Das Erscheinen des Romans in Deutschland wurde 1968 höchstrichterlich, eben vom Bundesverfassungsgericht, verboten. Dass es den Roman heute dennoch zu lesen gibt, liegt auch daran, dass nach seinem widerrechtlichen Erscheinen 1980 die Zeit über das frühere höchstrichterliche Urteil einfach hinweggeschritten war. Wo kein Kläger, da kein Richter.
Ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht verboten wurde 2007 der Roman „Esra“ von Maxim Biller. Er hatte die Persönlichkeitsrechte der ehemaligen Geliebten von Maxim Biller verletzt – und zwar durch die Schilderung intimer Details.