Na, schon „Squid Game“ gesehen? Ob auf Partys, im Freundes- oder Familienkreis: Überall bekommt man diese Frage aktuell gestellt. Die südkoreanische Netflix-Serie ist blutrünstig, kitschig – und in aller Munde. Man habe den Erfolg nicht kommen sehen, sagte unlängst der Netflix-Chef Ted Sarandos in einem Interview. Mit bislang 111 Millionen Fans sei es die bisher erfolgreichste Netflix-Produktion, „unser größter Serienstart aller Zeiten“, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit. Was steckt hinter dem Phänomen? Ein Erklärungsversuch.
Geong Gi-hun (gespielt von Lee Jung-jae) ist ein Versager. Der arbeitslose und glücksspielsüchtige Chauffeur bestiehlt seine mittellose Mutter, hat ein zerbrochenes Verhältnis zu seiner Tochter und ist extrem verschuldet. Als er eine mysteriöse Einladung zu einem hoch dotierten Spiel erhält, kann er sein Glück kaum fassen. Die Aufgabe scheint simpel: Er muss in vermeintlich harmlosen Spielen gegen knapp 500 ebenfalls mittellose Menschen antreten. Dem Gewinner winkt ein Preisgeld in Millionenhöhe.
Die Prüfungen, die die Teilnehmenden über sich ergehen lassen müssen, muten im ersten Moment einfach an. Getarnt als Kinderspiele müssen sie etwa Tauziehen oder mit Murmeln spielen. Nur zieht der Verlierer dieser Spiele nicht enttäuscht von dannen, sondern wird sofort und ohne jede Gnade getötet.
An Grausamkeiten wird in Squid Game nicht gespart
An Grausamkeiten wird in Squid Game ganz generell nicht gespart. Da rutscht an einer Stelle ein hingerichteter Kandidat eine gigantische Kinderrutsche hinunter und verteilt sein Hirn auf dem Weg nach unten über die spiegelglatte Metalloberfläche. Da zerhexelt an anderer eine Selbstschussanlage gleich mehrere Dutzend Teilnehmer. Immer in einem Szenenbild, das die Teilnehmer klein und hilflos wirken lässt. Sei es beim Ausstechen einer Zuckerfigur auf einem maximal vergrößerten Kinderspielplatz, mit absurd großem Klettergerüst und Karussell, oder auf einer gigantischen Wiese, wo die armen Seelen eine Art Versteckspiel spielen müssen mit einer gnadenlosen Riesenpuppe. Es ist ein genialer Kniff, der die Menschen noch schutzloser, eben kindlich, dastehen lässt.
Mitunter fühlt man sich bei Squid Game wie ein Gaffer bei einem Autounfall: Man sieht hin, in dem klaren Wissen, dass es falsch ist. \u0009
Gerade angesichts eines aktuell oft ratlos wirkenden Serien-Marktes kommt das Konzept von Squid Game erfrischend daher. Es hebt sich ab von schnöden Krimiserien, der x-ten Fortsetzung einer vor Jahrzehnten erfolgreichen Filmidee. Squid Game ist laut, gesellschaftskritisch und anders.
Squid Game auf Netflix: Ein Spiel auf Leben und Tod
Zwar erfreut sich das Konzept eines Spiels auf Leben und Tod bereits seit Jahren großer Beliebtheit. Das zeigen Querverweise auf Filme wie „Die Tribute von Panem“ oder Computerspiel-Erfolge à la Fortnite. Nie aber wird die Geschichte erzählt in einer solchen Spannung und Dichte, wie sie in Squid Game die Zuschauenden vor die Bildschirme fesselt.
Das schafft Squid Game auch mithilfe eines geschickten Arrangements der Serienmacher. Bei jedem neuen Spiel, bei jeder schicksalsentscheidenden Wendung fragt man sich unwillkürlich: Wie würde ich anstelle der Protagonisten entscheiden, wie würde ich selbst mich schlagen? Das erzeugt eine ungeheure Dichte und Intensität.
Dass die Netflix-Serie hohe Wellen schlägt, zeigen nicht nur exorbitante Aufrufezahlen. Vielerorts hat „Squid Game“ seinen Weg raus aus der Fiktion, rein in die Wirklichkeit gefunden. Nachdem beispielsweise eine in der zweiten Folge gezeigte Telefonnummer in Südkorea tatsächlich vergeben war, erhielt eine Frau Tausende Anrufe von Zuschauern der Serie. Netflix bot der Betroffenen eine Ausgleichszahlung an. Die Szenen, in denen die Nummer zu sehen ist, sollen nachbearbeitet werden.
Schulen warnen Eltern vor der Netflixserie Squid Game
Auf Youtube und TikTok verarbeiten Menschen Squid Game in unzähligen Kurzvideos, und auch in Videospielen wie GTA hält die Serie bereits Einzug. Das mag auch daran liegen, dass sie einen enormen Wiedererkennungswert hat. Dazu tragen die unverkennbaren Kostüme und Gesichtsmasken bei; ähnliche Mechanismen verschafften bereits der spanischen Serie „Haus des Geldes“ große Erfolge.
Den Gipfel des Hypes markierten unlängst Medienberichte aus Großbritannien und Belgien. Dort werden Eltern bereits vor Squid Game gewarnt. Der Grund? Viele Einrichtungen haben Angst davor, dass Kinder gewalttätige Szenen der Serie nachahmen könnten.
Dass das kein medienpädagogischer Blödsinn ist, zeigen verschiedene Meldungen. Demnach haben Schüler an einer Schule im belgischen Erquelinnes ihre Version der Serie nachgespielt, wobei die Verlierer regelrecht verprügelt wurden. Die Schulleitung musste sich schließlich per Facebook an die Eltern der Schüler wenden.
Wird es eine zweite Staffel der Serie Squid Game geben?
In Korea derweil freut man sich über Meldungen wie diese: International soll die Netflix-Serie dazu geführt haben, dass deutlich mehr Menschen die koreanische Sprache lernen möchten. So gab das Unternehmen „Duolingo“, das online Sprachkurse anbietet, Anfang Oktober bekannt, dass man in den Vereinigten Staaten seit Serienstart im September 40 Prozent mehr Nutzer für Koreanischkurse registriert habe als noch im Vorjahreszeitraum.
Dass die derzeit erfolgreichste Serie ausgerechnet aus Südkorea kommt, ist kein Zufall. Seit Jahrzehnten fördert die Regierung in Seoul gezielt den Kulturexport als wirtschaftlichen Wachstumsmarkt. Das Land hatte zuletzt große internationale Erfolge gefeiert. Etwa beim Kino-Thriller Parasite oder bei der weltweit gefeierten Boyband BTS.
Noch ist nicht klar, ob, und wenn ja, wann es eine zweite Staffel von Squid Game geben soll. Regisseur Hwang Dong-hyuk erklärte unlängst in einem Interview: „Ich habe keine gut ausgearbeiteten Pläne für Squid Game 2.“ Allein daran zu denken, sei ziemlich ermüdend, sagte er weiter. Aber der Erfolg der Serie hat ihn offenbar bereits zum Nachdenken gebracht. Denn er sagte weiter: „Aber sollte ich es machen, würde ich es mit Sicherheit nicht allein tun. Ich würde auf ein Autorenteam zurückgreifen und auf mehrere erfahrene Regisseure.“ Nach einer dogmatischen Absage jedenfalls klingt das nicht.