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Sexueller Missbrauch: Missbrauchs-Vorwürfe: Dirigent James Levine suspendiert

Sexueller Missbrauch

Missbrauchs-Vorwürfe: Dirigent James Levine suspendiert

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    Ist James Levine, zweifellos verdienter Musikchef der Metropolitan Opera New York, privat und sexuell viel zu weit gegangen?
    Ist James Levine, zweifellos verdienter Musikchef der Metropolitan Opera New York, privat und sexuell viel zu weit gegangen? Foto: Miguel Medina, AFP (Archivfoto)

    Das Ende dessen, was der Harvey-Weinstein-Skandal um sexuelle Belästigungen, sexuelle Nötigungen und um Vergewaltigungen speziell in der Filmbranche ins Rollen brachte, ist noch nicht abzusehen.

    Nach der internationalen Missbrauchs-Lawine innerhalb der katholischen Kirche scheint nun auch eine internationale Lawine in der Kulturbranche losgetreten zu sein: Im Grunde ausnahmslos geht es darum, dass Männer aufgrund ihrer Stellung und Macht sexuelle Dienste erwarten oder erzwingen wollen von (meist jüngeren) Menschen, die mehr oder weniger von ihnen abhängig sind.

    In der katholischen Kirche – und im Sportverein – steht dabei das Schüler-(Lehrer-)Autoritäten-Verhältnis im Zentrum, im weltweiten Kulturbetrieb die sogenannte "Besetzungscouch": Der Filmdirektor/Intendant/Regisseur besetzt und engagiert im schlimmsten Fall nur dann, wenn die Schauspielerin (oder der Schauspieler) auf der Couch seinen sexuellen Gelüsten nachkommt.

    Opfer offenbaren sich über die Hashtags #Meetoo und #balancetonporc

    In Hashtags wie "Me too" und "Balancetonporc" ("Verpfeif' dein Schwein") haben ungezählte Frauen mittlerweile von ihren speziellen Erniedrigungen berichtet; in der vergangenen Woche nun sind zwei kapitale neue Anklagen dazugekommen: Die eine betrifft die Schwedische Akademie, die den Literatur-Nobelpreis verleiht, sowie ihr Umfeld; die zweite betrifft den ehemaligen langjährigen Chefdirigenten der New Yorker Metropolitan Opera, James Levine.

    Damit erhält der Begriff der "Kulturbastion" neuerlich einen sarkastischen Unterton. Denn wieder ist der Fall gegeben, dass die mutmaßlichen oder tatsächlichen Opfer über lange Zeit schwiegen – wohl aus Angst vor den Konsequenzen einer öffentlichen Anklage – oder aus Scham.

    Der Fall Harvey Weinstein und seine Folgen 2017

    5. Oktober 2017: Ein Artikel der New York Times bringt den Stein ins Rollen: Ashley Judd und weitere Schauspielerinnen werfen Weinstein darin sexuelle Belästigung vor. Weinsteins Anwalt spricht von Verleumdung, der Produzent wolle juristisch gegen das Blatt vorgehen.

    8./9. Oktober 2017: Sein eigenes Filmstudio, The Weinstein Company, habe den Hollywood-Mogul entlassen, erklären dessen Direktoren. Prominente wie Meryl Streep, Judi Dench und Hillary Clinton distanzieren sich - ebenso wie Weinsteins Ehefrau Georgina Chapman.

    12. Oktober 2017: Die Polizei in New York will bereits abgeschlossene Ermittlungen gegen Weinstein neu aufrollen.

    14. Oktober 2017: US-Medien berichten, die Oscar-Akademie habe Weinstein nach einer Dringlichkeitssitzung aus dem Verband ausgeschlossen.

    15. Oktober 2017: Scotland Yard in London ermittle wegen sexueller Übergriffe gegen den Produzenten, berichten Medien. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron will ihm den Titel "Ritter der Ehrenlegion" entziehen, der Weinstein 2012 verliehen worden war.

    16. Oktober 2017: Mit dem Hashtag #MeToo haben sich bereits Zehntausende Frauen im Internet als Opfer sexueller Übergriffe zu erkennen gegeben - ausgelöst durch einen Tweet der Schauspielerin Alyssa Milano.

    17. Oktober 2017: Medien berichten, der Produzent sei als Verwaltungsrat der Weinstein Company zurückgetreten.

    19. Oktober 2017: Die Polizei in Los Angeles nimmt Ermittlungen auf. Das britische Filminstitut entzieht Weinstein die Ehrenmitgliedschaft.

    30. Oktober 2017: Der Verband der US-Filmproduzenten schließt Weinstein aus der Producers Guild of America aus.

    7. November 2017: Der Produzent soll private Sicherheitsfirmen engagiert haben, um Informationen über seine mutmaßlichen Opfer zu sammeln und weitere negative Artikel zu stoppen, berichtet das Magazin The New Yorker. Auch Journalisten seien ins Visier geraten.

    10. November 2017: Die Staatsanwaltschaft in Los Angeles will ein Team von Sonderermittlern einsetzen, um Fälle von sexueller Belästigung in der Filmbranche aufzuklären. Zuvor waren Vorwürfe gegen weitere US-Stars laut geworden - darunter Dustin Hoffmann und Kevin Spacey, der Komiker Louis C.K. sowie der Regisseur James Toback.

    12. November 2017: Bei einem Protestmarsch in Hollywood demonstrieren Hunderte gegen sexuelle Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.

    Missbrauchshinweise wurden ignoriert

    Noch schwerer aber wiegt, dass da wie dort auch wieder der Fall gegeben ist, das innerhalb der jeweiligen Szene existierende Verdachtsmomente über lange Zeit ungeklärt unter den Teppich gekehrt werden konnten.

    In Stockholm, so berichten schwedische Zeitungen, habe der Mann eines weiblichen Akademiemitglieds über Jahrzehnte sexuell ausgenutzt, dass junge Frauen mit literarischen Interessen im gemeinsam betriebenen literarischen Verein mit Kellerlokal verkehrten.

    Ihnen habe er gegen sexuelle Leistungen ein literarisches Vorankommen in Aussicht gestellt – beziehungsweise bei Ablehnung des unsittlichen Angebots mit Verhinderung der Karriere gedroht.

    Als Ehemann eines weiblichen Mitglieds der Akademie, die alljährlich weit mehr Preise als den Literatur-Nobelpreis vergibt, nutzte der mutmaßliche Täter also den Glauben an seinen großen Einfluss auf die Entscheidungen der Akademie sexuell aus – und wurde dabei über Jahre wohl zumindest von einigen weiteren Akademiemitgliedern gedeckt.

    Es kursierten Gerüchte zu Levines Neigung zu Knaben

    Und Vergleichbares muss man skeptischerweise auch im Fall James Levine mutmaßen, sollten sich Vorwürfe des Missbrauchs seitens des weltweit gefeierten Dirigenten als berechtigt erweisen. Tatsache ist, dass in der Münchner Musikszene schon vor Jahrzehnten Erzählungen hinter vorgehaltener Hand über die Zuneigung Levines zu Knaben kursierten.

    Das beweist selbstverständlich gar nichts, hätte aber an der MET selbstverständlich Anlass zu genauer Beobachtung geben sollen. Doch erst jetzt will die Metropolitan Opera ernstlich prüfen, ob die Beschuldigungen wahr sind.

    Auch im Fall des heute 74-jährigen Levine sind New Yorker Zeitungsberichte das treibende Medium: Danach soll der Musikdirektor zwischen 1985 und 1993 einen zunächst Jugendlichen, dann jungen Erwachsenen, der seinerzeit Dirigent werden wollte, mit (mittlerweile verjährten) sexuellen Übergriffen drangsaliert haben – bis hin zum Küssen des Geschlechtsteils.

    Den Vorwürfen liegt eine polizeiliche Aussage zugrunde. Man wird sehen, wie der Fall ausgeht. Rehabilitation – oder Bestätigung eines mehr oder weniger kollektiven, vielleicht sogar belustigten Hinwegsehens über die Neigungen des Chefs.

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