Was ist aus Ihrer Sicht die größte Chance durch die Technik der Gen-Schere, mit der gezielt einzelne DNA-Bausteine im Erbgut beschnitten und manipuliert werden können?
Man muss zwischen kurzfristigen und langfristigen Perspektiven unterscheiden. Ich sehe im Bereich Landwirtschaft kurz- bis mittelfristig sehr interessante Entwicklungen. Ich sehe Möglichkeiten im Bereich der Gestaltung von Ökosystemen. Das wird intensiv debattiert. Ein Beispiel: Darf man Mücken, die Malaria übertragen, unfruchtbar machen oder sogar ausrotten? Und ich sehe im Bereich der Medizin viele Möglichkeiten.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Risiko, wovor warnen Sie?
Es gibt Risiken im technischen und im sozialen Bereich. Im Bereich der ökologischen Konsequenzen müssen wir überlegen, ob es sinnvoll ist, dass wir eine ganze Spezies, etwa Mücken, ausrotten, um eigene Vorteile zu erlangen. Hier im Kampf gegen Malaria. Wir müssen aber auch umgekehrt sagen: Was bedeutet es, wenn wir es nicht machen? Wollen wir weiter viele hunderttausend Menschen pro Jahr sterben lassen, obwohl man mit der Gen-Schere vielleicht ein gutes Mittel hätte, um Malaria zu bekämpfen? Zum anderen sehe ich soziale Risiken, wenn wir uns anschicken, die genetischen Grundlagen der menschlichen Spezies zu verändern. Forscher in den USA und in China tun alles, um das zu bewirken. Das ist noch überhaupt nicht weltweit debattiert.
Was heißt das, erwarten Sie die Geburt von veränderten Menschen, von Designerbabys, durch die Gen-Schere?
Das ist schwer vorherzusagen. Ich denke, dass zunächst versucht werden wird, medizinische Therapien am frühesten menschlichen Leben zu etablieren. Das fängt damit an, dass man versucht, schwere Erbkrankheiten zu eliminieren. Wiewohl man das auch mit der ebenfalls umstrittenen Präimplantationsdiagnostik – also mit der genetischen Untersuchung und Auswahl eines Embryos – durchführen könnte. Die große Herausforderung, wenn man eine Gen-Schere in der Keimbahn einsetzt, liegt in der Zukunft: Das betrifft nicht nur den Einzelnen, sondern wird an alle Generationen seiner Nachkommen weitergegeben.
Erbkrankheiten zu stoppen, hat viele Befürworter.
Wenn die Technik einmal da ist, liegt es vor dem Hintergrund zivilgesellschaftlicher Debatten bei den politischen Entscheidern, festzulegen, ob man weitergeht: Also nicht nur eine Krankheit ausschaltet, sondern schaut, dass man bestimmte Eigenschaften des Menschen verbessern will. Und wenn man sich dazu politisch nicht auf Ja oder Nein einigen kann, dann brauchen wir ein präzises Risikomanagement. Denn in der Genetik haben wir in den letzten Jahren gelernt, dass nicht nur Einzel-Gene eine Rolle spielen, sondern die Gene im Zusammenspiel. Und es kann sein, dass manche Fehlsteuerung nach einem Eingriff erst in der zweiten und dritten Generation auftaucht. Das müsste alles mitbedacht werden.
Wann denken Sie, von wissenschaftlicher Seite her, könnte es einen Menschen als gentechnisch veränderten Organismus geben?
Ich betreibe Ethik, und ich bin Theologe, ich bin kein Glaskugel-Leser. Dennoch: Wenn man hört, was in den wissenschaftlichen Communitys debattiert wird, würde ich mich nicht wundern, wenn auf chinesischer Seite in den nächsten Jahren bereits das erste genmanipulierte Baby geboren wird.
Welche anderen Länder gehen schnell vorwärts?
Das sind traditionell die Länder, die im Bereich Embryonenschutz in der Forschung eine andere Haltung vertreten als bei uns. Deutschland ist bei den Gesetzen ziemlich restriktiv. England, Schweden, China, die USA sind da deutlich offener.
Der Ethikrat plant eine Stellungnahme zu den Eingriffen mit der Gen-Schere in die Keimbahn. Wie weit ist die?
Da ist es wichtig, an die Vorgeschichte zu erinnern. Im letzten August kamen aus einem amerikanischen Labor erste Versuche, Embryonen so zu manipulieren, dass erkennbar das Ziel eine Keimbahn-Veränderung war. Das hat uns aufgeschreckt. Wir haben recht unmittelbar eine Empfehlung an die Bundesregierung und den Bundestag veröffentlicht, in der wir auffordern, sich für eine internationale Konferenz zum Thema einzusetzen. Ganz in Entsprechung zu der Klimakonferenz. Das ist ein Menschheitsthema, das man nicht alleine den Wissenschaftlern überlassen darf.
Und wie ging es weiter?
Der damalige Bundesgesundheitsminister Gröhe hat uns gebeten, die Pro- und Kontra-Argumente zusammenzustellen. Wir hoffen, dass wir allerspätestens Ende des Jahres damit fertig sind.
Welche sind zentrale Fragen, die schwer zu klären sind?
Bei der neuen Technik geht es um unsere biologische Grundlage als Mensch. Wenn man sich die Debatte dazu anschaut, wird es sehr schwer werden, eine einheitliche Position auf Weltebene zu finden. Aber wir müssen zumindest darüber reflektieren, unter welchen Bedingungen so etwas gemacht wird: Welches Risiko ist man bereit einzugehen für sich, für die eigenen Kinder, aber auch für die Kindeskinder? Wenn Sie der Auffassung sind, in der zweiten oder dritten Generation könnten noch gravierende gesundheitliche Schäden auftreten, die wir in der ersten Generation, an der die Manipulation durchgeführt wurde, nicht sehen, dann müssten Sie eigentlich sagen: Das Risiko ist zu groß, denn das wäre ein unverantwortlicher Menschenversuch. Oder Sie sagen: Nein, das ist ein relativ unwahrscheinliches Risiko, das können wir eingehen. Darüber muss man nun miteinander ringen und versuchen, gemeinsam Standards zu entwickeln.
Wenn Sie an die Bürger denken, was kann der Einzelne tun?
In einer komplexen Welt ist es schwierig, allen Menschen gegenüber die Forderung zu erheben: Begleitet das und protestiert, wenn ihr gegen bestimmte Entwicklungen seid. Dennoch: Ich bin der Auffassung, dass wir an einem Scheidepunkt der Menschheitsgeschichte stehen können. Auch als jemand, der sich mit dem Thema beschäftigt, bin ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite machen wir derzeit nur ganz kleine Schritte. Aber die Vision, dass man mit der Gen-Schere das Menschsein verändern kann, ist keine völlig utopische Vorstellung mehr. Große Veränderungen fangen sehr häufig mit kleinen Schritten an. So eine Vision wäre, dass es durch Keimbahn-Eingriffe einerseits sehr robuste Menschen geben könnte und andererseits schwächere, die am Existenzminimum leben: also eine noch schärfere Spaltung als nur zwischen Klassen – so etwas muss verhindert werden.
Wer hat die größte Aufgabe: Politik, Mediziner?
Wir sehen, dass in der Forschung, gerade im Bereich der Medizin, in einer Intensität mit der Gen-Schere gearbeitet wird. Das kommt einer Goldgräberstimmung gleich. Da wird viel getan, und da fließen Milliarden an Forschungsgeldern, aber auch an Investitionsgeldern rein. Die Politik müsste meines Erachtens die Bildungsfrage dazu intensivieren. Außerdem müsste es, außer einer Konferenz, ein internationales Beobachtungsverfahren, eine Institution, geben, die diesen Prozess begleitet. Also etwas wie die Atomenergiebehörde in Wien.
Interview: Petra Kaminsky, dpa