Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Salzburger Festspiele: Bei dieser „Salome“ wird es animalisch

Salzburger Festspiele

Bei dieser „Salome“ wird es animalisch

    • |
    Salome im Bann des Jochanaan in der Felsenreitschule: die litauische Sopranistin Asmik Grigorian und der ungarische Tenor Gábor Bretz.
    Salome im Bann des Jochanaan in der Felsenreitschule: die litauische Sopranistin Asmik Grigorian und der ungarische Tenor Gábor Bretz. Foto: Barbara Gindl, dpa

    Der Fall scheint klar. Salome, das ist doch diese perverse judäische Prinzessin, die erotisch gierige Kindfrau, die Johannes dem Täufer, der sich ihren Avancen verweigert, mit der Rachsucht der Abgelehnten den Kopf abschlagen lässt, auf dass das blutige Haupt ihr auf einem Tablett serviert werde. Ein pathologischer Fall grausiger Lüsternheit.

    Ein Fall für Romeo Castellucci. Ist der italienische Regisseur, Bühnenbildner, Kostümausstatter, Theaterallesmacher doch bekannt dafür, seine Inszenierungen stets gegen das landläufig Erwartbare aufzustellen, ihnen jegliches Klischee auszubürsten. Diese eine Erwartungshaltung erfüllt er freilich mit bemerkenswerter Konsequenz, und er tut es gerade wieder bei den Salzburger Festspielen mit Richard Strauss’ „Salome“, der zweiten Musiktheaterpremiere dieses Sommers.

    Castellucci ist ein Regisseur, der von Handlungsillustration nichts wissen will (und das schließt auch illustrative Aktualisierungen oder Geschichtsparallelen mit ein). Die szenischen Welten, die er baut, sind rein assoziativer Art, dabei aber keineswegs willkürlich erdacht – Castellucis Bildlösungen entstammen allesamt dem erweiterten Bedeutungsraum der von ihm bearbeiteten Werke. Nicht immer ist, was man dabei zu sehen bekommt, gleich auf Anhieb zu entschlüsseln. Es wirkt fremd, beunruhigend; und doch spürt man die Kontaktbahnen pulsieren, die hin zur Problematik, zum Wesenskern des theatralischen Geschehens verlaufen.

    Kein Salome-Klischee und keine frivole Frühreife

    Kein Salome-Klischee also, keine frivole Frühreife. Die Prinzessin am Hof ihres Stiefvaters Herodes ist in ihrem weißen Kleid zugeknöpft bis obenhin. Vor allem aber: Ihre Blicke, Bewegungen – Asmik Grigorian gelingen diese Andeutungen fabelhaft – legen die Spur zu dem Verdacht, dass sich in diesem jungen Leben einiges ereignet haben muss von der Art des „Schrecklichen“, von dem in dieser Oper durchweg die Rede ist. Die Männer am Hof sind in denkbar größtem Kontrast alle in Schwarz gekleidet - das eigentlich biblische Geschehen spielt bei Castellucci in einer nicht näher definierten Moderne – und wie Banditen, die sich hinter Tüchern unkenntlich machen, ist bei all diesen Männern die untere Gesichtshälfte grellrot geschminkt.

    Blut klebt wohl an diesem Schweigekartell (zu dem auch Salomes Mutter Herodias gehört), und dass hier Unsagbares fest ummauert ist, verbildlicht die Inszenierung auch dadurch, dass die Arkaden der Salzburger Felsenreitschule allesamt verfüllt wurden und somit der Bühnenhintergrund eine bedrohliche Mauer abgibt. Castellucci deutet alles nur an, äußere Gewalt und innere Versehrtheit. Was macht Herodes’ Gier, sich an Salomes Körper zu weiden, mit der Seele dieser Frau? Die Inszenierung verweigert den berühmten Schleiertanz – wie später das Zeigen des abgeschlagenen Prophetenkopfes – , und doch sieht man an dieser Stelle Salome ein einziges Mal fast ohne Hüllen, kauernd geknebelt auf einem Podest mit der Aufschrift „Stein“. Ein in sich versteinerter Mensch – welch starkes Bild, das die Leerstelle der Schleier-Kostümierung locker zu füllen vermag.

    Für ein paar Augenblicke trabt ein leibhaftiger Hengst über die Bühne

    Einen Moment freilich gibt es, da wird die Inszenierung ein wenig zum Manegen-Spektakel. Dass Jochanaan (der Johannes der Oper), der selbst dann, als er aus der Zisterne steigt, faszinierenderweise nur als Schemen erkennbar, in seinen seltsamen Prophezeiungen für Salome somit unerkennbar ist, dass dieser Jochanaan also eine offenkundig animalische Anziehungskraft auf die Prinzessin ausübt, das zeigt Castellucci tatsächlich dadurch, dass er einen leibhaftigen Hengst für ein paar Augenblicke durch das Rund der Zisternen-Vertiefung traben lässt. Was sich das brave Tier wohl nur denken muss, wenn es sich, umtost von Strauss’scher Orchesterbrandung, dem wild rudernden Dirigenten Franz Welser-Möst Aug’ in Aug’ gegenüber sieht?

    Dieser Welser-Möst kann mit den Wiener Philharmonikern, einem Strauss-Orchester par excellence, richtig laut werden, ohne zu doch ins Dröhnen zu geraten. Wie denn überhaupt diese ganze Monsterpartitur, die in anderen Händen so leicht aufzuschäumen anfängt, bei diesem Dirigenten von seltener und wohltuender Sorgfalt in der Klangbildung ist, mit jeglichem Raum für Details und Valeurs. Nein, eine Klangorgie ist diese „Salome“ nicht, und in diesem Klischeeverzicht kommt Welser-Möst seinem Regisseur pfeilgerade entgegen. Was die Sänger betrifft: Jenseits der Titelpartie kann man zufrieden sein. Gábor Bretz verfügt als Jochanaan über die stimmliche Überzeugungskraft des Märtyrers, John Daszak gibt den Herodes geradlinig schwächlich, Anna Maria Chiuri wirft als verbitterte Herodias giftige vokale Spitzen, und der Narraboth von Julian Prégardien verzehrt sich tenorsehnsuchtsvoll nach der tödlichen Prinzessin.

    Es friert einen, wenn Salome in den blanken Gewaltwunsch abgleitet

    Asmik Grigorian war letztes Jahr in Salzburg die Marie im „Wozzeck“, nun ist sie Salome. Die litauische Sopranistin besitzt nicht nur die Kraft und die Beweglichkeit für diese in jeder Hinsicht extreme Partie, sie hat auch den jugendlichen Kern, der für eine überzeugende Salome unabdingbar ist. In den hohen, lauten Momenten höchster Entäußerung kann sie vielleicht noch an eingedunkelten Farben gewinnen. Frappierend aber, wie sie mit jeder Wiederholung ihres „Ich will den Kopf des Jochanaan“ der Stimme jeweils eine Drehung zunehmender psychischer Verhärtung mitzugeben vermag. Außerordentlich auch die darstellerische Leistung. Es friert einen, Asmik Grigorian dabei zuzusehen, wie in ihrer Salome der Firnis der Zurückhaltung aufbricht und kindhaftes Lustwollen abgleitet in den blanken Gewaltwunsch.

    Zurecht ein Applaussturm am Ende für diese bravouröse Fallstudie.

    TV-Übertragung: 3sat sendet eine Aufzeichnung der „Salome“ am 11. August um 20.15 Uhr.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden