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Nationalsozialismus: Raubgut aus der NS-Zeit: Eine Geige aus jüdischem Besitz wird zum Testfall

Nationalsozialismus

Raubgut aus der NS-Zeit: Eine Geige aus jüdischem Besitz wird zum Testfall

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    Guarneri-Geigen gehören zu den begehrtesten überhaupt: das von Giovanni Guarneri gefertigte Instrument aus dem Jahr 1706.
    Guarneri-Geigen gehören zu den begehrtesten überhaupt: das von Giovanni Guarneri gefertigte Instrument aus dem Jahr 1706. Foto: Elke Richter, dpa

    Im Januar 1938 erwarb der in Speyer ansässige Musikalienhändler Felix Hildesheimer eine Geige. Ein wertvolles Instrument, datiert auf das Jahr 1706 und hergestellt von Giuseppe Giovanni Guarneri, einem Mitglied der berühmten Cremoneser Geigenbauerfamilie. Felix Hildesheimer sollte nicht lange im Besitz seines Neuerwerbs bleiben. Als Jude von den Nationalsozialisten verfolgt, musste er zwangsweise sein Musikgeschäft und seine Wohnung verkaufen; am 1. August 1939 beging er Selbstmord. Seiner Witwe gelang es, in die USA zu entkommen, zuvor schon waren die beiden Töchter emigriert.

    1974 erwarb die Nürnberger Geigerin Sophie Hagemann die Guarneri im Instrumentenhandel. Nach ihrem Tod 2010 ging die Geige in den Besitz der Franz Hofmann und Sophie Hagemann Stiftung über, deren Zweck die Förderung musikalisch begabter junger Menschen ist. Weil die Guarneri restaurierbedürftig war, stellte die Stiftung Nachforschungen zur Herkunft an und stieß dabei auf den jüdischen Vorbesitzer.

    Die Hagemann Stiftung holt sich Hilfe

    Da sich der Verbleib der Geige nach dem Tod des Musikalienhändlers nicht klären ließ, stellte die Stiftung die Guarneri in die Lost-Art-Datenbank ein, um eventuelle Restitutionsansprüche von Nachfahren Hildesheimers zu ergründen. Tatsächlich kam ein Kontakt zustande, und beide Parteien, die Nürnberger Stiftung wie Hildesheimers Erben in den USA, kamen überein, sich an die deutsche Beratende Kommission für „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“, besser bekannt als Limbach-Kommission, zu wenden und einen Schiedsspruch zu erbitten.

    Der erfolgte im Dezember 2016 und sah vor, dass die nach damaligem Wert auf 150.000 Euro taxierte Guarneri bei der Stiftung verbleiben sollte, in ausdrücklicher Anerkennung der Tatsache, dass die Hagemann Stiftung „selbst beträchtliche Anstrengungen unternommen hat, um die Provenienz aufzuklären“. Gleichwohl sollten, so der Spruch der Beratenden Kommission, die Erben finanziell entschädigt werden, und zwar in Höhe von 100.000 Euro (die Renovierungskosten wurden vom Wert der Geige abgezogen). Beide Seiten, teilt die Kommission mit, hätten dies „als faire und gerechte Lösung akzeptiert“, die Hagemann Stiftung selbst bekundete damals, alles daranzusetzen, „die Summe der Ausgleichszahlung aufzubringen“.

    "Washingtoner Erklärung": Vermittlung bei strittigen Fragen

    „Faire und gerechte Lösung“: Der Wortlaut entstammt der „Washingtoner Erklärung“, einer 1998 getroffenen Übereinkunft zahlreicher Staaten – unter ihnen Deutschland –, um Lösungen herbeizuführen für offene Fragen, die im Zusammenhang stehen mit Raubgut der NS-Zeit, insbesondere aus jüdischem Besitz. Um bei strittigen Fragen zwischen alten und neuen Eigentümern zu vermitteln, nahm 2003 in der Bundesrepublik die Beratende Kommission ihre Arbeit auf – ein Gremium freilich, dessen Entscheidungen lediglich empfehlende, nicht aber rechtlich bindende Funktion zukommt. So war es auch im Fall der Guarneri-Geige.

    Vor zwei Wochen unternahm die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier einen in ihrer Geschichte bisher beispiellosen Vorstoß. Per öffentlicher Mitteilung tat sie kund, dass die Hagemann Stiftung bisher nicht nur die vereinbarten 100.000 Euro an die Hildesheimer-Nachfahren nicht gezahlt habe, sondern dass es ihr offenbar auch am „ernsthaften Willen“ dazu fehle. Damit nicht genug, rügte die Kommission in ihrer Mitteilung auch, „dass sich keine der beteiligten öffentlichen Institutionen dazu imstande gesehen hat, die Hagemann Stiftung zu veranlassen, der Empfehlung der Beratenden Kommission Folge zu leisten, und sie dabei zu unterstützen.“

    Der Staat in der Verantwortung

    Das darf als Ohrfeige insbesondere für die Bayerische Staatsregierung gelten. Begünstigte der Hagemann Stiftung ist nämlich vor allem die Nürnberger Hochschule für Musik, entsprechend ist der Stiftungsvorstand mehrheitlich besetzt mit Professoren der Hochschule. Diese aber steht in Trägerschaft des Freistaats. Angesprochen fühlen darf sich aber auch die Bundesregierung, die durch die zuständige Staatsministerin Grütters stets versichern lässt, die Restitution von NS-Raubgut zu befördern.

    Obendrein machte die Beratende Kommission öffentlich, dass die Stiftung nunmehr argumentiere, neue Forschungsergebnisse würden belegen, dass der Musikalienhändler Hildesheimer nicht schon 1937, wie zunächst angenommen, sondern erst 1939 sein Geschäft zwangsweise habe verkaufen müssen, was wiederum die Hagemann Stiftung zum Anlass nehme, die Zahlung zu verweigern. Der Musikalienhändler, so der dahinterstehende Gedanke, hätte in dem Jahr zwischen dem Erwerb der Guarneri und der Zwangsauflösung seines Geschäfts das Instrument auch regulär verkaufen können. Das aber, darauf weist die Kommission ausdrücklich hin, ignoriere „den gesicherten Kenntnisstand über das Leben im nationalsozialistischen Deutschland, insbesondere nach dem 9. November 1938“, dem Tag der Reichspogromnacht.

    Die Hagemann Stiftung erklärt sich

    Inzwischen rudert die Hagemann Stiftung zurück. Auf Nachfrage unserer Redaktion erklärt deren Vorstand schriftlich, die Stiftung stehe weiterhin dazu „an der Empfehlung der beratenden Kommission vom 7.12.2016 festzuhalten und eine Ausgleichszahlung in Höhe von 100.000 Euro vorzunehmen“. Bislang, heißt es in dem Schreiben weiter, scheitere die Zahlung „am aktuellen Stiftungsgesetz, den Betrag aus dem eigenen Stiftungsvermögen zum Ausgleich zu bringen“. Die Summe „über weitere Institutionen sowohl öffentlicher als auch privater Träger beizubringen“, sei nicht gelungen. Die Stiftung hofft nun auf eine Initiative zu einer Änderung im Stiftungsgesetz, wonach Stiftungen auch an ihr Vermögen greifen können, um solche Ausgleichszahlungen zu leisten.

    Das Bayerische Kunstministerium erklärt auf Anfrage, mit der Stiftung in Kontakt zu sein. Einer Sprecherin zufolge habe man bereits im Jahr 2018 der Stiftung angeboten, ihr mit 20.000 Euro unter die Arme zu greifen, „wenn dem Staat ein Miteigentumsanteil in diesem Umfang eingeräumt wird“. Aus haushaltsrechtlichen Gründen gebe es keine andere Möglichkeit. Das Kunstministerium werde sich aber „auch weiterhin beratend in dieser Sache engagieren“, man sei mit der Stiftung in Kontakt mit dem Ziel, „in absehbarer Zeit eine gute Lösung zu erzielen“.

    Wie ist es um Deutschlands Engagement bestellt?

    Das tut not, denn der Fall schlägt inzwischen hohe Wellen, auch international. Zeigt er doch, dass die Beratende Kommission in letzter Konsequenz ein zahnloser Tiger ist, der zwar Vorschläge unterbreiten, sie aber nicht durchsetzen kann. Eine Schwäche, die auf Deutschland und seine Restitutionspolitik zurückfällt. Der Fall der Violine stelle „Deutschlands Engagement, seine Nazi-Vergangenheit zu sühnen“, auf den Prüfstand, titelte soeben die New York Times. Und zitiert David Sand, einen in den USA lebenden Hildesheimer-Enkel: „Wenn man sich der Kommission ohne Konsequenzen widersetzen kann, sehe ich nicht, wie solche Fälle künftig handzuhaben sind.“ Das Licht, dass die Restitutionsgeschichte der Guarneri-Violine auf den Umgang mit NS-Raubgut im heutigen Deutschland hinterlässt, ist kein gutes.

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