Als bereits um 20 nach acht die riesige, mit 120 Sattelschleppern nun zur Doppeltourstation in München gekarrte Bühne zum Leben erwacht, geschieht das denkbar einfach: Ein bisschen Rauch umwabert das Gebilde im praktisch seit Vorverkaufsbeginn ausverkaufte Olympiastadion, dazu Bläserfanfaren – dann folgt schlicht ein monströser Knall.
Und genau damit wird es auch enden, zweieinviertel Stunden später – und mit einer Erkenntnis: Gerade dann, wenn Rammstein mit ihrer ersten Stadiontournee überhaupt durch ganz Europa reisen und den größten Auftritt ihres jetzt 25-jährigen Bestehens haben, brechen sie mit einem bisherigen Prinzip und zähmen das unersättliche Tier, das diese Rock-Band immer zu sein schien.
Rammstein in München: Eine lückenlose, wuchtige Inszenierung
Wobei: Band? Vielmehr sind die sechs Herren ja ein Musiktheater-Ensemble, das erst mit ihren Videos und vor allem erst auf der Bühne ihre volle Wirkungskraft erzielt. Und wie jetzt ja auch in München: Es ist vielmehr eine lückenlose, wuchtige Inszenierung, die das Publikum zu sehen bekommt. An deren Ende sich Rammstein wie nach dem Fallen des Vorhangs auch zum ersten Mal wirklich außerhalb ihrer Rollen den Fans zeigen. Sich verneigen bis zum gemeinsamen Kniefall und nach einem schlichten Dank von Zeremonienmeister Till Lindemann abgehen. Die dann noch nach Zugabe rufen, haben das Rammstein-Prinzip nicht verstanden. Es ist eine Vorstellung.
Wobei: Rock? Nein, mit Rock'n'Roll hat das hier ohnehin nichts zu tun. Es ist instrumenteller Brachial-Metal, der eher den Gesetzen von Industrial oder Techno folgt: im Grundprinzip sehr schlicht und wiederholungsreich. Aber dabei effektvoll und immer auf maximale Wirkung aus. Das lustvoll Stumpfe immerhin, das frühe Songs wie das nun als vorletztes präsentierte "Rammstein", ist im aktuellen "Rammstein" betitelten Album doch merklich brüchiger, vielleicht sogar differenzierter geworden.
Und weil die Aufführungen eben Rammstein erst zu Rammstein machen, bildet sich eben das nun auch im Live-Theater ab. Der Beginn mit dem neuen, balladiösen "Was ich liebe" ist geradezu verhalten. In der ersten, tatsächlich durch eine kleine Pause abgetrennten Hälfte des Abends gibt es auch verhältnismäßig wenig Feuergewerke. Ein bisschen zu "Sehnsucht", ein bisschen zu "Heirate mich".
Natürlich muss auch der monströse Kinderwagen, den Lindemann zu "Puppe" samt Action-Cam über die Bühne schiebt, letztlich ausbrennen. Aber man könnte sich fast schon bei einem normalen Konzert wähnen. Sogar eine lupenreinen Balladen-Einlage gibt es jetzt, zu "Diamant". Wären da nicht die brachial-theatralen Momente, die für diese Band ihrem inszenatorisch gratwandernden Selbstverständnis identitätsstiftend sind.
Wenn auch beim späteren "Mein Teil" im auf die Bühne projizierten Video freilich kein Porno-Darsteller gezeigt werden kann, wenn auch Lindemann diesmal keinen Kumpanen mit Riesendildo von hinten zu nehmen andeutet, um dann Wasserströme ins Publikum zu ejakulieren (diesmal ist es eine Riesenpimmel-Kanone, die zu "Pussy" Konfetti feuert): Punktgenau zu "Links 2 3 4" rollen sich schlanke, rote Fahnen mit Bandlogo zum Reichsparteitags-Design auf der Bühne ab und im Refrain recken Zehntausende – natürlich nur rockend! - zum Marschrhythmus den Arm.
Ebenfalls noch vor der Pause folgt dann auch "Deutschland, Deutschland über allen", wie es im zusätzlich durchs Video zum Aufreger inszenierten Song "Deutschland" heißt. Theater, Theater, das heißt, hier ist das alles natürlich nur ein Spiel mit Verweisen und kehrt sich letztlich ins Gegenteil. Und so.
Rammstein-Konzert in München: Das Tier wirkt gezähmter
Rammstein eben. Aber über mehr als die erste Stunde des Abends hinweg doch nicht so ganz, weil das ganze Höllen- oder Stahlwerk- oder Porno-Burlesque-Spektakel nahezu ausfällt. Das Tier wirkt gezähmter. Und was den Herren zum diese erste Hälfte abschließenden "Radio" an Tänzchen als Blinke-Strichmännchen einfällt, mag als Hommage an Kraftwerk gedacht sein. Es könnte aber auch wie die spätere Rückfahrt von einem Ausflug auf eine kleine Bühne (für eine A-Capella-Version von "Engel" und ein eher belangloses "Ohne dich") auch eher von Deichkind sein.
Es geht nämlich mit Schlauchbooten, von den Zuschauern auf Händen getragen zurück zur Bühne. Aber womöglich verbindet Rammstein sowieso viel mehr mit Deichkind als mit sonst wem – vom Wirkungsprinzip her zumindest. Die Schnittmengen im Publikum dürften dagegen eher minimal sein ...
In der zweiten Hälfte gibt es dafür die Aufführung bekannter Spektakel-Nummern. Begonnen mit der exakten Wiederaufführung zu "Mein Teil" samt Lindemann mit größer werdendem Flammenwerfer, der seinen Keyboarder im Kochtopf brät. Mit Feuerwerk zum abertausendstimmig mitgegrölten "Du hast". Mit noch mehr Feuerwerk zu "Rammstein", bei dem Lindemann gleich ein neunstrahliges Ding auf den Rücken montiert ist und auch Gitarren der Kumpanen und Lichttürme im Publikum Flammen schießen – und mit dem wohl kompositorisch noch immer besten Song dieser Sechser-Kombo.
Großartiger Sound, gute Unterhaltung bei Rammstein in München
Nicht von ungefähr hatte das Klavierduo (!) als Vorgruppe auf der kleinen Bühne es zu seinem Abschied bereits angespielt. Nicht umsonst läuft es in eben dieser Version dann auch wieder, als die Riesenbühnenmaschine ihren letzten Knall für diesen Abend getan hat: Das hymnische "Sonne" bleibt, als all der Rauch dieses Samstagabends in den Himmel steigt und durch Batterien an weißen Vertikalstrahlern auf und hinter der Bühne mehr als hundert Meter hohe Lichtsäulen im Münchner Nachthimmel sichtbar werden lässt.
Der Sound war großartig, die Darsteller haben zuverlässigst ihre Rollen gespielt, das Publikum (inzwischen auch Eltern mit noch ziemlich kleinen Kindern) stand großteils auch auf den Rängen vom ersten Song an und wurde wuchtig und kurzweilig unterhalten – die teilweise Neu-Inszenierung des Ensembles Rammstein funktioniert.