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Interview: Psychiater Manfred Lütz: "Donald Trump ist nicht krank, sondern viel schlimmer"

Interview

Psychiater Manfred Lütz: "Donald Trump ist nicht krank, sondern viel schlimmer"

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    Ist Trump – hier als Horrorclown Pennywise beim Kölner Karneval – ein pathologischer Fall? Nein, sagt Manfred Lütz – aber ein gefährlicher Mann.
    Ist Trump – hier als Horrorclown Pennywise beim Kölner Karneval – ein pathologischer Fall? Nein, sagt Manfred Lütz – aber ein gefährlicher Mann. Foto: Federico Gambarini, dpa

    Herr Lütz, in den Nachrichten tauchen ständig irre Politiker auf. Wer macht eigentlich einen guten, gefestigten Eindruck auf Sie?

    Manfred Lütz: Der französische Staatspräsident Macron und der kanadische Premierminister Trudeau wirken auf mich solide. Und auch Bundeskanzlerin Merkel verfügt offensichtlich über eine durchaus robuste Psyche.

    Sie betonen, dass eine Neuauflage Ihres Buchs "Wir behandeln die Falschen" unumgänglich geworden sei. Ist die Lage so schlimm?

    Lütz: Das Buch ist eigentlich auch keine Neuauflage, sondern ein neues Buch. Wenn man für eine breitere Öffentlichkeit alle Psycho-Diagnosen und alle Psycho-Therapien darstellen will, dann muss man nach zehn Jahren vieles ganz neu schreiben, damit das alles auch wirklich auf dem neuesten Stand der Wissenschaft ist. Und natürlich gibt es heute viel mehr öffentliche Irre wie Trump, Bolsonaro und Co.

    US-Präsident Donald Trump verteidigt auf einer Wahlkampfveranstaltung seinen Corona-Kurs.
    US-Präsident Donald Trump verteidigt auf einer Wahlkampfveranstaltung seinen Corona-Kurs. Foto: Evan Vucci/AP/dpa

    Beobachten Sie bei Krankheitsbildern wie Depressionen oder Schizophrenie Verschiebungen?

    Lütz: Die schweren psychischen Erkrankungen haben nicht zugenommen, aber es gab inzwischen spektakuläre Fälle von Depressionen wie den Torhüter Robert Enke und den Germanwings-Piloten Andreas Lubitz oder zum Beispiel den offensichtlich schizophrenen Attentäter von Hanau.

    Narzissmus ist ja sehr in Mode gekommen.

    Lütz: Ich habe in meinem Krankenhaus den Ausdruck Narzissmus verboten, weil der häufig als Beschimpfung von Patienten – und anderen – missbraucht wird. Nur wenn die diagnostischen Kriterien erfüllt sind, darf man den Begriff Narzissmus verwenden. In Wirklichkeit leiden pathologische Narzissten nämlich darunter, dass sie dauernd Beifall brauchen, deswegen bald keine Freunde mehr haben und dann am Ende in Therapie müssen.

    Da sind wir wieder bei Donald Trump. Passt für den US-Präsidenten die Diagnose Narzissmus?

    Lütz: Überhaupt nicht. Donald Trump leidet nicht und Freunde hat er mehr als genug, auch wenn man selber nicht gerne dazu gehören möchte. Donald Trump ist nicht krank, sondern viel schlimmer: Er ist ein komplett unmoralischer Mensch. Er hat von seinem Vater gelernt, dass das Wichtigste im Leben ist: Geld, Erfolg und Der-Größte-sein – und dafür darf man rücksichtslos alles tun. Ich halte diesen Mann für richtig gefährlich.

    Weiß Trump, was er tut?

    Lütz: Ich glaube, er ist nicht sehr intelligent. Er ist ja wohl kaum in der Lage, mehr als ein DIN-A4-Blatt am Stück zu lesen. Aber er ist schlau, durchtrieben, hat so eine Art Killerinstinkt, mit dem er die Schwachstellen seiner Gegner entdeckt und dann gnadenlos ausschlachtet.

    Nordkoreas Diktator Kim Jong-un taucht immer wieder ab. Könnte es sein, dass er mit seiner Psyche kämpft?

    Lütz: Es gibt auch bei Kim Jong-un keinerlei Hinweis auf eine psychische Störung. In einer Diktatur, in der alles auf einen einzigen Führer ausgerichtet ist, fällt es einfach mehr auf, wenn der sich mal eine gewisse Zeit lang nicht öffentlich zeigt. Beim Schweizer Bundespräsidenten merkt so etwas niemand, weil der Posten so häufig wechselt, dass man noch nicht einmal weiß, wer gerade im Amt ist.

    Waffen scheinen für ihn eine Art Spielzeug zu sein.

    Lütz: Irgendwie wirkt er manchmal fast kindlich, aber das täuscht. Kim Jong-un ist ein lächelnder Massenmörder und offensichtlich ja auch ein reueloser Brudermörder. Er hat von seinem Vater gelernt, dass man Angst verbreiten muss, um seine Macht zu erhalten. Und das funktioniert bei ihm offenbar ganz gut.

    Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un bei einer Notstandssitzung des Politbüros wegen der Coronavirus-Pandemie.
    Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un bei einer Notstandssitzung des Politbüros wegen der Coronavirus-Pandemie. Foto: -/KCNA via YNA/dpa

    Man gewinnt den Eindruck, dass diese Männer nichts fühlen, keinerlei Empathie aufbringen.

    Lütz: So ist es, aber das ist nicht krank und kann – leider – bei politischen Führern sogar den Erfolg sichern, wie man sieht.

    Lassen Sie uns über die Allgemeinheit sprechen. Sie sagen, ein Drittel der Deutschen erkrankt im Laufe des Lebens psychisch. Ist das nicht viel?

    Lütz: Das ist sehr viel! Und die anderen zwei Drittel haben psychisch kranke Angehörige. Deswegen halte ich es für einen Skandal, dass es nach wie vor mittelalterliche Vorstellungen über psychische Erkrankungen gibt. Da will mein neues Buch aufklären. Es müsste zur Allgemeinbildung gehören, zu wissen, dass die Psychiatrie die erfolgreichste medizinische Disziplin der letzten Jahrzehnte ist. Die Liegezeiten in Psychiatrien wurden statistisch von mehreren Jahren auf jetzt unter drei Wochen heruntergefahren. Die meisten psychischen Krankheiten sind inzwischen heilbar, aber kaum jemand weiß das.

    Gilt man bei uns zu schnell als krank?

    Lütz: Die schweren psychischen Erkrankungen haben nicht zugenommen, aber man darf nicht jede Trauer, jeden Stress, jede persönliche Überforderung unter unseriösen Marketing-Begriffen wie "Burn-out" zur Krankheit hochjazzen. Damit nimmt man den wirklich Kranken die dringend benötigten Behandlungsplätze weg. In der internationalen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation ist "Burn-out" eine so genannte Z-Kategorie, so etwas Ähnliches wie Falschparken. Das Problem solcher Begriffe ist, dass unter "Burn-out" echte Depressionen laufen, aber eben auch ganz normale Befindlichkeitsstörungen und belastende Lebenskrisen, die aber keine Krankheiten sind. Deshalb muss man erst mal eine richtige Diagnose stellen.

    Stimmt es eigentlich, dass überdurchschnittlich viele Psychopathen in hohen Führungspositionen sitzen?

    Lütz: Früher haben die Psychiater über Psychopathen gesagt: In Kriegszeiten beherrschen sie uns, im Frieden behandeln wir sie. Natürlich sind Führungspersonen oft außergewöhnliche Menschen, und das ist auch gut so. Auf Dauer wird sich aber Rücksichtslosigkeit auch im Wirtschaftsleben nicht auszahlen. Sie müssen schon Menschenkenntnis haben, wenn Sie ein Unternehmen effektiv führen wollen. Bei Politikern scheint mir heute aber der Wildwuchs im Internet und in den sozialen Medien eine Rolle zu spielen, da können auch abwegigste Leute sich eine völlig abgedrehte Anhängerschaft zusammentwittern.

    Geniale oder künstlerisch außerordentlich begabte Menschen werden gerne mit psychischen Auffälligkeiten in Verbindung gebracht.

    Lütz: Dieser Eindruck täuscht. Natürlich können auch psychisch Kranke künstlerische Hochleistungen erbringen, aber sicher nicht wegen, sondern trotz ihrer Erkrankung. Wie gesagt, nicht alles Außergewöhnliche ist gleich krank, es wäre auch lächerlich all die großartigen Romangestalten, die ja wegen ihrer Außergewöhnlichkeit überhaupt nur interessant sind, für krank zu erklären. Dann könnte man der ganzen Romanliteratur durch vernünftige psychotherapeutische Behandlung der Protagonisten die Grundlagen entziehen.

    Nehmen psychische Krankheiten in Krisenzeiten zu?

    Lütz: In Kriegszeiten hat die Suizidrate interessanterweise deutlich abgenommen, obwohl es da ja viel mehr plötzlich eintretende Katastrophen gab. Doch offensichtlich kommt der Mensch in der Regel mit solchen Schicksalsschlägen meist ganz gut klar. Jetzt in der Corona-Pandemie haben die schweren psychischen Krankheiten nicht zugenommen, die Psychiatrien waren eher leerer. Allerdings ist diese Krise für uns alle sehr belastend und sicher besonders auch für manche Patienten.

    Zur Person

    Der Psychiater Manfred Lütz (66) hat bis 2019 das Alexianer-Krankenhaus in Köln geleitet. Als Autor wurde er bekannt mit Büchern wie "Das Leben kann so leicht sein" oder "Irre – wir behandeln die Falschen". Von Letzterem ist eben eine überarbeitete Ausgabe erschienen: "Neue Irre! Wir behandeln die Falschen" (Kösel, 208 S., 20 Euro).

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