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Premieren-Kritik: "Herz aus Gold": Wo Fugger auch mal schmachten darf

Premieren-Kritik

"Herz aus Gold": Wo Fugger auch mal schmachten darf

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    Wenn es dunkel wird, entfaltet Augsburgs Freilichtbühne ihren ganzen Charme: Szene aus „Herz aus Gold“. 
    Wenn es dunkel wird, entfaltet Augsburgs Freilichtbühne ihren ganzen Charme: Szene aus „Herz aus Gold“.  Foto: Jan-Pieter-Fuhr/Theater Augsburg

    Die Freilichtbühne ist das Populärformat des Theaters Augsburg. Aus gutem Grund, vermag das Open-Air-Theater am Roten Tor mit seinen rund 2000 Plätzen doch eine regelrechte cashcow zu sein, solange nur das Wetter mitspielt – und eben die entsprechenden Stücke auf den Spielplan stehen. Was aber gibt es im heutigen Theaterbetrieb Breitenwirksameres als ein Musical? Schon in den vergangenen Jahren gaben sich „My Fair Lady“, „Blues Brothers“, „Cabaret“ und die „Rocky Horror Show“ die Klinke in die Hand. Und diese Linie setzt nun auch der neue Augsburger Intendant André Bücker zum Abschluss seiner ersten Spielzeit fort. Allerdings mit einem wesentlichen Unterschied. Im Sommer 2018 geht kein publikumserprobter Klassiker auf die Bühne, sondern ein gänzlich neu geschriebenes Stück: „Herz aus Gold“, das „Fugger-Musical“.

    Eine naheliegende Idee: Augsburg macht Theater über einen seiner ganz großen Söhne, Jakob Fugger (1459–1525), der nicht nur als reichster Mann seiner Zeit galt, sondern mit seinem vielen Geld auch in die Speichen des politischen Rades griff. Aber taugt das Geschäftsgebaren des berühmten Augsburgers tatsächlich für die Bedürfnisse eines Musicals? Andreas Hillger, der den Text für „Herz aus Gold“ schrieb, war sich der Problematik offenbar bewusst, und so hat er dem Fugger-Musical – der Titel verrät es ja schon – eine Lovestory verordnet. Die weiblichen Figuren, die den Kaufmann umschwirren, sind historisch verbürgt, die tatsächlichen Gefühlsbande zwischen Jakob, Sibylla und ihrer gleichnamigen Tochter jedoch großteils fiktiv. Das ist das gute Recht eines jeden Librettisten, und Hillger ist auch klug vorgegangen, indem er den Herzenskonflikt – Jakob gelingt es nicht, seine große Liebe zu gewinnen – zum sublimierten Motor für das geschäftige Tun des reichen Mannes werden lässt.

    Den Protagonisten schlägt das Herz gar nicht so mittelalterlich

    Auf den farbigen spätmittelalterlichen Hintergrund will so eine Fugger-Produktion natürlich nicht verzichten, und so ist denn allerhand hineingepackt in die Handlung, ja am Ende taucht sogar noch der Luther auf und führt einen Disput mit, nein, nicht Cajetan, sondern Jakob. Ein bisschen weniger Cinemascope hätte es auch getan. Dabei sind die Protagonisten von „Herz aus Gold“ ihrem Wesen nach so gar nicht mittelalterlich, muten in ihren zahlreichen Lebensratgeberweisheiten, die ihnen über die Lippen kommen – „Lernt selbst, euer Schicksal zu lenken … Versucht einfach, größer zudenken“ – sehr heutig an. Aber das ist natürlich ein Schachzug des gewieften Autors Hillger, um beim Publikum anzudocken.

    Der Mann mit dem "Herz aus Gold" auf der Treppe aus Gold: Jakob Fugger, dargestellt und gesungen von Chris Murray.
    Der Mann mit dem "Herz aus Gold" auf der Treppe aus Gold: Jakob Fugger, dargestellt und gesungen von Chris Murray. Foto: Jan-Pieter Fuhr/Theater Augsburg

    Stephan Kanyar hat Fuggers Kaufmannsglück und Liebesleid in Musik gesetzt, und er hat dem Musical mitgegeben, was des Musicals ist. Wo es um Gefühle geht – und das ist hier ausgiebig der Fall –, da hat Kanyar beherzt in die Kiste der schmachtenden Tonverbindungen und herzergreifenden Harmonien gegriffen. Jakobs und Sibyllas Solonummern, ihre Duette, das alles ist genregerecht gemacht, mit meist dezentem Beginn, sodass Raum für Steigerung und neuerliche Steigerung bleibt bis hin zur finalen klanglichen Vollfettstufe. In den größeren Ensembleszenen gibt es aber auch gekonnte Anklänge an tänzerische Weisen des 16. Jahrhunderts, und bei zwei, drei Nummern, darunter dem titelgebenden „Herz aus Gold“, besitzt Kanyars Musik Ohrwurmpotenzial. Keine Nebensächlichkeit für ein Musical.

    Augsburgs Freilichtbühne: An einem solchen Kaiserwetterabend wie bei der Uraufführung am Samstag sind die Wallanlagen natürlich eine, wie der Bayer sagt, gmahde Wiesn. Das historische Backsteingemäuer entfaltet seinen ganzen Charme, und auch Bühnenbildner Karel Spanhak scheint ihm erlegen zu sein, denn er hat in Ziegeln weiter gebaut in die Bühne hinein – ein gestaffeltes Mauernhalbrund auf der Drehbühne, das, gewendet, Fuggers bücherbewehrte Kanzleistube abgibt. Und eine Loggia links, in der die Augsburger Philharmoniker ihren Platz haben. In diese bildnerische Reichsstadtbehaglichkeit ist ein augenzwinkernder Akzent gesetzt: eine wie im Varieté geschwungene Treppe, deren Stufen aus Golddukaten gebildet ist – und auf der dann auch Jakob Fugger sein Herz ausschütten darf.

    Tanzeinlagen lockern die ansonsten gediegene Inszenierung auf

    Sanft-prickelnde Abstecher ins Ironische wie diesen, die vermisst man in der Inszenierung leider weitgehend. Regisseur Holger Hauer erzählt den Fugger’schen Lebensgang zumeist geradlinig-illustrativ, ohne weiterreichende Bezüge, gar Hintergedanken zu entwickeln. Dass das auf die Dauer dann doch nicht zu statisch wird, dafür sorgt das Ballett des Theaters, das Compagnie-Chef Ricardo Fernando in einigen allegroischen Szenen auch schon mal mit eckig-zappelndem Bewegungsrepertoire auftreten lässt. Und Sven Bindseil hat zumindest die Gewänder der Patriziergesellschaft in einer Weise zugespitzt, dass bei den Kostümen nicht nur wallende und wamsene Gediegenheit vorherrscht.

    Der Grad der Identifikation, mit der sich Chris Murray in die Rolle des Jakob Fugger stürzt, ist hoch. Nicht nur, dass er den Wandel des Protagonisten vom strotzenden Jungkaufmann zum gebeugten Greis darstellerisch mitvollzieht, er findet auch sängerisch überzeugende Tonlagen für den mal geschäftskalten, mal liebeleidenden Fugger. Und sängerisch versteht er sich bestens aufs Belting, auf das Aufdrehen der Stimme im emotional gehobenen Moment. Auch Roberta Valentini als Sibylla senior vermag das Herz auf die Stimmbänder zu legen. Katharina Wollmann setzt sich als Tochter Sibylla mit deutlich hellerem Timbre von der Mutter ab, Elke Kottmair ist die solide sorgende Fugger-Patriarchin, und Regisseur Holger Hauer ist auch sängerisch mit von der Partie in Gestalt des Welser, der dem Fugger stets am Zeug flicken will. Und obwohl Generalmusikdirektor Domonkos Héja mit dem Rücken zum Geschehen dirigieren muss, funktioniert das Zusammenspiel zwischen Orchester und Sängern problemlos.

    Reichlich Applaus schon zwischen den Szenen, am Ende Standing Ovations. Das Musical-Wagnis, mit „Herz aus Gold“ ein lokalhistorisches Thema für die Freilichtbühne zu entwickeln, scheint also geglückt. Und man fragt sich schon, ob in einem der nächsten Sommer ein Brecht-Musical ins Haus steht?

    Bis zum 28. Juli sind 20 Aufführungen angesetzt. Kartentelefon: 0821-3244900. Infos im Internet: www.theater-augsburg.de

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