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Porträt: Wie Jazz-Pianist Keith Jarrett nach zwei Schicksalsschlägen kämpft

Porträt

Wie Jazz-Pianist Keith Jarrett nach zwei Schicksalsschlägen kämpft

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    Ein Foto aus besseren Tagen: Keith Jarrett (2011).
    Ein Foto aus besseren Tagen: Keith Jarrett (2011). Foto: Bruno Bebert, dpa

    Es war eigentlich keine Überraschung. Nur mehr die offizielle Bestätigung dessen, was jeder vor gut zwei Jahren schon befürchtet hatte, als Keith Jarrett die Verleihung des „Goldenen Löwen“ bei der Biennale in Venedig „aus Krankheitsgründen“, wie es sibyllinisch hieß, verstreichen ließ.

    Einer wie er, den viele Jazzfans für den größten lebenden Pianisten halten, der aber im Grunde seines Herzens viel lieber in der Klassik erfolgreich gewesen wäre, hätte es sich nie nehmen lassen, in eine Reihe mit Pierre Boulez, Wolfgang Rihm und György Kurtág gestellt zu werden. Der Amerikaner genoss jedes Bad in der Menge und zelebrierte seine öffentlichen Auftritte wie Gotteserscheinungen. Mehr noch: Keith Jarrett projizierte sich und sein gesamtes künstlerisches Schaffen zuletzt ausschließlich über Konzerte. Jeder gespielte Ton, jedes improvisierte Stück sollten Manifeste der Unsterblichkeit werden.

    Jarrett: Linke Seite ist noch immer zum Teil gelähmt

    Doch jetzt scheint diese Phase der irdischen Erleuchtung endgültig vorüber. In der New York Times lüftete der 75-Jährige in der vergangenen Woche das Geheimnis um seine Abwesenheit seit seinem letzten Konzert in der New Yorker Carnegie Hall im Februar 2017: Gleich zwei Schlaganfälle haben ihn aus der Bahn geworfen, der erste im Februar 2018, der zweite drei Monate später. „Meine linke Seite ist immer noch partiell gelähmt. Ich kann versuchen, am Stock zu gehen, aber ich habe über ein Jahr gebraucht, um das zu lernen. Ich kann mich nur sehr schwer in meinem Haus bewegen.“

    Anfangs habe er die Heftigkeit gerade des ersten Schlaganfalls unterschätzt, sagt Jarrett. Nun könne er darauf hoffen, mit der linken Hand irgendwann wieder eine Tasse halten zu können.

    Jarrett: Ende Oktober erscheint eine CD

    Der Marathonmann mit den rauschhaften Improvisationsexzessen war mit einem Mal aus dem Spiel. Fast zwei Jahre habe er in einer Pflegeeinrichtung verbracht, es dort immer wieder einhändig und mit Bebop-Stücken probiert. Eigentlich ein Kompromiss, den auch der legendäre Kollege Oscar Peterson nach einem Schlaganfall eingegangen war, indem er seine Technik umstellte. Nur mit der Rechten spielend, tupfend, auf aberwitzige Läufe, gewaltige Blockakkorde und extreme Tempi verzichtend: Das war für Jarrett, den Perfektionisten, auf dessen Konto mit dem „Köln Concert“ die bestverkaufte solistische Klavieraufnahme aller Zeiten geht, keine Option. Entweder alles oder nichts!

    Wenigstens als Konserve lässt sich Jarretts Genialität noch weiter nachempfinden, denn von jedem seiner Konzerte existiert eine Aufnahme. Die nächste steht am 30. Oktober zur Veröffentlichung an: „Budapest Concert“, eine Doppel-CD von 2016. Und so steht Jarrett in der Phalanx großer Pianisten, deren Karrieren durch Schlaganfälle beendet wurden: Clara Schumann, Thelonious Monk, Glenn Gould und Jacques Loussier.

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