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Porträt: Ein Hoch auf Herbie Hancock, „König des Jazz“

Porträt

Ein Hoch auf Herbie Hancock, „König des Jazz“

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    Er wird 80. Und ist auf diesem auch schon 76. Gut gehalten klingt da fast untertrieben...
    Er wird 80. Und ist auf diesem auch schon 76. Gut gehalten klingt da fast untertrieben... Foto: Shawn Thew, dpa

    In den vergangenen Tagen meldete er sich mehrfach mit Videobotschaften zu Wort, mal um die Instagram-Generation mit dem Namen des vergessenen Sitar-Meisters Ravi Shankar („Einer der wichtigsten Musiker, die je gelebt haben“) zu konfrontieren, der am 7. April 100 Jahre alt geworden wäre, mal um der Welt in Zeiten von Corona Mut zuzusprechen. Es mache ihm Hoffnung, dass die Menschen gerade jetzt die Musik als globale Sprache wiederentdeckt hätten, in Form von Online-Konzerten oder Gesangseinlagen von ihren Balkonen. Er selbst wolle auch so schnell wie möglich wieder live für seine Fans spielen. Seine geplante Europatournee mit Konzerten in Wien (2. Juli) und Stuttgart (13. Juli) wurde bislang zumindest noch nicht offiziell abgesagt.

    In einem Moment wie diesem fällt einem jedoch auch ein Begriff ein, den bis vor kurzem noch keiner auf der Rechnung hatte: Risikogruppe! Wenn Herbie Hancock am Sonntag, 12. April, seinen 80. Geburtstag feiert, dann schwingt dieses hochmoderne Alarmwort ganz automatisch mit. Denn das Leben des Mannes, der jüngst vom britischen „Guardian“ als der „König des Jazz“ geadelt wurde und laut „Time Magazine“ zu den 100 einflussreichsten Menschen der Welt gehört, verlief gelinde gesagt mehr als nur bewegt. Musikalische und andere Abenteuer führten den 1940 in Chicago als Sohn einer afroamerikanischen Mittelstandsfamilie geborenen Tastenkünstler nicht bloß einmal an den Rand von Klippen. Seine jahrzehntelange Crack-Abhängigkeit, die er zu seinem 60. Geburtstag endlich besiegt hatte, war nichts weiter als ein Produkt seiner lebenslangen Neugier. „Ich wollte sehen, wovon da alle redeten. Also habe ich es probiert. Als ich es zum ersten Mal inhaliert habe, wusste ich, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte“, gestand er. Geholfen hätten ihm seine deutsche Frau Gudrun Meixner, mit der er seit 1968 verheiratet ist, und seine Tochter.

    Krank und schwach? „Soweit möchte ich nie kommen“

    Inzwischen erfreut er sich bester Gesundheit und genießt jede Sekunde des Lebens. Denn auch seine hochriskanten musikalischen Grenzgänge hätten ihm gut und gerne jede Reputation als einer der wichtigsten Pianisten des Jazz kosten können. Mit Miles Davis agierte er in dessen legendären Quintett auf Augenhöhe und schaffte schon mit seinem Debütalbum „Takin’ Off“ (Blue Note) 1962 den Durchbruch. Der darauf enthaltene Song „Watermelon Man“ gilt bis heute als eines der wichtigsten und meistgecoverten Jazzstücke überhaupt. Damals sei er selbst noch „ein richtiger Jazzsnob“ gewesen, erinnert sich Hancock. Doch weil Miles nicht bloß Jazz, sondern Jimi Hendrix, Manitas de Plata, Cream und die Rolling Stones hörte, öffnete sich dessen damaliger Pianist anderen Einflüssen.

    Nie in Routine verfallen, lautet bis heute Hancocks Credo: „Ich schaue mich um und sehe, was in der Musik zur Konvention geworden ist. Und dann überlege ich mir, wie ich das brechen kann. So entsteht Innovation. Das hält mich am Laufen.“ Auf diese Weise schaffte es der bekennende Buddhist vom Jazz-Shooting- zum Weltstar, einmal quer durch alle Genres und wieder zurück. Rock, Pop, Funk, R’n’B, Electronica, Techno, HipHop: Es gibt kein Feld, auf dem Herbie Hancock nicht schon gegrast hätte. Er gilt als Wegbereiter des E-Pianos, des Synthesizers und anderer technischer Spielereien. Als Pionier des Einsatzes von Computern in der Musik, als Tabubrecher, auf dessen Konto mit „Rockit“ der größte instrumentale Pophit der 1980er Jahre ging. Als Groove-Spezialist und Disco-Intellektueller. Als Erfinder des „New Standard“, mit dem er 1996 Popsongs von Kurt Cobain, Peter Gabriel, Prince und Steely Dan in den Jazz überführte. 2007 gab es für „River: The Joni Letters“ einen Grammy als „Album des Jahres“, den Oscar für die beste Filmmusik hatte er schon 1986 für das Jazz-Drama „Um Mitternacht“ von Bertrand Tavernier bekommen. Kann so einer wirklich auch nur eine Sekunde daran denken, alle fünfe grade sein zu lassen?

    „Ich habe oft beobachtet, wie bei Leuten, die keine Aufgabe mehr haben, schon hinter der nächsten Ecke der Tod lauert. Ihr Leben ist leer, ohne Sinn“, sagte Herbie Hancock vor zehn Jahren im Gespräch mit unserer Redaktion. „Sie werden krank und schwach. Soweit möchte ich nie kommen, nie! Für mich gibt es keinen Ruhestand. Es wird immer weitergehen, bis zu meinem letzten Atemzug!“ Die klassische Rezeptur des Jazz.

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