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Pinakothek der Moderne: Ein neues Kapitel im Lebenswerk Gerhard Richters

Pinakothek der Moderne

Ein neues Kapitel im Lebenswerk Gerhard Richters

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    Gerhard Richter: 21.2.2020, Bleistift und Ölkreide, 27 mal 40 Zentimeter
    Gerhard Richter: 21.2.2020, Bleistift und Ölkreide, 27 mal 40 Zentimeter Foto: dpa

    Seine Ölmalerei hat Gerhard Richter erklärtermaßen im vergangenen Jahr aufgegeben. Dafür braucht es sein großes Kölner Atelier nicht mehr, wo doch in den vergangenen Jahrzehnten – zurückgezogen – die delikatesten Abstraktionen entstanden. Dass sich für den mittlerweile 89-Jährigen durch Corona zunächst jedenfalls kaum etwas verändert hatte, nimmt man ihm ungeprüft ab. Seit langem gilt für seine Person die Lebens-Faustregel: je renommierter, desto stiller im Abgeschiedenen.

    Das Malen in Öl also ist beendet – Richter gab es trocken zu Protokoll –, doch in der Corona-Anfangsphase, im Frühjahr 2020, entstand dennoch ein Werkkonvolut in Köln: Arbeiten auf Papier – mal rein in Tusche, mal rein mit Bleistift (und Radiergummi), mal mit Buntstift und Farbölkreiden. So, wie der alte Richard Strauss tiefstapelnd noch meisterhafte „Handgelenksübungen“ komponieren konnte, so schöpfte der alte, kunstweise Richter im Frühjahr 2020 eine ganze Reihe von Bildsetzungen im Kleinformat (maximal 27 mal 40 Zentimeter), von denen auf dieser Seite rechts eine der schönsten, weil ausdifferenziertesten zu sehen ist. Mag sich das Œuvre Richters auch langsam vollenden: Auch auf diesem Blatt zeigt er fein, zart, introvertiert noch einmal seine überragende Klasse.

    Zu sehen sind diese Arbeit und 53 weitere Zeichnungen derzeit in der Münchner Pinakothek der Moderne – als Ausstellung der Staatlichen Graphischen Sammlung. Einige Werke davon werden in München verbleiben, da die Freunde der Moderne-Pinakothek mit glücklicher Hand eine Auswahl für die Graphische Sammlung erworben haben – wenn auch nicht das Blatt oben.

    Ein neues Kapitel im Lebenswerk Gerhard Richters

    Dreigeteilt ist die Kabinett-Schau: Elf Bleistift-Zeichnungen in nuanciert abgestuften Grautönen sind kombiniert mit 23 doppelseitigen, in der Hauptsache ebenfalls graugetönten Tuschfederzeichnungen, dazu zwanzig Farbstift-Zeichnungen – ein neues Kapitel im Lebenswerk Richters, der gleichwohl seit seinen Anfängen sporadisch immer wieder gezeichnet (und aquarelliert) hat.

    Gerhard Richter
    Gerhard Richter Foto: dpa

    Aber nun ist er, eben mit diesen Farbstiftzeichnungen, jenen Weg gegangen, den er seit seinen frühen gegenständlichen Schwarz-Grau-Weiß-Malereien der 1960er-Jahre auch in Öl gegangen ist: den Weg in die Farbe.

    Aber nicht nur in dieser Hinsicht drängt sich dem – sich Zeit nehmenden Besucher – die vergleichende Betrachtung mit Richters (abstrakter) Malerei auf, begegnen ihm doch in jeder der drei Abteilungen gewisse Gestaltungsweisen, Prinzipien, Techniken und Wirkungen wieder, die auch in Richters wandfüllenden, betörenden Öl-Abstraktionen herrschen.

    Gerhard Richter schafft ein virtuos ausbalanciertes Chaos

    Als da wären bei den Farbstift-Zeichnungen: Frottage-Passagen, Farbschichtungen sowie Ritzungen, die eine tiefer gelegene Schicht freigeben. Bei den Federzeichnungen wiederum ist es der kalkulierte Zufall in Form von Tusche-Klecksen, die zu Assoziationen und damit zu entsprechenden Entscheidungen der Weiterarbeit führen (eine tradierte Sichtweise von Leonardo da Vinci über Victor Hugo, Salvador Dalí bis hin zu Richter). Und die Bleistiftzeichnungen schließlich mit ihren diffizilen Tönungen und dezenten Anklängen an Wirklichkeiten (Horizont, Berggipfelkette, Sternbild, Sternnebel, Wolken-Formationen, Lichtblitze) gemahnen auch an jene frühen Abstraktionen, da Richter noch Naturlichterscheinungen wie Morgen- und Abendhimmel in seine Malerei einbaute. Es bedarf keiner großen Imaginationskraft, in diesen Bleistift-Zeichnungen gehauchte Kolorierung zu empfinden.

    Immer aber zeigen die 54 Zeichnungen, die übrigens in Teilen von drei grauen Spiegeln Richters reflektiert werden, wie konstruktiv der Zeichner auf seine ersten Papiersetzungen reagiert und damit Struktur, Raum, Perspektiven-Andeutungen, Tiefe schafft. In der exzeptionellen Farbstiftzeichnung oben treffen scharfes Lineament auf Farbnebel, Krickelaturen auf Farbabriebe. Ein virtuos ausbalanciertes Chaos. Und wieder die Ansicht einer Welt und die Ansicht von Ereignissen darin, die uns bislang unbekannt …

    Sehr gut möglich, dass Gerhard Richter bei seinen Farbstiftzeichnungen 2020 empfand, was er nicht lange zuvor auch nach einer anderen Werkreihe empfunden hatte: „Die kleinen Abstrakten Bilder ... waren eine Erholung, eine Art Altersleichtsinn – ich muss nichts mehr beweisen, ich darf mich etwas gehen lassen. Nicht unkontrolliert, aber nicht mit einem so ausgesprochenen Willen oder einem Ziel.“

    Nein, Richter muss in der Tat (sich) nichts mehr beweisen. Aber unfreiwillig hat er es dann doch getan. Und das ist kein Zufall.

    Gerhard Richter: „54 Zeichnungen, 3 Graue Spiegel, 1 Kugel“. Pinakothek der Moderne bis 22. August. Der Katalog ist ein sogenanntes Künstlerbuch: 68 Euro (112 Seiten mit 61 ganzseitigen Abbildungen)

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