Das Leben gilt es zu begreifen – durch die Erkenntnis der Macht. Alles ist von Macht unterfüttert und durchwebt – Politik, Wirtschaft, Beruf, Familie. Überall gilt es sich zu behaupten, oftmals auch durchzusetzen, die Welt in all ihren Facetten zu berühren und – so weit es geht – zu gestalten.
Ignatius von Loyola hat dazu einmal festgestellt, dass die Erkenntnis erst wirklich gelinge durch das „Verkosten von innen her“. Dieses Phänomen kann nun wirklich real erfaßt werden, wenn man zu dem Buch „Kleine Philosophie der Macht“ greift. Der Autor gehört wohl zu den ganz wenigen, die das thematische Monster der Macht von innen verkosten lassen können: Er ist ein Philosoph, ein Rechtswissenschaftler, ein Politikwissenschaftler. Er hat es überall auf die oberste Stufe des akademischen Lebens geschafft. Kurzum: Der Autor ist im klassischen Sinn ein Gelehrter. Seine Biografie zeigt zudem: keinesfalls konfliktscheu.
In jedem Augenblick unseres Lebens bewegen wir uns in Machtprozessen. Bereits die Wahl eines Begriffs in unserer sprachlichen Kommunikation ist eine Machtentscheidung – und dann in besonderer Weise jede Komplexitätsreduzierung, die wir vornehmen (müssen), weil sich die Gesamt-Komplexität in ihrer Vielschichtigkeit der Vermittelbarkeit entzieht.
Immer wieder ist uns dabei die Welt der Symbole behilflich – das wird nun im digitalen Zeitalter höchst schwierig. Die immer schnelleren Informationen erscheinen kontextlos. Wir verlieren die Symbolsprache und werden auch dadurch misstrauischer. Die Misstrauensgesellschaft aber muss immer mehr ohne den eigentlichen Sauerstoff unseres politischen und sozialen Lebens auskommen: Vertrauen.
Der Autor wendet sich – nachdem er den Einstieg über die Machtdimension der Sprache gewählt hat – einer zweiten Erkenntnis zu: der Anbetung der Macht: „Nichts erhellt die Bedeutung des Phänomens der Macht deutlicher als ihre unverhohlene Anbetung. Die Anbetung und Beschwörung himmlischer Allmacht ist jedoch nur die spektakulärste Form des ihr unverhohlen gezollten Tributes. Auch im politischen und sozialen Raum herrscht eine mehr oder minder deutlich gelebte und respektierte Apotheotik der Macht.“
Nach dieser ganz elementaren Begründungswelt der Macht gelangt der Leser zu jenem handfesten Kern, nach dem er von der ersten Zeile des Buches fahndet: Herkunft und Formen der Macht. Es führen viele Wege zur Macht, kriegerische wie friedliche, Geld und Gold. Und dann erkennen wir eine Machtquelle, die aktuell deutlich an Relevanz gewinnt: die Macht der Mentoren. Hier verweist das Buch auf konkrete Karrierestrukturen vom Abgeordneten bis zum Bischof, vom Professor bis zum Regierungschef.
Und dann hält man als Leser den Atem an, wenn man die unendlich vielen, höchst unterschiedlichen Gesichter der Macht erfährt. Vom Hellseher bis zum Geheimdienstchef gleitet der Blick bis hin zur Macht der Schönheit und der Fantasie.
Es ist nur ein kleiner gedanklicher Schritt zum nächsten Schlüsselkapitel des Buches: Macht und Ethik. Sofort bleibt der Leser an der wesentlichen Erkenntnis hängen: „Wer Macht hat, tut gut daran, im Umgang mit den dieser Macht Unterworfenen die durch Gesetze der Gemeinwohlverträglichkeit definierten Interventionsgrenzen zu wahren, um nicht unversehens Opfer einer – durch Grenzüberschreitungen provozierten – Gegenmacht zu werden.“
So fallen dem Leser fast ungewollt die Schlüssel zum Gelingen von Macht und Ethik zu: Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeitssinn, Einfühlsamkeit, Fürsorglichkeit. In der Politik fehlt einiges von diesen Dispositionen.
, Steiner Verlag, Stuttgart 2018, 130 Seiten, 19,90 Euro