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Philosophie: Es ist Unsinn, über Gott zu reden

Philosophie

Es ist Unsinn, über Gott zu reden

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    Ludwig Wittgenstein, fotografiert unter Wittgensteins Anleitung vom Freund Ben Richards 1947 im walisischen Swansea.
    Ludwig Wittgenstein, fotografiert unter Wittgensteins Anleitung vom Freund Ben Richards 1947 im walisischen Swansea. Foto: Foto: Wittgenstein Archive Cambridge, dpa

    Es gibt nicht wenige Sätze in diesem dünnen Buch, die legendär geworden sind. Darunter der letzte: „7 Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Denn gemeint ist damit ja Wesentliches von dem, was die Philosophie bis dahin über 2000 Jahre hinweg beschäftigt hat: die Moral, der Sinne des Lebens, Gott … Und zuvor schon: „5.6 Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt …“ Oder: „5.632 Das Subjekt gehört nicht zur Welt, sondern es ist eine Grenze der Welt.“

    Gedanken wie in Marmor gemeißelt sind das, präsentiert wie Verordnungen. Mit einem Zahlensystem im Aufbau geordnet und in der Hierarchie gegliedert – wie ein mathematischer Beweis. Oder das Gesetzbuch. Es beginnt also mit: „1 Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Und geht weiter: „1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.“ Wobei das bereits auf ein legendäres Vorwort folgt, in dem steht: Dem Verfasser scheine „die Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken unantastbar und definitiv. Ich bin also der Meinung, die Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben.“ Und gemeint sind eben die Probleme der ganzen Philosophie. Gezeichnet: „Wien, 1918. L.W.“ Ein Größenwahnsinniger? Oder ein Genie?

    Ein Freiwilliger an der vordersten  Kriegsfront

    Tatsächlich sollten diese Paragraphen das Nachdenken über den Menschen revolutionieren. Aber dazu mussten sie erst einmal in die Welt kommen. Und das ist eine zunächst ganz konkret abenteuerliche Geschichte. Denn jener „L.W.“ war 1918 ein Leutnant auf Fronturlaub in seiner Heimat Wien. Ludwig Wittgenstein: Geboren 1889 als jüngstes von acht Kindern einer sehr wohlhabenden Familie, die mit künstlerischem Talent so reich gesegnet war, dass Bruder Paul trotz des Verlustes seines rechten Arms im Krieg danach noch als Konzertpianist reüssieren konnte; die aber auch von seelischem Dunkel so durchsetzt war, dass sich drei andere Brüder das Leben nahmen.

    Ludwig hatte sich aus einem existenziellen Bedürfnis heraus freiwillig an die vorderste Front gemeldet. Und als er nun mit dem Manuskript in der Tasche dorthin zurückkehrte, geriet er kurz vor Waffenstillstand im November noch in Gefangenschaft in Italien. Dort saß er also fest vor jetzt 100 Jahren mit seinem Buch, das doch alle Fragen der Philosophie klären sollte – und konnte selbst hier auf die Vermittlung zweier der größten Denker jener Zeit bauen: des Jahrhundertökonomen John Maynard Keynes und des späteren Nobelpreis-Literaten Bertrand Russell.

    „Gott ist angekommen. Ich traf ihn im Fünf-Uhr-Fünfzehn-Zug.“

    Wittgenstein war 1912, mit gerade mal Anfang 20, in der Elite-Universität von Cambridge zu deren Freund geworden. Weil er sich während seines Ingenieurstudiums zu Höherem berufen fühlte, als die Nachfolge seines Unternehmervaters anzutreten – und weil bei einem eigentlich dreist ertrotzten Besuch des jungen Ludwig der Jenaer Philosoph Gottlob Frege dessen außerordentliches Talent entdeckte und vermittelte. Wittgensteins verständiges Interesse für deren Debatten über die Logik schien jedenfalls vielversprechend. Ein Genie also?

    Später jedenfalls, als Ludwig nach Cambridge zurückkehrte, sollte Keynes das mit den Worten melden: „Gott ist angekommen. Ich traf ihn im Fünf-Uhr-Fünfzehn-Zug.“ Und als er dort zum Philosophieprofessor berufen werden sollte, wandte selbst sein erbittertster Gegner C. D. Board ein: „Wenn man Wittgenstein den Lehrstuhl abschlüge, dann wäre das so ähnlich, als würde man Einstein den Lehrstuhl für Physik abschlagen.“ Denn aus seinem Manuskript (1921 erstmals veröffentlicht) war 1924 gleich auch auf Englisch das Buch mit dem sperrigen Titel „Tractatus logico-philosophicus“ geworden (nicht eben bescheiden angelehnt an Spinozas „Tractatus theologico-politicus“ aus dem Jahr 1670). Eine Abhandlung über Logik und Philosophie also, die dem Denken eine neue Richtung verlieh durch den sogenannten „linguistic turn“, die Wendung zur Sprachwissenschaft. Siehe: „4.0031 Alle Philosophie ist ‚Sprachkritik‘.“

    Mit Kant stand das Verstehen desMenschen selbst im Fokus 

    Immanuel Kant hatte dereinst in seiner „Kritik der reinen Vernunft“ festgestellt, dass der Mensch in all seiner Erkenntnis auf die Bedingungen seines Erkennens selbst beschränkt sei und also letztlich nichts wissen könne von Gottes Existenz und über die Welt an sich. Eine „kopernikanische Wende“, weil – wie beim Tausch von Sonne und Erde im Zentrum des Weltbildes – jetzt für das Menschbild das Verstehen des Menschen selbst statt die Erkenntnis der ihn umgebenden Zusammenhänge im Fokus stand. Wittgensteins Wende nun ging weiter und untersuchte, worin sich Erkenntnis ausdrückt – und landete bei der Sprache. Sein Befund im „Tractatus“ erschien wie ein Begräbnis dessen, was Ethik und Metaphysik heißt: der Fragen von Moral und Freiheit, Gott und Sinn also.

    Wenn die Philosophen nämlich über diese Themen gesprochen hätten, wären sie der Vieldeutigkeit der Umgangssprache, die sich dieser Begriffe bedient, auf den Leim gegangen. Oder hätten sich diese bedeutungsvoll raunend zu nutze gemacht – mit allen Widersprüchen in der Folge. Voraussetzungen für tatsächliches Wissen aber sei ein eindeutiges, logisches System. Schon im Vorwort heißt es: „Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen.“ Und: „Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.“ Wittgenstein zeigt, welche Erkenntnis die Logik der Sprache als Abbild der Welt zulässt – und dass es Unsinn ist, über Gott und die Moral zu sprechen. In der Philosophie.

    Wie ernst es Wittgenstein damit war, verdeutlichen auch die Konsequenzen für sein eigenes Leben. Nach diesem einen und einzigen zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Buch verschenkte er sein ganzes Vermögen und zog sich, immer noch erst Mitte 30, komplett aus dem akademischen Denken und der durch ihn initiierten, fortan auflebenden „analytischen Philosophie“ zurück. Er arbeitete zeitweise als Gärtnergehilfe im Stift Klosterneuburg und wurde Volksschullehrer.

    Der Wert der Welt muss außerhalb von ihr liegen

    Allerdings mit einem Motiv, das bereits wesentlich zum Ende des „Tractatus“ aufscheint und oft übersehen wird. „6.41 Der Sinn der Welt muss außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, es gibt in ihr keinen Wert. Wenn es einen Wert gibt, kann er nicht in der Welt liegen. Er muss außerhalb der Welt liegen.“ Und „6.432 Gott offenbart sich nicht in der Welt. / 6.44 Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist.“ Schließlich: „6.52 Selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, sind unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.“ Und: „6.522 Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“

    Die Sprache begrenzt die Welt als die, von der wir wissen können. Was darüber hinausgeht, kann also nicht logisch gesagt oder abgleitet werden. Es kann sich uns nur zeigen, in Religion oder Kunst (auch in der Sprache der Dichtung). So räumt Wittgensteins Begrenzung von Wissenschaft und Logik den Raum frei für etwas, das er selbst Mystik nennt. Noch so ein berühmter Satz: Wer nämlich seine Argumentation verstehe (6.54), „muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.“

    Das kann uns heute noch lehren: 1. Mit einem solchen Begriff von Religion ist keine Politik zu machen. 2.1 Bei Wittgenstein studierte später ein Mann namens Alan Turing, der als Logiker zu einem Vater der Künstlichen Intelligenz werden sollte. 2.2 Der Mensch reicht wesentlich über das hinaus, was aus einer Maschine je werden könnte. Das gilt es zu schützen und zu verteidigen.

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