Vor 30 Jahren wurde in Deutschland ein Staat abgewickelt. Das Volk wollte die Ordnung nicht mehr, in der angeblich alles in seinem Namen geschah. Die Ostdeutschen spürten erst später, dass sie mit der Abwicklung auch ein Stück von sich selbst abwickelten. Sichtbar von der Arbeiter- und Bauernmacht zeugt heute noch ihre Architektur. Teilweise wird sie genutzt, teilweise liegt sie in Ruinen, teilweise verschwindet sie. Der Fotograf Andreas Metz will sie mit seinen Bildern für die Erinnerung bewahren. Sein Band „Ost-Places“ ist ein Bildgedächtnis des Verfalls, aber auch des Weiterlebens. So wie das DDR-Erbe im Osten Deutschlands weiterlebt. „Dreißig Jahre nach dem Ende der DDR habe ich beobachtet, dass sich das Reden über den Osten ändert“, erzählt Metz. Die Ostdeutschen, meint er, bekennen sich jetzt stärker zu ihrem Erbe, das der Westen lange für ungenießbar erklärt hatte. „Wir haben eine neue Phase der Transformation.“
Kosmonaut Gagarin ziert überdimensional eine Fassade in Erfurt
Metz, der vom Main aus der Frankfurter Ecke stammt, hat vor kurzem sein Buch in Erfurt vorgestellt. Dort ziert der Kosmonaut (Astronaut wäre der falsche Begriff) Juri Gagarin überdimensional die Fassade eines Hauses. Es steht an der Straße, die seinen Namen trägt. Gagarin war der erste Mensch im All. Im Herbst vergangenen Jahres kehrte in der Thüringer Hauptstadt nach vierjähriger Restaurierung das Großmosaik „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“ des spanischen Künstlers Josep Renau wieder an den Moskauer Platz zurück. Es ist Monumentalkunst auf sieben mal 30 Metern, eingerahmt von Plattenbauten. Das Jugendzentrum, wo es vorher hing, hatten die Bagger erledigt. Die Erfurter hatten darum gekämpft, dass ihr Mosaik in neuem Glanz erstrahlt. Genau das ist es, was Metz meint. Vielleicht ist es hässlich, aber es gehört zu uns.
Während ein Teil des Alten wiederentdeckt wird, weil es Heimat ist, geht es anderswo verloren oder ist bedroht. Prominentestes Beispiel ist das DDR-Rechenzentrum in Potsdam, das der Auferstehung der Garnisonkirche weichen soll. In der Stadt wird seit Jahren darüber gestritten. Zuletzt schien sogar eine Lösung möglich, wonach ein halbes Rechenzentrum übrig bleiben könnte. In Potsdam werkeln reiche Zugezogene wie Hasso Plattner und Günter Jauch an ihrem Preußentraum. Sie haben der Stadt viel gegeben, wenngleich ihnen die baulichen Hinterlassenschaften des Sozialismus hinderlich vorkommen.
Andreas Metz hat für "Ost Places" viele verlassene Orte besucht
Andreas Metz ist auch durch die Ruinen gestapft, zum Beispiel durch die verbotene Bunkerstadt Wünsdorf in Brandenburg. Dort hatten die Streitkräfte des großen Bruders aus der Sowjetunion ihr Hauptquartier errichtet. Im Theatersaal der Kaserne hängt noch heute der Vorhang, der für die Sowjetsoldaten hier 1994 fiel. Ungenutzt gammeln Kasernen, Wohnblöcke und Liegenschaften von Roter Armee und Nationaler Volksarmee in den Wäldern Ostdeutschlands. Zweifelsohne ist davon vieles nicht erhaltenswert.
10.000 Fotos hat Metz auf dem Gebiet der ehemaligen DDR geschossen. 500 haben es in sein Buch geschafft. Darunter sind nicht nur Ikonen des Sozialismus und Ruinen, sondern auch Lampen, Hausfassaden und Zäune aus Betonformsteinen, die in der DDR zur eigenen Kunstform wurde. „Mir als Westdeutschem sticht das ins Auge“, erzählt Metz. Er ist ostblockbegeistert, verdient sein Geld als Sprecher des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft. Wenn er Zäune aus Beton fotografiert, fragen ihn aber auch die Ostdeutschen entgeistert, was er da eigentlich macht.
Andreas Metz: Ost Places. Neues Leben, 208 S., 19,99 Euro.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Liebhaberin von Ludwig I., Hochstaplerin, Tänzerin: Wer war Lola Montez?
- Erfüllte Liebe, unerfüllte Träume - Eindrücke vom Festival der Nationen
- Neuer Roman "Funkenmord": Kluftinger im Gender-Dschungel