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Oscars 2020: Oscar für "Parasite": Der letzte Weckruf für Hollywood

Oscars 2020

Oscar für "Parasite": Der letzte Weckruf für Hollywood

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    Bong Joon-ho zeigt seine vier erhaltene Oscars für den Film "Parasite" bei der diesjährigen Oscar-Verleihung im Dolby Theatre.
    Bong Joon-ho zeigt seine vier erhaltene Oscars für den Film "Parasite" bei der diesjährigen Oscar-Verleihung im Dolby Theatre. Foto: Richard Shotwell, Invision, dpa

    Es gibt da diese unvergessliche Stelle in Bernardo Bertoluccis Spätwerk "Die Träumer". Während sich draußen die Welt rasant verändert, liegt das hübsche Trio an Filmvernarrten versteckt in einem Zelt aus Decken im Wohnzimmer, nackt schlafend ineinander verkeilt. Und als Eva Green, die Frau zwischen Bruder und Geliebtem, erwacht und feststellt, dass dieses Dasein abseits aller Moral nur für sich, einander und die große Filmkunst wohl ein Ende haben muss, weil die Eltern zurück sind und sie bereits entdeckt haben: Da leitet sie mit dem Gartenschlauch Gas aus der Küche ins Wohnzimmer und legt sich wieder zwischen die beiden Männer – dann lieber sterben, als die Träume aufgeben! Bis plötzlich ein Stein von draußen durch die Scheibe schlägt, frische Luft und engagierte Rufe von Demonstranten hereindringen. Der Bann ist gebrochen, die Blase geplatzt, das Filmmärchen vorbei: Hinaus mit ihnen in die Welt!

    Oscar-Verleihung 2020: Bei den Darstellern wurden ausnahmslos die Favoriten gekürt

    Ein solcher Stein ist bei diesen Oscar-Verleihungen nun auch durch die Scheibe des altehrwürdigen, morbid charmanten Palais namens Hollywood gebrochen. Denn viel hätte nicht gefehlt, und man hätte den Eindruck gewinnen können, dass sich die Weltmarke des Films, während sich draußen die Welt rasant ändert, langsam zum Sterben bereit macht, teilweise inzestuös in sich selbst verkeilt, aber noch immer schmachtend ob der eigenen großen Vergangenheit. Selbst reif für jenes Museum, das ja nun tatsächlich, so durfte Tom Hanks bei der Oscarverleihung verkünden, Ende dieses Jahres endlich in Los Angeles eröffnen soll.

    Die Gewinner der Oscar-Verleihung 2020

    Bester Film: "Parasite" von Bong Joon Ho

    Regie: Bong Joon Ho für "Parasite"

    Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix in "Joker"

    Hauptdarstellerin: Renée Zellweger in "Judy"

    Nebendarstellerin: Laura Dern in "Marriage Story"

    Nebendarsteller: Brad Pitt in "Once Upon a Time in Hollywood" 

    Internationaler Film: "Parasite" von Bong Joon Ho

    Kamera: Roger Deakins für "1917"

    Original-Drehbuch: Bong Joon Ho und Han Jin Won für "Parasite"

    Adaptiertes Drehbuch: Taika Waititi für "Jojo Rabbit"

    Schnitt: Michael McCusker und Andrew Buckland für "Le Mans 66: Gegen jede Chance"

    Filmmusik: Hildur Gudnadóttir für "Joker"

    Filmsong: "(I'm Gonna) Love Me Again" von Elton John und Bernie Taupin (für "Rocketman")

    Produktionsdesign: Barbara Ling und Nancy Haigh für "Once Upon a Time in Hollywood"

    Tonschnitt: Donald Sylvester für "Le Mans 66 - Gegen jede Chance"

    Tonmischung: Mark Taylor und Stuart Wilson für "1917"

    Visuelle Effekte: Guillaume Rocheron, Greg Butler und Dominic Tuohy für "1917"

    Animationsfilm: "A Toy Story: Alles hört auf kein Kommando" von Josh Cooley 

    Animations-Kurzfilm: "Hair Love" von Matthew A. Cherry, Everett Downing Jr. und Bruce W. Smith

    Dokumentarfilm: "American Factory" von Steven Bognar und Julia Reichert

    Dokumentar-Kurzfilm: "Learning to Skateboard in a Warzone (if you're a Girl) von Carol Dysinger

    Make-up/Frisur: Kazu Hiro, Anne Morgan und Vivian Baker für "Bombshell - Das Ende des Schweigens"  

    Kostümdesign: Jacqueline Durran für "Little Women"

    Kurzfilm: "The Neighbors' Window" von Marshall Curry (dpa)

    Als wäre in den vergangenen Jahren nichts gewesen, als hätte es keine Debatten über die noch immer viel zu weiß und noch immer viel zu männlich dominierten Oscars gegeben – Hollywood feierte am Sonntagabend vor den Augen der Welt eine so lange und wieder ohne durchgehenden Moderator so langatmige Nummernrevue, dass in solcher selbstsatten und lebensmüden Dekadenz erst gar keine Überraschungen mehr zu erwarten waren. Und so wurden dann halt ausnahmslos die Darsteller-Favoriten gekürt: Joaquin Phoenix und Reneé Zellweger, Laura Dern und Brad Pitt, alle arriviert und immerhin außer Zellweger bislang noch unprämiert.

    "Little Women" erhält nur einen Oscar. Für das beste Kostüm

    Dazwischen ein bisschen peinliches Witzeln über das eigene Versagen, weil: Wie dramatisch sich die Academy doch verändert habe, bei der Premiere 1929 sei noch kein einziger afroamerikanischer Darsteller nominiert gewesen – jetzt, 2020 aber: einer! Bloß ging halt auch Cynthia Erivo für "Harriet" ohne Preis aus. Sie durfte aber hübsch singen und so neben Auftritten von Eminem und Billie Eilish für ein bisschen Abwechslung sorgen. Wie auch als einzige, prominente nominierte Produktion aus Frauenhand Greta Gerwigs "Little Women" praktisch leer ausging und den einen Oscar ausgerechnet erhielt für: "Bestes Kostüm"! Unfassbar. Ein Fiasko, Ruhe sanft Hollywood … Und dabei hatte sich die das alles wählende Academy mit ihren gut 8000 Mitgliedern doch zuletzt deutlich verjüngt – Durchschnittsalter ist nun 50 – und verweiblicht – Frauenquote ist nun fast genau ein Drittel …

    Es hätte jedenfalls zu gut zu diesem Abend und dem Zustand Hollywoods gepasst, wenn dann auch noch Quentin Tarantino für seine Filmwelt-Hommage "Once upon a Time in Hollywood" den Regie-Oscar bekommen hätte; und Martin Scorseses vielleicht noch den als "Besten Film" für seine Hommage an sich selbst und seine immer gleichen Darsteller De Niro, Pacino, Pesci, mit dem Mafia-Epos. Erwartet worden war aber das vielleicht noch Schlimmere, Sam Mendes für "1917" in beiden Kategorien zu ehren, also mal wieder einen pathetischen, in Teilen ärgerlich kitschigen Kriegsfilm, bloß weil der als fragwürdiges, technisches Kabinettstückchen gedreht wurde, das es ermöglicht, den Ersten Weltkrieg im Sog eines Shooter-Computer-Spiels mitzuerleben.

    Erstmals gewinnt eine nicht-englischsprachige Produktion die Kategorie "Bester Film"

    Aber dann flog der Stein. Er kommt aus Südkorea, heißt "Parasite", ist ein so kluges wie bitterböses Sozialdrama – und bringt hoffentlich frische Luft und engagierte Rufe ins altehrwürdige, morbid charmante Palais, das doch eigentlich nach wie vor beansprucht, das Zentrum der Filmwelt zu sein. Aber nun kommt erst mal die Welt hier zum Zuge. Zum ersten Mal gewann mit Bong Joon-hos Werk ein nicht-englischsprachiger Film die Auszeichnung, nicht nur als "Bester internationaler Film", sondern auch die als "Bester Film" – der Macher dazu noch "Beste Regie", "Bestes Originaldrehbuch" … Der Südkoreaner war jedenfalls völlig überrascht, Hollywood irgendwie auch aus dem Häuschen. Wohl über sich selbst. Weil: Schau an, das ist jetzt auch möglich bei uns!

    Genau das wird die Gefahr jedenfalls sein: Dass wie in Sachen Weiß und Weiblich ein Strohfeuer wie das Signal einer Öffnung wirkt, sich aber letztlich nichts verändert bei den Oscars und in Hollywood. Die Beharrungskräfte scheinen riesig – und die Herausforderungen sind es freilich auch: Einen globalen Filmmarkt abbilden, die Diversität der Gesellschaft, einen Weg für den Umgang mit den Produktionen der Streaming-Dienste finden! Da gingen übrigens mit Scorseses "The Irishman" und Noah Baumbachs "Marriage Story" die diesjährigen, prominent nominierten Kandidaten nahezu leer aus (nur Laura Dern aus dem Scheidungsdrama). Und bei all dem will man ja auch nicht, dass nach Quote entschieden wird, sondern nach Qualität! Insofern hat es Bong Joon-ho mit seinem "Parasite" der Academy noch relativ leicht gemacht. Der ist eine Wucht! Aber das war ja auch schon vergangenes Jahr Alfonso Cuarons "Roma", für den die Academy aber noch nicht die Traditionen brach, vielleicht auch weil er zur Fremdsprachigkeit hinzu auch noch von Netflix war.

    Zu was ist Hollywood zukünftig in der Lage?

    Aber künftig muss nach diesem Stein, diesem Weckruf nun noch viel mehr möglich sein. Zum Beispiel hätte der vielleicht beste Antonio Banderas, der je zu sehen sein wird, für seine Darstellung im spanischen Film "Leid und Herrlichkeit" als "Bester Hauptdarsteller" prämiert werden können. Man darf gespannt sein, zu was Hollywood, die Traumfabrik, in der Lage sein wird.

    In Bertoluccis "Die Träumer" reißt Eva Green nach dem Steineinschlag die Fenster auf, wickelt den Schlauch heimlich zurück in die Küche, von draußen dröhnt plötzlich das pulsierende Leben herein. Es ist 1968 in Paris. Als ihre beiden Männer aufwachen und fragen, was los sei und was hier so stinke, sagt sie nichts vom Gas, mit dem eben noch alles enden sollte, sondern: Das komme alles von draußen – "die Straße ist zu uns gekommen". Es ist, als wäre der möglich Tod bloß Teil einer Filmfantasie gewesen.

    50 Jahre liegt auch die letzte Revolution in Hollywood zurück. Jetzt, wo dessen Helden wie Scorsese und dessen Verehrer wie Tarantino selbst die großen Alten sind, ist Zeit für ein neues Erwachen. Ein neues "New Hollywood". Aber ohne "America First". Das wäre was!

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