Größte Gewinnerin: Das Besondere verliert seinen Status nicht dadurch, dass man es erwartet. Die chinesischstämmige Regisseurin Chloé Zhao galt mit ihrem Roadmovie „Nomadland“ über moderne Wanderarbeiter in den USA als eine Favoritin. Zwei Oscars nahm sie entgegen, für den besten Film und die beste Regie. Man kann also kaum mehr in einem Jahr gewinnen (zusätzlich über 200 internationale Film- und Festivalpreisen), man kann aber auch kaum bescheidener auftreten als die 39-Jährige. „Egal, wohin in der Welt ich gegangen bin, ich habe immer Güte in den Menschen entdeckt“, bedankte sich Zhao, die als zweite Frau nach Kathryn Bigelow für Regie ausgezeichnete wurde und als erste Nicht-Weiße! Zum ersten Mal auch waren überhaupt zwei Frauen nominiert. Eine Besonderheit dann aber auch das: Wichtige chinesische Staatsmedien berichteten am Montag zunächst überhaupt nicht über die Verleihung des Preises an Zhao, die ihre Kindheit in China verbracht hatte. In sozialen Netzwerken wurden Beiträge zum Thema teilweise gelöscht. Ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums lehnte einen Kommentar mit der Begründung ab, dass es sich "nicht um eine diplomatische Angelegenheit" handele.
Netflix ist der Verlierer des Oscar-Abends
Größter Verlierer: Ob man sich zu den Verlierern oder Siegern zählt, hängt vor allem von den eigenen Erwartungen ab. Und die Frage ist ja auch: Gibt es derzeit irgendwo größere Erwartungen als bei Netflix? Im Corona-Jahr ohne Kinos war der Streamingdienst der große Gewinner. Und hätte auch bei den Oscars abräumen können - mit 36 Nominierungen, darunter zehn für einen der großen Favoriten des Abends. Am Ende reichte es dann für die Filmbiografie „Mank“ von David Fincher „nur“ für zwei Oscars, für die beste Kamera und das beste Szenenbild. „Thank you Netflix“, der Satz fiel aber doch mehrfach. Sieben Auszeichnungen gab es für den Streaming-Giganten: Unter anderem die Oscars für bestes Kostümdesign sowie bestes Make-up und beste Frisuren für den Netflix-Film „Ma Rainey‘s Black Bottom“. Als bester Dokumentarfilm wurde „Mein Lehrer, der Krake“ ausgezeichnet, für den das Team um Pippa Ehrlich, James Reed und Craig Foster mehrere Jahre unter Wasser in einem Seetangwald in Südafrika filmten - einem Oktopus auf der Spur.
Die besten Dankesreden der Oscars 2021
Erstaunlichster Moment: Immer wieder großartig, was man in Reden alles erwähnen kann, obwohl so wenig Zeit bleibt: Zum Beispiel, wie der Brite Daniel Kaluuya, Oscar als bester Nebendarsteller für seine Rolle in „Judas and the Black Messiah“, das Wunder des Lebens feierte, sprich auch den eigenen Entstehungsprozess: „Ich gehe, ich atme, meine Mutter und mein Vater hatten Sex, es ist erstaunlich“. Gewinnerin in dieser Kategorie dennoch Frances McDormand, ausgezeichnet als beste Hauptdarstellerin in Nomadland (Nummer drei übrigens für die 63jährige Amerikanerin): Sie bat bei der Rede zum besten Film erst die Zuschauer, den Film wie auch alle anderen doch auf der größtmöglichen Leinwand im Kino anzusehen, heulte danach, um ihren kürzlich verstorbenen Ton-Kollegen Michael Wolf Snyder zu ehren, wie einsamer Wolf.
Berührendste Rede: Woran man sich erinnert – nie an die reinen Dankesworte. Sondern zum Beispiel an der vor Freude tanzende Roberto Benigni 1999 ... Von den Oscars 2021 wird es neben der schmalen, wortbescheidenen Chloé Zhao, der sympathisch-konfusen Emerald Fennell und der wunderbar witzigen Youn Yuh-jun, dann aber doch vor allem der dänische Regisseur Thomas Vinterberg sein, der mit seiner traurigen und zugleich lebensbejahenden Rede im Gedächtnis bleibt: Seinen Oscar widmete er seiner Tochter Ida, die kurz nach Beginn der Dreharbeiten für "Der Rausch" bei einem Autofall starb. „Wenn wir uns nur trauen zu glauben, dass sie auf eine Weise hier bei uns ist - dann könntet ihr sie hier mit uns klatschen und jubeln sehen. Also Ida, das ist ein Wunder, das gerade passiert ist", sagte Vinterberg: "Du bist Teil dieses Wunders.“
Glenn Close ist achtmal nominiert und gewinnt keinen einzigen Academy Award
Größte Enttäuschung: Unmessbar natürlich, und wenn Menschen Enttäuschung überspielen können, dann wohl doch Schauspielerinnen und Schauspieler. Glenn Close (Hillibilly Elegy) jedenfalls lächelte sie mit großer Grandezza weg. Das ist Rekord für eine Schauspielerin, bislang nur erreicht von Peter O‘Toole. Youn Yuh-jun, die den Oscar als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle als koreanische Großmutter im Film „Minari“ gewann, fand es auch unfassbar: „Ich hatte doch einfach nur Glück, wie kann ich denn gegen Glenn Close gewinnen.“ Close,74, tanzte später ausgelassen, schwenkte zum Song „Da Butt“ den Po, machte daraus den besten Act des Abends, gefeiert in den sozialen Netzwerken, kein Grund zur Sorge also. Youn Yuh-jun,73, wiederum gestand eine kleine Enttäuschung ein: Wo denn Brad Pitt, der den Preis anmoderierte, all die Jahre gesteckt habe, als sie jünger gewesen sei: Finally nice to meet you...
Anthony Hopkins verpasst seinen Oscar für die beste Hauptrolle
Größte Überraschung: Etwa die Tatsache, dass es wirklich keine Getränke gab, obwohl das ganze ja mit all den Tischchen und all dem Samt irgendwie an einen Nachtclub erinnerte, wo doch eigentlich die Champagnerflaschen ploppen sollten? Oder doch, dass die Reihenfolge für die Verleihung geändert wurde, der beste Film völlig unüblich noch vor dem besten Schauspielern verkündet wurde? Natürlich nicht. Vielleicht eher dies. Dass Regisseur Steven Soderbergh als Mitproduzent des Abends das Finale derartig missglückte. So razzfazz nämlich wie der Abend durchmoderiert wurde, so abrupt wurde er beendet. Quasi als Rausschmeißer aus dem Club verkündete Joaquin Phoenix noch schnell den besten Hauptdarsteller: Anthony Hopkins für seine Rolle als demenzerkrankter Vater im Film „The Father“. Hopkins ist mit 83 Jahren damit ältester Schauspieler, der je einen Oscar für die Hauptrolle erhielt, war aber weder vor Ort noch per Kamera zugeschaltet. Mutmaßen kann man nur, dass die Produzenten eigentlich davon ausgegangen waren, dass der im vergangenen Jahr verstorbene "Black Panther"-Star Chadwick Boseman posthum für seine Rolle in "Ma Rainey's Black Bottom" ausgezeichnet werde - sie also mit einer großen emotionalen Würdigung rechneten . Dann aber las Phoenix den Namen Hopkins vor, erklärte mit dürftigen Worten, er werde den Preis für ihn annehmen. Und dann? Applaus, Abgang, Abspann.
Oscars 2021: Die besten Kleider des Abends
Bestes Kostüm: Ein edles Strickkleid aus feinem metallisch glitzernden Faden und dazu weiße Turnschuhe – wenn es läuft, dann läuft´s. Auch in dieser Kategorie gewann die fein bezopfte Regisseurin Chloé Zhao. Ähnliches jedenfalls müssen die Macher der Show im Sinn gehabt haben, als sie den Dresscode für den Abend als „Verschmelzung von inspirierend und ambitioniert“ beschrieben. Weil auf dem roten Teppich diesmal weniger Gedränge war, blieb mehr Zeit zum Bestaunen der einzelnen Roben: zum Beispiel der gelebte Traum von Tüll bei Schauspielerin Maria Balakova, der nachtblaue Glitzerlook von Glenn Close, das frühlingshafte Gerüsche bei Emerald Fennell, die darin den ersten Oscar des Abends entgegennahm. Oder die Handtasche von Sängerin Celeste Waite in Form eines menschlichen Herzens. Ansonsten: viel Gold, verschmolzen mit Homeoffice-Gemütlichkeit – lässig vorgeführt von Questlove, der Musik-Direktor der diesjährigen Oscars, er kam in goldenen Crocs.
Die Botschaft des Abends: Zu alt, zu weiß, zu männlich - diese Vorwürfe kann man der Academy in diesem Jahr nicht mehr machen. Noch nie waren so viele Frauen nominiert, noch nie so viele People of Colour, wurde so eindringlich über deren Lebenserfahrungen gesprochen. Den Ton des Abends setzte die oscarprämierte Schauspielerin Regina King als erste Moderatorin, gedachte an George Floyd und erklärte: Sie hätte ihre High Heels gegen Wanderschuhe eingetauscht, wenn das Urteil in Minneapolis anders ausgegangen wäre. Natürlich wisse sie auch, dass politische Predigten die Fernsehzuschauer nicht zu schätzen wissen. Aber: "Als Mutter eines schwarzen Sohnes habe ich Angst um seine Sicherheit. Und das ändert auch kein Ruhm und kein Geld." Es wurde dann also tatsächlich eine andere, besondere Oscar-Verleihung, und zwar nicht nur deswegen, weil das große Spektakel fehlte. Sondern weil mit Mia Neal und Jamika Wilson die ersten schwarzen Frauen für Make-up und Frisuren ausgezeichnet wurde, weil Youn Yuh-jung als zweite Asiatin seit 1957 einen Schauspiel-Oscar erhielt, weil Emerald Fennell als erste Frau nach 14 Jahren in der Kategorie bestes Drehbuch siegte, weil in der Kategorie Kurzfilm mit „Two Distant Strangers“ sich ein Beitrag über Polizeigewalt in den USA durchsetzte ... und Chloé Zhao zur großen Gewinnerin wurde. Für wichtigen Botschaften hat es die große Show noch nie gebraucht.
Lesen Sie auch:
- Die Oscars 2021 zeigen: So trostlos ist die Filmwelt ohne Kinos
Live-Blog zu den Oscars 2021: Das sind die Gewinner