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Opern-Schatz: Wie ein Ingolstädter die Musik eines vergessenen Komponisten wiederbelebt

Opern-Schatz

Wie ein Ingolstädter die Musik eines vergessenen Komponisten wiederbelebt

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    Vor der Aufführung ist erst einmal Basisarbeit zu leisten: Franz Hauk bei Proben zu einem Mayr-Werk.
    Vor der Aufführung ist erst einmal Basisarbeit zu leisten: Franz Hauk bei Proben zu einem Mayr-Werk. Foto: Lorenz Zieglmeier

    Das Zimmer ist alles andere als klein und dennoch randvoll mit Papier gefüllt, vor allem Notenpapier. Natürlich fehlt auch ein Computer nicht und ebenso wenig ein Drucker. Hier, im ersten Stock des Städtischen Musikzentrums in Ingolstadt, befindet sich die Kreativstube von Franz Hauk, wenn er nicht gerade an einer der Orgeln des örtlichen Münsters sitzt. In diesem Raum folgt er den Spuren eines Mannes, den ins Gedächtnis eines klassisch-musikinteressierten Publikums zurückzurufen er maßgeblich mit betreibt: Johann Simon Mayr – ein Komponist aus einem kleinen Flecken unweit von Ingolstadt, dessen Opern in den ersten ein, zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in ganz Europa gespielt wurden, in Wien nicht anders als in London und St. Petersburg und in Italien sowieso überall.

    Seit längerem schon erscheint unter Hauks Leitung Jahr für Jahr eine neue CD mit einem Mayr-Werk beim renommierten Klassik-Label Naxos. Das aber heißt im Falle dieses Komponisten nicht, dass man sich schnell mal einen Packen Aufführungsmaterial besorgt, auf dem Notenpult deponiert und einfach loslegt, sondern bedeutet zunächst jede Menge Recherche und weitere Basisarbeit. Eine Arbeit, die den 63-jährigen Hauk zum geachteten Mayr-Experten hat werden lassen.

    Damals kannten den Komponisten nur ausgewiesene Spezialisten

    Der gebürtige Neuburger ist eigentlich Kirchenmusiker, der nach seinem Studium an den Hochschulen in München und Salzburg seit Jahrzehnten am Ingolstädter Liebfrauenmünster tätig ist und zudem im städtischen Kulturamt Musikveranstaltungen managt wie die Ingolstädter Orgeltage oder die Orgelmatineen um zwölf. Als sich Mitte der 1990er Jahre in Ingolstadt die Simon-Mayr-Gesellschaft gründete, kam Hauk erstmals näher in Berührung mit dem Komponisten, der bis dahin nur ausgewiesenen Spezialisten etwas sagte.

    Johann Simon Mayr wurde 1763 in Mendorf (heute Landkreis Ingolstadt) geboren und starb 1845 in Bergamo.
    Johann Simon Mayr wurde 1763 in Mendorf (heute Landkreis Ingolstadt) geboren und starb 1845 in Bergamo. Foto: Heinrich Winter

    Was ist an Mayr so faszinierend? Hauk zieht den Vergleich mit Gaetano Donizetti heran, den Mayr-Schüler, bekannt für bis heute lebendige Opernhits wie „Lucia di Lammermoor“ oder „Don Pasquale“: „Wenn man die Instrumentierung zwischen den beiden vergleicht, dann ist Donizetti vor allem auf Rampenwirkung bedacht. Mayr aber ist der Gründlichere.“ Was nichts anderes heißen soll, als dass es die Musik dieses Mannes wirklich wert ist wiederentdeckt zu werden.

    Richtig Fahrt nahm Hauks Beschäftigung mit Mayr im Gefolge der Oper „Atalia“ im Jahr 2003 auf. Erarbeitung des Notenmaterials, Einstudierung und öffentliche Aufführung, schließlich CD-Aufnahme, das wurde damals zum Muster für alle weiteren Hauk’schen Mayr-Produktionen. Wie viele es inzwischen sind? Hauk hebt die Schultern und überschlägt: „Zwanzig vielleicht …“ Handelt es sich um geistliche Werke, werden sie in der Ingolstädter Asamkirche aufgeführt, die Opern dagegen im Kongregationssaal in Neuburg, wo auch die Aufnahmen stattfinden.

    Heimlich durchs Fenster der Bibliothek hinaus

    Wie gesagt, Noten von den Werken, ob es sich nun um Oper, Sakrales oder sonstige Musik handelt, liegen in der Regel nicht vor, sondern müssen erst einmal beschafft werden. Weil Mayr den weit überwiegenden Teil seines schöpferischen Lebens im norditalienischen Bergamo zubrachte, ist die dortige Biblioteca Civica die wichtigste Anlaufstelle für Hauk. An seinen ersten Besuch erinnert er sich noch gut. In der städtischen Bibliothek ließen sich damals keine Kopien herstellen, also schritt Hauk zur Selbsthilfe und reichte einem mitgereisten Bekannten die benötigten Mayr-Noten heimlich durchs Bibliotheksfenster hinaus, auf dass dieser sie in einem nahen Copyshop vervielfältige. Längst freilich ist Hauk in Bergamos Stadtbibliothek ein bekannter Gast und die Reproduktion kein Thema mehr.

    Doch damit ist die Arbeit nicht getan. Libretti müssen abgeschrieben und übersetzt werden – für die eine Tätigkeit spannt Hauk seine Schwägerin, für die andere Italienisch-kundige Studenten ein –, Partituren und Instrumentenstimmen sind mittels eines Computerprogramms herzustellen, für die Aufführungspraxis muss ein Klavierauszug hergestellt, zuletzt alles noch einmal Korrektur gelesen werden. Am Ende heißt es drucken, kopieren, sortieren – weiß Gott nicht die geringste Arbeit, stöhnt Hauk.

    Dass der Komponist derart in Vergessenheit geraten konnte, dafür hat der Mayr-Experte keine eindeutige Erklärung. Auch andere Komponisten hervorragender Musik würden heute kaum mehr gespielt. Deutlich klarer ist ihm, weshalb es so schwer ist, einen einmal Vergessenen ins Bewusstsein zurückzuholen: „Die Leute mögen halt, was sie kennen. Am liebsten immer Vivaldi.“ Vom Einsatz für Mayr hält ihn das nicht ab. Gerade ist die Oper „I cherusci“ (Die Cherusker) auf CD erschienen – saftige, durchaus innovative italienische Opernmusik auf der Höhe ihrer Zeit –, schon sitzt Hauk über der Oper „Alfredo“, die unter seiner Leitung Ende August in Neuburg aufgeführt und auch aufgenommen werden soll.

    Das schwindende Augenlicht erschwerte das Komponieren

    Und dann ist da auch diese späte Messe, die er ans Licht holen will, die aber besondere Schwierigkeiten mit sich bringt. Weil Mayr im Alter sein Augenlicht weitgehend verloren hatte, notierte er die Noten in übergroße Liniensysteme, was so viel Platz beanspruchte, dass er für eine Partiturseite zwei übereinander liegende Blätter benötigte. Die sind heute in zwei getrennten Folianten gebunden, müssen aber zusammen gelesen werden, eine knifflige Aufgabe. Doch auch für die Messe steht mit dem 23. Juni schon der Ingolstädter Aufführungstermin.

    „Im Prinzip“, sagt Hauk, „sind diese Aufführungsmaterialien zum einmaligen Gebrauch.“ Doch er weiß, dass die viele Müh’ eigentlich eine Veröffentlichung rechtfertigen würde. Gestandene Musikverlage wollen freilich nicht so richtig anbeißen, wissend, dass mit Mayr-Opern nicht das große Geld zu erwarten ist. Und so antwortet Franz Hauk auf die Frage nach Publikation seiner verdienstvollen Arbeit: „Ich bin da noch am Überlegen …“

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