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Nobelpreis: Getrübte Freude: Handke erhält den Literaturnobelpreis

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Getrübte Freude: Handke erhält den Literaturnobelpreis

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    Peter Handke in Stockholm
    Peter Handke in Stockholm Foto: Anders Wiklund, dpa

    Peter Handke führt eigentlich das leise, randständige, eigenbestimmte und inwendige Leben eines Schriftstellers – abseits aller Tagesaktualitäten. Er spitzt Bleistifte, statt sich in öffentliche Debatten zu werfen. Aber der Mann aus der Niemandsbucht ist auch ein impulsiver Charakter. Er bricht Interviews jäh ab, und er kann Leute, deren Fragen ihm nicht passen, rüde angehen. Warum schmeißt er nicht wutentbrannt oder zermürbt hin in Stockholm, packt seine Sachen und reist ohne Nobelpreis-Urkunde in der Manteltasche wieder ab?

    So aufbrausend, dünnhäutig und eigensinnig wie der Österreicher sich zeigt, seit ihm der Literaturnobelpreis zuerkannt worden ist, hätte es wahrlich nicht verwundert, wenn er die Annahme der Ehrung ausgeschlagen hätte, die für ihn von so vielen Schmähungen und Angriffen begleitet ist. Handke aber hat dies – anders als 2006 mit seinem Verzicht auf den Heinrich-Heine-Preis nach heftigem politischem Reaktionen gegen die Juryentscheidung – nicht getan, obwohl er wieder, wie einst in Düsseldorf, über Wochen einem beispiellosen Sturm der Empörung und Kritik ausgesetzt war.

    Literaturnobelpreis: Erdogan nennt Handke eine „rassistische Person“

    Auch am Tag der feierlichen Verleihung machte der vielstimmige Chor der Handke-Verdammer keine Atempause. Der türkische Präsident Erdogan nannte ihn „eine rassistische Person“ und „Mörder“. Handkes umstrittene, halsstarrige Verteidigung seiner als Verhöhnung bosnischer Opfer und Verharmlosung serbischer Gräuel empfundenen proserbischen Lesart der Geschichte des Jugoslawienkriegs Anfang der 1990er Jahre polarisiert und steht im Zentrum der Auseinandersetzung um den Nobelpreis. Arglose Treffen mit den in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilten Serbenführern Milosevic und Karadzic werden Handke zudem vorgehalten. Das Tribunal seiner Kritiker fordert, Literaturnobelpreise gehen an Peter Handke und Olga Tokarczuk oder – in milderer Variante – zumindest eine Entschuldigung plus Abkehr von seinem Jugoslawien-Mythos.

    Ein Grund, warum die Empörten und der Schriftsteller aneinander vorbeireden: Die Kritiker urteilen über Handke, als sei er ein Reporter, ein Historiker oder eine Art ferngesteuerter Agent des serbischen Nationalismus. Dabei ist auch Handkes Jugoslawienbild nur eine subjektive literarische Schöpfung, die sich speist aus der Familiengeschichte, die mit Slowenien und dem Jugoslawien Titos verknüpft ist. Dichtung und Wahrheit …

    Handke wirkt hilflos, wenn er auf Nachfragen reagiert

    Handke meint nicht. Er empfindet und sieht sich schreibend eine andere, autonome Wirklichkeit und Erzählung heraufbeschwörend. Von außen betrachtet: Der Büchner-Preisträger hat sich verrannt, er steht mit dem Rücken zur Wand am Pranger und in einer Sackgasse – und kann offenkundig nicht zurück.

    Für den 77-Jährigen ist das, was er über Jugoslawien geschrieben und gesagt hat, Teil seines Werkes. Abschwören? Handke, der Unbequeme, empfände das als Verrat, als eine Zumutung gegenüber der Deutungshoheit des Künstlers, als Einknicken und Verbiegen des widerspenstigen Einzelnen vor der Menge. Man hat den Eindruck, er schottet die Causa Jugoslawien stur ab gegen alle Einwände, weil er sonst das ganze Gebäude seines Lebenswerkes wanken sähe. Seine Literatur will Handke imprägnieren gegen Fakten und journalistische Aufarbeitung.

    Er wirkt nicht souverän, sondern hilflos, wie Handke auf Anwürfe und berechtigte Nachfragen reagiert. Aber die Heerscharen seiner Kritiker, die das bedeutsame, gewichtige Lebenswerk des großen Schriftstellers ignorieren und sich umso verbissener an einem Zipfel dieser eigensinnigen Künstlerexistenz abarbeiten, tun manchmal so, als habe sich Handke selbst den Preis verliehen. Fast verzweifelt hat der Autor geklagt, man verurteile ihn lieber anstatt ihn zu lesen.

    Die Akademie in Stockholm wusste, wen sie auszeichnet

    Der Literaturnobelpreis gilt einem Werk, dessen literarische Qualität nicht in Zweifel gezogen wird. Die Debatte hat sich aber zugespitzt auf die Frage: Müssen Werk und Person vollkommen sein, untadelig und frei von Widersprüchen und Verirrungen – auf dass ein Literaturnobelpreis berechtigt ist? Handke musste erfahren, dass sogar sein Lebenswandel – hat er nicht einmal eine Gefährtin geschlagen? – thematisiert wurde. Als würden Flurfunker in der Zigarettenpause um einen Moralnobelpreis ringen. Oder dass ein junger Autor, Sasa Stanisic, die Bühne der Verleihung des Deutschen Buchpreises missbraucht, um gegen den frisch ernannten Nobelpreisträger zu wettern.

    Peter Handke wirkt mitunter linkisch in der Öffentlichkeit. Aber er kann einstecken und austeilen. Er braucht keine Heiligsprechung. Das Tribunal gegen ihn hat nicht nur jene 120 Autoren, Übersetzer, Künstler und Wissenschaftler befremdet, die in einem offenen Brief in Österreich ihr Unbehagen formulierten. Die Kritik an Handke habe „längst den Boden vertretbarer Auseinandersetzungen unter den Füßen verloren. Sie besteht fast nur noch aus Hass, Missgunst, Unterstellungen, Verzerrungen.“

    Die Akademie in Stockholm wusste jedoch, wen sie auszeichnete. Untergegangen ist vieles im öffentlichen Räsonieren über die „Preiswürdigkeit“ des Literaten. Auch, dass Handke über sein eigenes Schreiben hinaus Verdienste hat um die Literatur – als Entdecker, Fürsprecher und Übersetzer anderer Autoren. Handke war es auch, der den Franzosen Patrick Modiano mit seinen Übersetzungen im deutschsprachigen Raum bekannt machte. 2014 bekam Modiano den Literaturnobelpreis und freute sich ungetrübt. Für Peter Handke mag der eigene Literaturnobelpreis fünf Jahre später vielleicht trotz allem eine Genugtuung sein. Aber die reine Freude ist er so wenig wie eine glanzvolle Ehrung. Jetzt ist der Preis verliehen. Was das alles für die Rezeption von Handkes Büchern bedeutet, lässt sich erst mit Abstand sagen.

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