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Interview: Noam Chomsky: „Die Trump-Regierung war die gefährlichste der Weltgeschichte“

Interview

Noam Chomsky: „Die Trump-Regierung war die gefährlichste der Weltgeschichte“

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    Der 92-jährige Noam Chomsky gehört seit den 1950er Jahren zu den kritischsten Stimmen der USA. In seinem neuen Buch schreibt er auch über die weiter bestehende Gefahr eines atomaren Kriegs.
    Der 92-jährige Noam Chomsky gehört seit den 1950er Jahren zu den kritischsten Stimmen der USA. In seinem neuen Buch schreibt er auch über die weiter bestehende Gefahr eines atomaren Kriegs. Foto: Uli Deck, dpa

    Herr Chomsky, Donald Trump ist nicht mehr Präsident der Vereinigten Staaten. Wie fühlt sich das an?

    Noam Chomsky: Es fühlt sich gut an, diesen bösartigen Tumor los zu sein, der uns hätte zerstören können. Weitere vier Jahre Trump hätten uns vielleicht zu einem irreversiblen Kipppunkt gebracht. Die Trump-Administration war die gefährlichste Regierung der Weltgeschichte.

    Wie bitte? Gefährlicher als Hitler?

    Chomsky: Hitler war furchtbar, keine Frage. Er verkörperte vielleicht den tiefsten Punkt, an den die Menschheit jemals gesunken ist. Aber hat Hitler daran gearbeitet, die Möglichkeiten für menschliches Leben auf der Erde zu zerstören? Trump hat es getan! Es gibt keine andere politische Figur in der Geschichte, die ihre Hauptanstrengungen dem Versuch gewidmet hat, die Aussichten für menschliches Leben auf der Erde zu zerstören. Nicht Dschingis Khan, nicht Attila der Hunne, niemand, der mir einfällt. Trump war einzigartig. Er hat sehr hart daran gearbeitet, die Nutzung fossiler Brennstoffe zu maximieren und die Regulierungen zu beseitigen, die ihre Auswirkungen etwas abgemildert haben. Es war ein Wettlauf in die Katastrophe. Und die Trump-Regierung wusste genau, was sie tat.

    Trump hat sich vielleicht nicht um die Konsequenzen seiner Politik gekümmert. Aber es war sicher nicht sein Ziel, die Menschheit auszulöschen …

    Chomsky: Ich glaube, dass es ihm egal war. Er wusste, was geschehen würde. Wir haben nur noch wenig Zeit, um die globale Erwärmung einzugrenzen. Vier Jahre, die die Krise beschleunigt haben, sind ein nie da gewesenes Verbrechen.

    Am 20. Januar wurde Joe Biden als neuer US-Präsident vereidigt. Wird jetzt alles gut?

    Chomsky: Bidens erste Schritte sind ermutigend. Aber es gibt viele Probleme, die zu bewältigen sind und seine eigenen Programme reichen bei weitem nicht aus, um mit den beiden wichtigsten Problemen fertigzuwerden, die das Überleben unserer Spezies gefährden können: die wachsende Bedrohung durch einen Atomkrieg und die Umweltkatastrophe. Im Grunde genommen ist alles andere unwichtig, wenn diese Probleme nicht angegangen werden. Die Bedrohung durch einen Atomkrieg hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Deshalb ist die Doomsday Clock, die Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists, jedes Jahr näher an Mitternacht gerückt.

    Was hat einen verheerenden Atomkrieg wahrscheinlicher gemacht?

    Chomsky: Es gab ein Rüstungskontrollregime, das über fast 60 Jahre mühsam aufgebaut wurde. Aber Trump hat es demontiert. Darüber hinaus haben Trump und andere zur Entwicklung neuer und gefährlicherer Atomwaffen gestartet. Kombiniert mit provokativen Aktionen in vielen Teilen der Welt und einer Reihe von ungerechtfertigten Angriffen auf den Iran – von Attentaten, Sabotage, Cyberkrieg bis hin zu vernichtenden, lähmenden Sanktionen – hat dies die Gefahr eines Atomkriegs stark erhöht.

    Trump hat jetzt nicht mehr die Kontrolle über die Codes für die US-Atomwaffen. Ist die Welt so sicherer geworden?

    Chomsky: Sie ist wahrscheinlich ein bisschen sicherer geworden, denn Trump war unberechenbar. Es wäre doch möglich gewesen, dass er in einem Anfall von psychotischer Angst plötzlich sagt: „Okay, ich mache es!“ Ich bin sicher, dass die oberste Militärführung sehr erleichtert ist, dass die Situation jetzt berechenbarer ist.

    Was wird jetzt aus Trump?

    Chomsky: Trump könnte – vielleicht in Mar-a-Lago – eine Art alternative Schattenregierung errichten. Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Er wird sich als der legitime Präsident darstellen, der von einem sehr großen Teil der republikanischen Wählerbasis unterstützt wird. Ich vermute, er wird mit Mitch McConnell zusammenarbeiten, der ein Genie darin ist, das Land unregierbar zu machen. Erinnern Sie sich an McConnell während der ersten beiden Obama-Jahre? McConnell war der Minderheitenführer im Senat. Er sagte geradeheraus, wir müssen alles tun, um sicherzustellen, dass Obama scheitert. Das bedeutet, alles zu tun, um das Land unregierbar zu machen, so viel Schaden anzurichten, wie wir können. Ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass McConnell jetzt nicht wieder das Gleiche tun wird. Das ist ein schlechter Traum, aber es ist kein unmöglicher Albtraum.

    Könnte ein Amtsenthebungsverfahren dies nicht verhindern?

    Chomsky: Ich schätze die Erfolgsaussichten für ein Impeachment nicht besonders hoch ein. Das Einzige, was ein Impeachment erreichen würde, wäre, dass Trump keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden dürfte.

    In Ihrem neuen Buch „Rebellion oder Untergang“ beschreiben Sie die Erosion der Demokratie als die dritte große Gefahr für die Menschheit. Welche Rolle spielt Trump dabei?

    Chomsky: Erosion der Demokratie klingt zunächst nicht so gefährlich wie die Gefahr eines Atomkriegs oder die Umweltkatastrophe. Aber nur eine lebendige Demokratie kann mit den ersten beiden Problemen klarkommen. Aber Trump hat die Regierung entkernt und in ein persönliches Lehen verwandelt. Er hat sie zu einem unfassbaren Sumpf der Korruption gemacht. Das extremste Beispiel haben wir gerade gesehen. Er hat die Wahl nicht akzeptiert, weil er sie nicht gewonnen hat. Und er hat die Wählerbasis der Republikaner mitgerissen. Eine Mehrheit von ihnen glaubt, dass die Wahl gestohlen wurde, weil Trump das gesagt hat. Das sind Symptome des Faschismus.

    In „Rebellion oder Untergang“ rufen Sie zu zivilem Ungehorsam auf. Als Trumps Unterstützer am 6. Januar zum Kapitol marschierten, nannten Sie es auch einen Akt zivilen Ungehorsams …

    Chomsky: Das war kein ziviler Ungehorsam, das war ein Putschversuch! Viele Historiker, die zum Faschismus forschen, vergleichen den Sturm auf das Kapitol mit dem Hitlerputsch von 1923.

    Nicht nur mit dem Sturm auf das Kapitol hat Trump gezeigt, dass er die Fähigkeit hat, Menschen zu manipulieren. Was können Aktivisten und Politiker von ihm lernen?

    Chomsky: Ich bin alt genug, um mich daran zu erinnern, wie ich Hitlers Nürnberger Kundgebungen im Radio gehört habe. Ich habe die Worte nicht verstanden, als ich sechs Jahre alt war, aber ich konnte die Stimmung der massiven Unterstützung für diesen abscheulichen Wahnsinnigen begreifen. Seit Hitler gab es andere Demagogen. Trump war ein sehr effektiver. Was man von ihm lernen könnte, ist, die Fähigkeit, sich in eine brüllende Menge zu stellen, ein Schild hochzuhalten, auf dem steht: „Ich liebe euch! Folgt mir“, während man ihnen mit der anderen Hand das Messer in den Rücken rammt. Aber das wollen Sie nicht lernen. Hitler hat dasselbe getan. Wenn diese Kräfte erst einmal entfesselt sind, sind sie nur noch sehr schwer zu kontrollieren.

    Nach Ihrer Analyse von Klimawandel, der Gefahr eines Atomkriegs und der Erosion der Demokratie, sind wir dem Weltuntergang sehr nahe. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben?

    Chomsky: Nein, ich gebe die Hoffnung nie auf! Im vergangenen Januar waren wir nach der Einschätzung des Bulletin of Atomic Scientists noch 100 Sekunden vom Weltuntergang entfernt. Ich vermute, dass es dieses Jahr auf zwei Minuten zurückgeht, weil Trump weg ist. Ein Zurückdrehen der Weltuntergangsuhr ist möglich.

    Zur Person: Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia (USA) als Sohn jüdischer, russisch-stämmiger Eltern geboren. Er ist emeritierter Professor für Sprachwissenschaft und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology. Er hat die moderne Linguistik revolutioniert und ist einer der bekanntesten linken Intellektuellen und Politaktivisten. Gerade erschien sein neues Buch „Rebellion oder Untergang. Ein Aufruf zu globalem Ungehorsam zur Rettung unserer Zivilisation“ im Westend Verlag.

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