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Rammstein: Neues Rammstein-Album vorab gehört: Brav ist das neue Böse

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Neues Rammstein-Album vorab gehört: Brav ist das neue Böse

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    Am Freitag veröffentlichen Rammstein ihr neues Album „Rammstein“.
    Am Freitag veröffentlichen Rammstein ihr neues Album „Rammstein“. Foto: Jes Larsen

    Sie fackelten – und im Falle von Rammstein und ihren pyrotechnisch legendär hochgerüsteten Liveshows ist das Bild wörtlich zu nehmen – wirklich lange mit ihrem siebten Studioalbum, das am Freitag erscheint und einfach „Rammstein“ heißt.

    Und immer mal wieder in den zurückliegenden Jahren mussten sich alle Interessierten gar fragen, ob das überhaupt noch einmal etwas werden würde. Oder ob die kreative Wucht dieser sechs Männer, die bis auf Bassist Oliver Riedel ja bereits länger als ein halbes Jahrhundert auf Erden wandeln, womöglich nicht mehr ausreicht für ein weiteres Werk.

    Rammstein feuern aus allen ihren Rohren

    Die beruhigende Erkenntnis für Rammstein-Freunde: Doch, doch, das tut sie. 24 Jahre nach ihrem Debüt „Herzeleid“ und zehn Jahre nach dem letzten Werk „Liebe ist für alle da“ feuern Rammstein auf „Rammstein“ aus allen ihren Rohren.

    Man sollte sich das ja nicht zu einfach vorstellen, nach legendär-brachialen Liedern wie „Mutter“, „Engel“ oder „Mein Teil“, mit denen die sechs Wahl-Berliner um die ganze Welt gereist sind und Triumphzüge von der amerikanischen Westküste bis ins allertiefste Sibirien feierten, noch neue Songdiamanten zu schürfen, die es mit dem Frühwerk aufnehmen können.

    Das gute Leben kann auch schon mal etwas weicher spülen

    Welche Band hat das schon geschafft? Die Beatles vielleicht, die wurden praktisch immer besser. Aber wer in erster Linie mit Druck und Härte hantiert, dessen Sound kann das gute Leben, das die Rammsteiner fraglos genießen, auch schon mal etwas weicher spülen.

    Und wieso auch nicht. Es kommt ja immer noch etwas Vernünftiges dabei heraus, und die Konzerte waren sowieso im Handumdrehen ausverkauft, also kein Stress. Um im Bild zu bleiben, ein Lied mit dem Titel „Diamant“ gibt es in der Tat auf „Rammstein“. Es ist das mit knapp zwei Minuten Laufzeit kürzeste, und es ist eine schlichte, zärtliche, ergreifende und, na ja, einfach nur schön pathetische Liebeserklärung – ganz ohne erkennbaren Abgrund.

    Ein für ihre Verhältnisse sehr bekömmliches Album

    Überhaupt, die Burschen waren echt auch schon mal böser, so rein in musikalischer Hinsicht. Sänger/ Texter und Vorzeige-Provokateur Till Lindemann und seine fünf Kollegen haben im Zusammenwirken mit dem Produzenten Olsen Involtini, der zuletzt auch Gitarrist Richard Kruspes Emigrate-Album produziert hat, sowie dem Mixer Rich Costey (Muse, Biffy Clyro) ein für ihre Verhältnisse sehr bekömmliches Album eingespielt. Okay, mit Betonung auf „für ihre Verhältnisse“.

    Denn erregungsökonomisch ging es gleich steil nach oben, sobald die ersten Sekunden des neuen Materials veröffentlicht waren. Selten wurde ein Kunstwerk in jüngerer Vergangenheit so kontrovers und mitunter geifernd diskutiert wie das Video zur vor einigen Wochen vorab veröffentlichten Single „Deutschland“.

    Alle sprachen von Grenzüberschreitungen und Geschmacklosigkeiten

    Im Trailer zum Clip sah man die Musiker als offenkundig kurz vor der Hinrichtung stehende KZ-Insassen, die Empörung war gigantisch, wieder schrieben und sprachen alle von Grenzüberschreitungen, Geschmacklosigkeiten und Tabubrüchen. Das ist weder falsch, noch kam eine Aktion dieser Art unerwartet.

    Seit jeher werfen Rammstein gerne Stöckchen, über die dann alle folgsam springen. Aus Rammstein-Sicht hätte es nicht besser laufen können, Aktion Aufmerksamkeitsmaximierung erfüllt. Im finalen 11-Minuten-Video galoppieren die Jungs sprichwörtlich durch gut 2000 Jahre deutsche Geschichte und Lindemann schreisingt „Deutschland! Meine Liebe kann ich dir nicht geben“.

    Ein auf martialisch gebürstetes Gesamtgebaren

    Also letztlich doch nur wieder viel Krawall und kaum Skandal, vielmehr ein weiteres geschicktes Spiel mit der Teutonenhaftigkeit, mit der die (nach eigenem Bekunden eher linksorientierte) Band schließlich schon immer kokettierte, man erinnere sich an die Leni-Riefenstahl-Optik des „Stripped“-Videos oder gucke sich halt einfach das auf martialisch-bedrohlich gebürstete Gesamtgebaren der im Alltag übrigens sehr umgänglichen Jungs an.

    Aber weitere Kontroversen werden nach „Deutschland“ rund um dieses Album nicht mehr folgen. Völlig zahm und praktisch poppig klingt die neue Single „Radio“, mit der die in der DDR aufgewachsenen Musiker ihre tiefe Liebe zum Westradio sowie ihr Leiden und Darben aufgrund der kulturellen Abgeschnittenheit ihrer Jugend bekunden („Jede Nacht ich heimlich stieg auf den Rücken der Musik“). Der Sound von „Radio“ orientiert sich ein bisschen an Kraftwerk, der anderen deutschen Ikonenband.

    So melodisch und freundlich wie nie

    Überhaupt fällt auf, dass Rammstein trotz immer wieder einsetzender harter Gitarren wohl noch nie so melodisch und regelrecht freundlich klangen wie auf „Rammstein“. Zwar spielte die Plattenfirma den Journalisten das Werk in einem Köln-Ehrenfelder Lokal vorab in geradezu ohrenbetäubender Lautstärke vor, sodass es härter und lauter und Metal-näher wirkte, als es ist. Doch selbst unter derartigen Extrembedingungen bleibt die relative Unanstößigkeit von „Rammstein“ nicht verborgen.

    So ist „Zeig dich“, harte Gitarrenriffs hin oder her, eine erwartbare und etwas effekthascherische (alle Begriffe fangen mit „V“ an, Vergebung, Verfehlung, Vergnügen usw.) Kirchenkritik zum Mitsingen, „Sex“ eine nur ganz leicht perverse Hymne auf selbigen, mit einem Refrain, der auch im Kölner Karneval einsetzbar ist („Wir leben nur einmal, wir lieben das Leben“).

    Lindemann als fieser Kindesräuber

    Und „Ausländer“, ein Lied über Männer, die liebestoll vor fremdsprachigen Frauen stehen? Sehr wohlwollend betrachtet prangert die rhythmische, leicht in Richtung Indie-Disco-Schlager driftende, Nummer den weltweiten Sextourismus an. Man könnte „Ausländer“ aber auch für eine Hymne auf das Liebesleben von Sprachschülern halten.

    Manche Lieder hinterlassen auch überhaupt keinen bleibenden Eindruck, in einem, es heißt „Tattoo“, wirkt der über seine Tätowierungen singende Lindemann fast schon von sich selbst gelangweilt, aber zwei Mal noch ist er richtig gut. In „Hallomann“, dem letzten Lied, gibt er den fiesen Kindesräuber, der ein blondes Mädchen entführt, um es am Strand mit Muscheln und Pommes frites zu füttern.

    Der heimliche Höhepunkt aber heißt „Puppe“, es ist der sowohl musikalisch als auch textlich neben „Deutschland“ interessanteste Song. In der sich ruhig entfaltenden Ballade über eine märchenhafte, abgründige Horror- und Gewalteskalation („Und dann beiß’ ich der Puppe den Hals ab“) ist Till Lindemann wirklich zum Fürchten gut.

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