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Neuerscheinung: Ein Roman über den alten weißen Hass in den USA

Neuerscheinung

Ein Roman über den alten weißen Hass in den USA

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    Die heutige Fratze des Rassismus: Rechte Demonstranten in Charlottesville, bevor die Gewalt eskalierte.
    Die heutige Fratze des Rassismus: Rechte Demonstranten in Charlottesville, bevor die Gewalt eskalierte. Foto: Imago

    Die Entscheidung fiel noch unter der Präsidentschaft von Barack Obama, wird aber erst in ein paar Jahren sichtbar werden. Dann soll Harriet Tubman, die im 19. Jahrhundert gegen die Sklaverei kämpfte und hunderten Schwarzen auf ihrem Weg in die Freiheit half, die Vorderseite des 20-Dollar-Scheins zieren. Der siebte US-Präsident Andrew Jackson wird auf die Rückseite verbannt. Für

    Es war dann auch nicht Trump, sondern Obama, der in seinen Sommerurlaub den neuen Roman von Colson Whitehead mitnahm. In „Underground Railroad“ erzählt Whitehead von dem geheimen Fluchtnetzwerk, für das Harriet Tubman mehrere lebensgefährliche Fahrten unternahm und mit dem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts über 100000 Sklaven befreit wurden.

    Auch Oprah Winfrey pries schon „Underground Railroad“

    Der Roman wurde mit dem National Book Award ausgezeichnet, dann mit dem Pulitzer Preis und ist für den Booker Prize nominiert. Am verkaufsförderlichsten aber war vermutlich, dass ihn Oprah Winfrey in ihrem „Book Club“ pries. Auf Deutsch ist er nun genau in jenen Tagen erschienen, in denen in Charlottesville die rechte Gewalt eskalierte, ausgelöst durch einen Stadtratsbeschluss, die Statue des Konföderierten-Generals und Sklavenhalters Robert F. Lee zu entfernen. „Immer, wenn man über den Rassismus der Vergangenheit schreibt, schreibt man auch über den Rassismus der Gegenwart“, sagt White-head und so liest sich sein Roman über eines der dunkelsten Kapitel der amerikanischen Geschichte wie ein Kommentar zur heutigen Entwicklung. Unheimlich aktuell also.

    Whitehead lässt sein Buch wie eine historische Erzählung beginnen, indem er das unsägliche Elend auf einer Sklavenplantage in Georgia schildert; nichts, was man in ähnlicher Form und in dieser expliziten Schilderung von sadistischer Gewalt nicht schon gelesen hätte. Dann aber lässt er es ins Fantastische übergehen, verlässt mit einem Pynchon-haften Einfall den Boden der historischen Realität: Die Underground Railroad nämlich, wie das Netzwerk von Abolinisten genannt wurde, wird bei ihm zum realen Transportmittel. Zu einer unterirdischen Bahn, die ihre Passagiere Richtung Norden in die Freiheit bringt.

    Die Metapher, die damals der Verschleierung diente – die Verstecke für die Flüchtigen wurden als Stationen bezeichnet, die Helfer als Stationsvorsteher – wird bei ihm Wirklichkeit. Und so betritt die junge Cora durch eine Falltür in einer Scheune erstmals einen der unterirdischen Bahnhöfe, fragt verwundert: „Wer hat das gebaut?“ – „Wer baut denn irgendwas in diesem Land“, antwortet der Vorsteher und klärt Cora und ihren Begleiter Caesar, flüchtiger Sklave wie sie, über die Gefahren ihrer Reise auf: „Stationen werden entdeckt, Strecken eingestellt. Ihr wisst nicht, was euch oben erwartet, bis ihr ankommt.“

    Wann immer nämlich sie auf ihrer Reise in den Norden den nächsten Staat erreichen, zeigt sich der Rassismus in einer anderen widerwärtigen Form. In South Carolina kann sich Cora zwar frei bewegen, aber die großmütigen Helfer arbeiten derweil perfid an der „strategischen Sterilisation“ der schwarzen Frauen. Und diskriminieren en passant. In einem Museum soll sie als lebendes Objekt die Geschichte der jungen Nation anschaulich machen, sich für ihre Darstellung in „grobes Negertuch“ hüllen. Die Weißen hingegen bestehen aus „Gips, Draht und Farbe.“

    North Carolina wiederum hat sich des Rassenkonflikts ganz erledigt, Schwarzen ist es verboten, einen Fuß auf den Boden des Staates zu setzen: „Wir haben die Nigger abgeschafft“, erfährt Cora. Aus Angst, zur weißen Minderheit zu werden. Stattdessen sollen arme europäische Einwanderer den Job übernehmen. Monate verbringt Cora daher versteckt auf dem Dachboden – eine Passage, die Whitehead bewusst an die Geschichte von Anne Frank anlehnt. Immer ihr auf den Fersen der Sklavenhändler Ridgeway, der vom amerikanischen Imperativ faselt, vom weißen Mann, dem bestimmt sei, die neue Welt in Besitz zu nehmen, und der Cora, nachdem er ihrer habhaft wurde, seine Sicht auf die Sklaverei versucht zu erklären: „Wir mästen Schweine, nicht weil uns das gefällt, sondern weil wir die Schweine zum Überleben brauchen.“

    Colson Whiteheads Buch eignet sich zum Klassiker

    Sein Motto laute „Halte dich nicht an Tatsachen, sondern an die Wahrheit“, sagt Whitehead, der vor 16 Jahren bereits die Idee für diesen Roman hatte. Die Größe und die Wucht des Themas aber ließen ihn damals noch zurückschrecken. Wenn man diesen mitreißenden Roman nun als Buch der Stunde bezeichnet, macht man ihn mit dem Label nicht nur wegen seiner literarischen Qualität und seines raffinierten Zugriffs kleiner als er ist. Whiteheads Werk eignet sich zum Klassiker. Er zeigt die Fratzen des Rassismus in der amerikanischen Vergangenheit; Charlottesville in Virginia setzt diese Reihe nun in eine unwirkliche Gegenwart fort …

    Seine Gedanken formuliert im Roman die Heldin Cora, für die der grauenhafte Roadtrip – so makaber das auch klingen mag – gleichsam zur Bildungsreise wird: „Die Wahrheit war eine wechselnde Auslage in einem Schaufenster,“ erkennt Cora, „von menschlicher Hand verfälscht, wenn man gerade nicht hinsah, verlockend und stets außer Reichweite.“ Seinen Roman lässt Whitehead mit einem Hauch von Hoffnung enden, Coras Weg endet nicht. „Jeder große Traum“, so lautet eines der berühmtesten Zitate von Harriet Tubman, „beginnt mit einem Träumer.“

    Colson Whitehead: Underground Railroad. A.d. Englischen von Nikolaus Stingl. Hanser, 352 Seiten, 24 Euro

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