Ballett im Stream – viele Tanzfreunde weisen diese Möglichkeit immer noch weit von sich. Scheint doch keine der Kunstformen so ungeeignet dafür, bequem vom Sofa aus oder vor dem Laptop kauernd das ästhetische Erlebnis vor allem auch in seiner emotionalen Qualität zu erfahren. Dabei entwickelt das Ballett schauen auf digitalen Kanälen durchaus seinen Reiz: Der Perspektivwechsel aus Totale und Detail vermittelt Einblicke in Anmut und Technik, die sich in Reihe 17 über den Orchestergraben hinweg sonst nicht erschließen. Nicht zu reden von der Möglichkeit, endlich auch Produktionen zu sehen, für die man sonst nur schwer Karten bekäme. Von der Möglichkeit, damit auch andere Publikumskreise als die sonst im Ballett etablierten zu erreichen, ganz zu schweigen.
Die Ballett-Compagnien setzen auf jeden Fall zunehmend auf Online-Präsenz und bringen ihre Produktionen ins Netz, sei es Aufzeichnungen bereits aufgeführter Ballette, aber auch Premieren, die vorerst nur online zu sehen sind.
Das Bayerische Staatsballett präsentiert in Paradigma drei Ballett-Choreografien
Das Bayerische Staatsballett präsentierte Anfang Januar in einer virtuellen Premiere den dreiteiligen Ballettabend Paradigma, der noch bis Anfang Februar abrufbar ist. In drei völlig unterschiedlichen Stücken zeigen da die fabelhaften Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts, wie facettenreich ihre Bandbreite ist. Faszinierende „Fallstudien“ betreiben Jeanette Kakareka, Jonah Cook und Jinhao Zhang in Russell Maliphants „Broken Fall“ in einer Choreografie mit ineinandergreifenden Figuren.
So klettern sie aneinander hoch, lassen sich in die Arme des anderen fallen, um schließlich auf dessen Schultern zu balancieren und am Rücken herabgleitend wieder zum ersten zu wechseln. Tänzerisches wechselt mit Akrobatik, aber fließende Bewegungsabläufe prägen diese Choreografie, die mit einem furiosen Solo von Kakareka endet.
Die zeitgenössische Farbe bringt die israelische Choreografin Sharon Eyal mit „Bedroom Folk“ in den Ballettabend. Verschlafen ist allerdings nichts an dieser interessanten, dynamischen Choreografie zu Technobeats von Ori Lichtik. Acht Tänzerinnen und Tänzer vollführen mal im Trippelschritt, mal in militärischer Attitüde, dann wieder im Discostil in Travolta-Manier Formationstanz mit Soloeinlagen. Den kontrastreichen Abschluss setzt der Abend in der wenn auch mit viel Augenzwinkern dargebotenen neoklassisch-konventionellen Choreografie „With a chance of rain“ von Liam Scarlett (bis zum 6. Februar abrufbar für 9,90 Euro auf staatsoper.tv).
Das Gärtnerplatztheater zeigt das Ballett "La Strada"
Publikumsovationen und Kritikerhymnen erntete 2018 Marco Goeckes choreografische Bearbeitung des Fellini-Films La Strada. Das Staatstheater am Gärtnerplatz führt das aufregende Handlungsballett an diesem Samstag in einem Live-Stream auf. Auch hier erklingt Nino Rotas bekannte Musik, die der Komponist einige Jahre nach der Film-Produktion zu einer Ballett-Suite verarbeitete. Marco Goecke, ehemals Hauschoreograf in Stuttgart und nun Ballettchef in Hannover, setzt dazu seine markanten flatternden und zuckenden Bewegungen in Szene und gibt der ergreifenden Dreiecksgeschichte um den Schausteller Zampano, das Mädchen Gelsomina und den Seiltänzer Matteo einen grotesken Dreh – bis hin zu einem grandiosen Raucher-Duell. (Samstag, 16. Januar, um 19 Uhr kostenfrei auf www.gaertnerplatztheater.de)
Das Staatstheater Augsburg hat die "Winterreise" choreografiert
Auch das Staatstheater Augsburg musste seine letzte Premiere ins Netz verlegen und stellt sie weiterhin in seiner Mediathek bereit. Ricardo Fernando choreografiert den Liederzyklus Winterreise zur eigenwilligen musikalischen Schubert-Bearbeitung von Hans Zendner als eine Mischung aus melancholisch-trister Innenschau und bildgewaltigem Tanzspektakel. In Erinnerung bleiben vor allem die fantasievollen Kostüme, die mit Fernandos Choreografie eine faszinierende Liaison eingehen, sowie aufregende Solos und Duette (für 6,90 Euro auf www.staatstheater-augsburg.de/mediathek).
Zum Abschluss noch eine Lesung als Streaming-Empfehlung
Mattis ist acht Jahre alt und hat viele verrückte Einfälle, die aber immer Unheil stiften. Dass er es eigentlich gut meint damit, sorgt für urkomische Begebenheiten in Silke Schlichtmanns Erstleser-Reihe „Mattis“. Am Sonntag, 17. Januar, um 17 Uhr liest die Autorin, die 2019 für ihren lebendigen Stil zur Vorlesekünstlerin des Jahres gekürt wurde, aus den Büchern und erzählt, wie sie auf die Ideen für die Mattis-Streiche kommt. Anmeldung unter https://www.vhs-wissen-live.de/vortrag/silke-schlichtmann-lesung-aus-der-mattis-reihe.html
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Einmal wöchentlich präsentieren wir Ihnen fortan an dieser Stelle Streaming-Tipps, solange der Lockdown das Kulturleben bestimmt.
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