„Es geht nicht um die Show. Es geht um euch. Ihr seid einfach nicht liebenswert. Niemand mag Narzissten“, erklärt der PR-Agent den beiden kriselnden Broadway-Stars Dee Dee (Meryl Streep) und Barry (James Corden). Deren neues Musical „Eleonore!“ über die Präsidentengattin Eleonore Roosevelt wurde von der Kritik zerrissen und gleich nach der Premiere wieder abgesetzt. Am Tiefpunkt ihrer Karriere angelangt beschließen sie nach ein paar Cocktails, ihr Image mit ein wenig Promi-Aktivismus aufzupolieren.
Aber zu welchem Thema sollen sie sich nur engagieren? Armut? Welthunger? Zu groß. Auf der Suche nach einem winzigen Unrecht, das sie aus der Welt schaffen können, werden sie auf Twitter fündig. Dort geht gerade die Geschichte von Emma (Jo Ellen Pellman) aus Indianapolis viral, die mit ihrer Geliebten auf den Abschlussball gehen wollte, woraufhin der Elternbeirat die Veranstaltung abgeblasen hat. Alle sind sich einig: Der „kleinen Lesbe“ muss geholfen werden. Und so machen sich die beiden zusammen mit dem trinkfesten Showgirl Angie (Nicole Kidman) und dem schauspielernden Barkeeper Trent (Andrew Rannells) auf in den Mittleren Westen, um den spießigen Provinzlern mit der ganzen Kraft des Glamours entgegenzutreten.
"The Prom" spielt mit dem Stadt-Land-Gegensatz
„Wir sind Liberale vom Broadway“, rufen sie in bewährt theatralischer Manier, als sie die Elternversammlung in der Turnhalle stürmen. Und schon geht das Licht aus und der Scheinwerfer wird auf Dee Dee gerichtet, die den frappierten Zuschauern ihren Song um die Ohren schmettert. „Es geht nicht um mich“, singt sie inbrünstig in dem sichtbaren Verlangen, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Kein Zweifel: Meryl Streep weiß, wie sie sich auch mit 71 ihre Spielfreude erhält. Mit Verve und feiner Selbstironie nimmt sie sich in dem Netflix-Musical „The Prom“ der Rolle der egozentrischen Diva an. Als kriselnde Rampensau ist die Streep bestens besetzt. Dass sie im Musical tanz- und gesangsfest auftreten kann, hat die dreifache Oscar-Gewinnerin bereits in „Mamma Mia!“ (2008) bewiesen.
Ihre Dee Dee hat zwar nur zwei Tony-Auszeichnungen, aber die sind auf Reisen stets griffbereit, wenn es darum geht, beim Rezeptionisten eine Suite zu ergattern. Aber der Mann hinter dem Empfangstresen zeigt sich vollkommen unbeeindruckt und beteuert, dass es in diesem Hotel nur schlichte Doppelbettzimmer gibt. Ähnlich ungerührt zeigt sich auch die örtliche Elternschaft von der Intervention der New Yorker Künstler und hält am Ballverbot fest. Einzig der attraktive Schuldirektor Hawkins (Keegan-Michael Key) setzt sich für Emma ein und erweist sich darüber hinaus als Broadway-Enthusiast und Dee-Dee-Fan. Aber auch wenn das Gericht den homophoben Beschluss kippt, hat Elternsprecherin Mrs. Greene noch einen perfiden Plan in der Hinterhand, ohne zu ahnen, dass ihre eigene Tochter Emmas geheime Geliebte ist.
„The Prom“ basiert auf dem gleichnamigen Musical von Matthew Sklar und Chad Beguelin, das vor zwei Jahren erfolgreich am Broadway lief und dessen Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht. In Fulton, Mississippi, wurde 2010 eine Schülerin vom Abschlussball ausgeschlossen, nachdem sie angekündigt hatte, mit ihrer Geliebten dort aufzutauchen. Auch damals machten sich Promis aus der Musik- und TV-Szene für die Schulabsolventin stark. Regisseur Ryan Mur-phy, der in sechs Staffeln „Glee“ das Musical erfolgreich ins Fernsehformat übersetzt hat, setzt voll und ganz auf die sentimentale Kraft der kämpferischen Coming-out-Geschichte. Diese offensive Rührseligkeit wird jedoch immer wieder durch augenzwinkernde Ironie abgepuffert, mit der Murphy auf den egozentrischen Habitus der herbei-reisenden Künstlertruppe blickt. Die Mischung geht gut auf und gerät nur beim überstürzten Massen-Happy-End außer Kontrolle, wenn die Inklusionsbotschaft mit Fanfaren verkündet und alle homophoben Provinzler im Eilverfahren zu toleranten Seelen heranreifen.
Als "Inklusical" sorgt die Netflix-Produktion "The Prom" für gute Laune
Als „Inklusical“ hat „The Prom“ zweifellos das Herz am rechten Fleck, vertritt sein gesellschaftliches Anliegen im ungebrochenen Gute-Laune-Modus und kann auch jenseits des Kraftfeldes von Meryl Streep schauspielerisch überzeugen. Der britische Comedy-Star James Corden, der in „Cats“ seine Musical-Premiere gab, kommt ohne Katzenkostüm deutlich besser zurecht, und Newcomerin Jo Ellen Pellman ist als lesbisches Mädchen, das um seine Liebe kämpft, einfach herzallerliebst.
Einzig Nicole Kidman, die ja gerade zeitgleich in „The Undoing“ brilliert, wirkt als trinkfreudiges Showgirl aus der dritten Reihe etwas deplatziert. Die Gesangseinlagen und Tanzchoreografien sind grundsolide, können aber natürlich nicht mit der wunderbaren Leichtigkeit von Damian Chazelles „La La Land“ mithalten. Der Vergleich zeigt deutlich, dass jene kinetische Energie und ansteckende Euphorie, die Musicals auf der Bühne oder im Kinosaal entfalten können, sich im Netflix-Format nicht so leicht herstellen lassen.
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