Es ist noch gar nicht so lange her, da galt die Fotografie von Mode und ihren Trägerinnen – einst Mannequins, heute Models genannt – als Zeitvertreib für die Upper Class, jedenfalls nicht als ernst zu nehmender Ausdruck von kultureller Befindlichkeit. Dass dies gerade auch in Deutschland anders geworden ist, über den Daumen gepeilt mit Beginn der 1990er Jahre, ist maßgeblich der Verdienst eines Fotografen, der aus diesem Land stammt. Peter Lindbergh hat die Modefotografie von der Aura seelenloser Oberflächenabbildung befreit, er hat diesem Genre und seinem Gegenstand zu einer Relevanz verholfen, an dem inzwischen auch die Feuilletons nicht mehr vorübergehen.
Der Modezar Karl Lagerfeld hat ganz genau gesehen, was den Modefotografen Lindbergh eigentlich ausmachte. Die Couture, so Lagerfeld, spielte bei ihm nie die Hauptrolle. Was Lindbergh wirklich interessierte, waren die Frauen, die in den teuren Stücken steckten, ihr tatsächliches Wesen hinter den Fassaden der Unnahbarkeit. Die mit ihm arbeiteten, berichteten übereinstimmend von der für das Metier ungewöhnlichen Wärme, mit der dieser Fotograf ihnen begegnete. Entsprechend vertrauensvoll öffneten sie sich seinem Blick, zeigten sich ungeschminkt und nicht selten wie frisch in den Tag gestolpert. Alle drängten sie vor seine Kamera, die Naomi Campbell und Linda Evangelista, Cindy Crawford und Kate Moss, Tatjana Patitz und Helena Christensen, die das Phänomen der Supermodels begründeten. Dass ihre Namen plötzlich so bekannt waren wie sonst nur die von Mick Jagger oder Madonna, war wesentlich Lindberghs Shootings geschuldet.
Kunstmuseen öffneten ihre Säle für Peter Lindbergh
Die Vorliebe für Schwarzweiß und gröberes Korn prägten die Handschrift des Fotografen ebenso wie die Bewegungs-Arrangements und die Licht- und Schatten-Regie, die auf eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Expressionismus und der Ausdrucksästhetik der 1920er Jahre verwiesen. Dass dieser Mann mit seinen Bildstrecken und ikonischen Covern für Vogue und Harper’s Bazaar ausgeklügelten künstlerischen Strategien folgte, erkannten bald auch die großen internationalen Kunstmuseen und begannen, für seine „Images of Women“ – so der Titel einer vielerorts gezeigten Schau – und andere Arbeiten ihre Säle freizuräumen. Vor zwei Jahren verneigte sich auch die Kunsthalle München mit einer großen Retrospektive.
Dem Griff zur Kamera war ein längerer Anlauf vorausgegangen. Geboren 1944 als Peter Brodbeck und aufgewachsen im Ruhrgebiet, arbeitete er nach der Volksschule erst einmal als Schaufensterdekorateur, bevor er sich über Abendkurse langsam der Kunst näherte und schließlich Malerei studierte. Er war bereits 27, als er zwei Jahre als Assistent des Fotografen Hans Lux arbeitete. Dann aber war die Berufung gefunden, äußerlich signalisiert auch dadurch, dass er seinen Nachnamen in Lindbergh änderte. In Paris fand er in den 70ern seine Stadt fürs Leben, und von da an ging es steil bergauf mit der Karriere. Nicht nur die Modeblätter erteilten Aufträge, sondern auch andere große Magazine wie der New Yorker oder Vanity Fair. Bald schon sammelten sich vor Lindberghs Kamera nicht nur Models, sondern auch die Stars des Film- und Musikbusiness.
Die Möglichkeiten der Digitalisierung für sein Metier sah er kritisch. Dass Bildbearbeitungsprogramme mehr Schaden als Nutzen anrichteten, war für ihn ausgemacht, die heutige Darstellung von Frauen in Magazinen kanzelte er ab als „vor den Hund gegangen“. Das Maß künstlerisch anspruchsvoller Fotografie blieb für ihn die Kamera, die für ihn fast so etwas wie ein Körperteil war. In die Hand wird er sie nicht mehr nehmen: Am Dienstag ist Peter Lindbergh 74-jährig gestorben.