Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten

Nachruf: McCoy Tyner, ein epochaler Jazz-Pianist

Nachruf

McCoy Tyner, ein epochaler Jazz-Pianist

    • |
    McCoy Tyner beim Montreux Jazz Festival 2009.
    McCoy Tyner beim Montreux Jazz Festival 2009. Foto: Dominic Favre, dpa

    Wie geht man mit der Bürde um, einer der letzten Galionsfiguren einer Zeit zu sein, in der es nicht nur um Musik, sondern um Revolte ging, den Kampf gegen Rassismus, Dummheit und Ignoranz? Mit einem herzhaften, kernigen Lachen! „Es hat für mich eine ganz besonders wichtige Funktion“, brummelte McCoy Tyner im September 2008 während eines Interviews vergnügt. „Es hält die Gesichtsmuskeln in Form. In meinem Alter nicht ganz unwichtig. Schau, andere Stars müssen stattdessen zum Facelifting, und ich kann mir das Geld für Botox sparen, hahaha!“

    Wer lacht, lebt länger, sagt schon der Volksmund. Insofern kann es McCoy Tyner auf jeden Fall als Erfolg verbuchen, sich bis ins 81. Lebensjahr gelacht zu haben. Keine Selbstverständlichkeit. Vor gut zwölf Jahren hatte der Pianist nach schwerer Krankheit wieder die Öffentlichkeit gesucht. Mehr als zehn Kilo leichter, aber dafür mit einem ungewohnten Dauerlächeln im Gesicht. Aus dem Baum von einem Mann war während der Zwangsauszeit eine zwar leicht fragile, überaus vitale, farbenreiche Zeder geworden. Ein im Geiste jung gebliebener Abenteurer, der den Elfenbeindschungel endlich wieder als Plattform für ausgedehnte Exkurse nutzen konnte. Ein Medium, das mit Hilfe vieler jungfräulicher Ideen noch einmal einen Anlauf unternahm, jedem die vielfältige Schönheit des Jazz vor Ohren zu führen. Und obendrein noch ein charmanter Gaudibursch, dessen völlig uneitler, nie aufgesetzter Humor auf Anhieb anzustecken vermochte.

    „Ich versuche bislang noch nie Gehörtes zu formen“

    Alfred McCoy Tyner, 1938 in Philadelphia zur Welt gekommen und erst mit 13 Jahren von seiner Mutter zum Klavierspiel ermuntert, war das exakte Gegenstück eines strategisch aufgebauten Musikerprofis – wie viele seiner damaligen Kollegen. Niemand gab sich in jenen Tagen mit dem Erreichten zufrieden, die Tradition galt mitnichten als museales Exponat, sondern als Startrampe in die Zukunft. Wer nach neuen Freiheiten forschte, musste auf Routine und Sicherheit verzichten. Vielleicht war es ein Vorteil, dass Tyner nie die Zeit fand, allmählich ein eigenes Profil zu finden. Als ein vom Himmel gefallenes Genie musste er die gesamte Geschichte des Jazzpianos im Schnelldurchlauf aufsaugen, um selber gleich ein neues Kapitel zu öffnen.

    Dies tat er Anfang der 1960er an der Seite von Eric Dolphy, Benny Golson, Art Farmer und Freddie Hubbard sowie mit seinem ersten eigenen Album „Inception“ (1962), bei dem bereits die Dringlichkeit der rechten Hand, die sich in furiosen Bebop-Linien auslebte, sowie die vielleicht kräftigste Linke der Jazzgeschichte, auffielen. Kurze Zeit danach traf er auf der Straße zufällig einen Geistesverwandten, der sein ganzes Leben verändern sollte: John Coltrane. Beide erkannten auf Anhieb, dass jeder vom anderen profitieren konnte. Der legendäre Saxofonist baute um McCoy Tyner herum sein Jahrhundert-Quartett mit Jimmy Garrison am Bass und Elvin Jones am Schlagzeug, das der Jazzimprovisation unbekannte Horizonte eröffnete. Der Weg führte aus der bewährten Funktionsharmonik und linearen Melodien in den modalen Jazz, der weniger auf Akkordstrukturen denn auf Timbres und Farben von Motiven und Skalen basierte.

    Als harmonisches Fundament fungierte dabei Tyner, der den plätschernden Fluss der Kadenzen in einem mächtigen, brodelnden Strom überführte. Auf diese Weise entstanden epochalen Alben wie „Crescent“, „Ascension“ oder „A Love Supreme“. Und im Nachgang, untermauert mit einem umfangreichen Ouevre von eigenen Projekten bis ins Jahr 2013, ein unverkennbarer Stil, der alle Pianisten der späteren Generation nachhaltig beeinflussen sollte.

    „Mir geht es in erster Linie ums Komponieren“, sagte Tyner 2008. „Selbst wenn ich die Songs anderer spiele, dann versuche ich, daraus etwas Neues, bislang noch nie Gehörtes zu formen.“ Am Freitag ist der Pianist als Letzter der Coltrane-Combo im Alter von 81 Jahren in New Jersey gestorben. Wahrscheinlich mit einem Lächeln auf den Lippen.

    Lesen Sie dazu auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden