Dieses Jahr erst hat er seine Leser noch einmal beglückt. Nicht mit Lyrik, die als seine eigentliche Domäne gilt, sondern mit einem Roman. Vor fast einem halben Jahrhundert, Mitte der 1970er Jahre und damals noch als Bürger der DDR, hatte er „Die zweite Frau“ geschrieben, dann aber doch nicht gewagt, die fulminate Geschichte eines Ehepaars zu veröffentlichen, und sie beiseitegelegt. Erst vor zwei Jahren dann war er im Keller der alten Dorfschule, in der er inzwischen wohnte, wieder auf das Manuskriptbündel gestoßen und hatte es endlich zum Druck gegeben. Ein herrliches Stück Prosa, gallenbitter und erheiternd zugleich, virtuos geschrieben – ein Buch, das deutlich macht, welch ein Autorenkaliber die deutsche Literatur verloren hat, nun, da am Samstag Günter Kunert im Alter von 90 Jahren in eben seinem Haus in Schleswig-Holstein an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben ist.
Geboren worden war er 1929 in Berlin, und weil er in den folgenden Jahren von den Nazis zum „Halbjuden“ gestempelt wurde, blieb ihm die höhere Schulbildung versagt. Dies und die Deportation und Ermordung von Verwandten erklärt, weshalb er nach dem Krieg im Sozialismus denjenigen Weg sah, der ihm mehr zu versprechen schien. Doch ernüchterte er schnell, was sich auch in seinem Schreiben niederschlug, das in den 50er Jahren kraftvoll einsetzte. Die DDR-Staatsmacht wiederum erkannte, dass da ein unsicherer Kantonist am Werke war und ließ Kunert bespitzeln – seine Stasi-Akte, in die der Schriftsteller nach der Wende Einsicht nahm, besaß am Ende einen Umfang von einem Meter. Als 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert wurde, gehörte Kunert zu denen, die dagegen protestierten, woraufhin man ihn in den Westen ziehen ließ. Seit 1980 lebte er in dem kleinen Ort Kaisborstel.
Bei Günter Kunert stand die Lyrik immer im Zentrum
Kunert war ein fleißiger Autor, entsprechend umfangreich ist sein Werk, das Erzählungen und Essays ebenso umfasst wie Hörspiele, Drehbücher und Reiseaufzeichnungen. Die Lyrik aber, versammelt in zahlreichen Bänden, stand bei ihm immer im Zentrum, und auch, wenn er kein Anhänger des lauten Tons war, so blieb seine Zeitkritik doch unmissverständlich. Im Gedichtband „Der ungebetene Gast“ (1965) etwa gab es Verse wie die vom König Xantos, der als „unnötigen Luxus / Herzustellen verbot, was die Leute / Lampen nennen“ – er, der König, „der / Von Geburt Blinde“. Versteht sich, dass die DDR-Kulturbürokratie solche Zeilen sehr wohl verstand als Hinweis auf das Unvermögen der Staatsführung.
Aber auch im Westen hat Kunert seine kritische Skepsis in dem ihm eigenen elegant-hintergründigen Stil nicht abgelegt. Dazu bot die Lage der Welt aus seiner Sicht auch keinen Anlass. Griesgrämig sind seine Gedichte, seine Prosastücke darüber nie geworden, stachelig konnten sie allemal sein, ganz in der Tradition eines Heinrich Heine – jenes Schriftstellers, von dem Kunert als Kind eine Ausgabe von seiner jüdischen Mutter bekommen hatte.