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Großkonzerte: Nach der Pandemie: Hat der Rock in den Arenen eine Überlebenschance?

Großkonzerte

Nach der Pandemie: Hat der Rock in den Arenen eine Überlebenschance?

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    Wird man den „Boss“ so je wiedererleben? Bruce Springsteen 2016 bei einem Open-Air-Konzert in den Niederlanden.
    Wird man den „Boss“ so je wiedererleben? Bruce Springsteen 2016 bei einem Open-Air-Konzert in den Niederlanden. Foto: Bart Maat, dpa

    Enric Salas bereitet Fans von Bruce Springsteen große Freude. Er hat Konzertmitschnitte vom „Boss“ gesammelt und veröffentlicht sie im Internet. Er stellt sie so zusammen, dass eine komplette Studio-Platte in Live-Versionen zu hören ist. Das ist interessant, das ist mitreißend. Springsteen-Anhänger jedenfalls sind begeistert. Was in den Kommentaren zu den Audios nachzulesen ist. Unter anderem schreibt ein Fan aus Deutschland. Er berichtet begeistert, dass er den „Boss“ mehrmals live erlebt habe, einmal sogar in Australien. Er endet mit der Prognose, dass er Bruce Springsteen wohl nie mehr sehen werde: „Nicht mehr in diesem Leben.“

    Da muss der Leser schlucken. Nicht mehr in diesem Leben – das sind mächtige Worte. Aber: Es könnten wahre Worte sein. Corona hat den Konzertbetrieb verstummen lassen. Nichts geht mehr. Fast nichts. Viele Künstler wechseln von der Bühne ins Internet. Mit dem Show-Erlebnis aus der Zeit vor Corona hat das aber wenig zu tun.

    Der "Boss" Bruce Springsteen beim Superbowl 2009.
    Der "Boss" Bruce Springsteen beim Superbowl 2009. Foto: Paul Buck, dpa (Archivbild)

    Bruce Springsteen gehört zu der Kategorie von Künstlern, die den durchschnittlichen Konzertsälen und -hallen entwachsen sind. Um die Topstars zu sehen, haben sich vor Corona Zehntausende in riesige Freiluft-Arenen gedrängt und horrende Preise gezahlt.

    Nie wieder kreischende Teenies bei Stadienkonzerten?

    Als erstes Stadionkonzert der Pop-Rock-Geschichte gilt der Auftritt der Beatles am 15. August 1965 im Shea Stadium in New York. Über 50.000 Teenager waren aus dem Häuschen. Die Show hatte nur einen Schönheitsfehler: Die Songs, die aus den Stadionlautsprechern quäkten, waren kaum zu hören. Die Musik ging im Gekreische unter. Die technischen Möglichkeiten verbesserten sich aber rasant. Bereits Ende der 60er Jahre standen riesige Verstärker- und Lautsprecheranlagen auf den Bühnen. In Woodstock war auch in hunderten Metern Entfernung noch etwas zu hören. Und ab Ende der 80er Jahre gab es für die Fans ganz hinten sogar etwas zu sehen. Die ersten Videoleinwände machten die Stars selbst in Reihe 1657 sichtbar.

    Woodstock gilt als die "Mutter aller Rockkonzerte".
    Woodstock gilt als die "Mutter aller Rockkonzerte". Foto: dpa

    Der Stadionrock entwickelte sich zur Spezialdisziplin der Unterhaltungsindustrie. Die Arenen wurden in die Show einbezogen. Pink Floyd ließen ein riesiges Schwein fliegen und rissen eine Mauer ein. Die Rolling Stones bauten Videotürme auf, größer als Mehrfamilienhäuser. Pink schwebte, von Drahtseilen gehalten, über den Köpfen der Menschen. Hundert Meter vor und zurück, rechts, links, höher, tiefer.

    Wann wird es solche Spektakel wieder zu sehen geben? Ist der Stadionrock nach Corona überhaupt noch möglich?

    Nach Corona wird es in der Konzertbranche nicht mehr so sein wie zuvor

    Nach Corona wird die Konzertbranche zu einer neuen Normalität finden müssen. Das US-Fachblatt Billboard berichtet, der Eintrittskartenhändler Ticketmaster überlege, den Zutritt mit einem Impfnachweis oder einem negativen Test zu verknüpfen. Man diskutiere darüber.

    Klar ist: Mehr Vorsicht, mehr Rücksicht, mehr Hygiene werden zum Showbesuch gehören. Aber was ist möglich? Ob Halle oder Stadion: Ein Menschen-Meer vor der Bühne, fünf Fans auf einem Quadratmeter – das ist im Moment nicht vorstellbar. Klar, Arenen können komplett bestuhlt werden. Wurde auch vor Corona teils schon so gemacht. Auf Sitzplätzen ist Abstand halten möglich. Einigermaßen.

    Bei Open-Air-Konzerten wie Rock am Ring ist Abstand halten schwierig.
    Bei Open-Air-Konzerten wie Rock am Ring ist Abstand halten schwierig. Foto: Oliver Stratmann, dpa

    Die Probleme beginnen früher und enden später. Darf es wieder das obligatorische Gedränge beim Ein- und Ausgang geben, vor den Imbissständen, vor den Toiletten (für Frauen immer zu wenig vorhanden), in der U-Bahn, in der Straßenbahn, im Bus, im Zug?

    Wenn weniger Besucher in Hallen und Stadien eingelassen werden, wäre mehr Abstand möglich. Klar. Aber: Geht dann die Kostenrechnung noch auf?

    Selbst wenn Politik, Behörden, Künstler und Veranstalter diese Fragen irgendwann beantworten, wenn Großveranstaltungen wieder möglich sind – es bleibt eine große Unbekannte: das Publikum. Wie verhalten sich die Fans nach Corona? Ist morgen alles vergessen? Verliert das Virus schnell seinen Schrecken? Macht das Bad in der Menge bald wieder Spaß? Oder schrecken Menschen noch lange vor Menschenansammlungen zurück?

    Dem Fußball geht es in der Corona-Pandemie wie den Musikern

    Es gibt positive Hinweise für die Branche: Die Veranstalter von Rock am Ring und Rock im Park, den größten Festivals in Deutschland, berichten, dass die Fans 130.000 Karten vom abgesagten Festival 2020 auf den neuen Anlauf 2021 haben umschreiben lassen. Damit sei ein „Großteil“ der Tickets weg.

    Es tauchen aber auch Warnzeichen auf. Zum Beispiel im Profi-Fußball. Die Rahmenbedingungen sind ähnlich wie in der Konzertbranche. Viele Menschen im Stadion sowie auf dem Weg zum und vom Stadion. Dynamo Dresden, bekannt für sein treues Publikum (Zuschauerschnitt seit 2011 immer über 20.000), durfte im Oktober für das Drittliga-Spiel gegen Meppen behördlich genehmigt 999 Zuschauer ins Stadion lassen. Die Beschränkung wäre nicht nötig gewesen. Nur 820 Tickets wurden verkauft. Lediglich ein Ausnahmefall?

    Fußballspiele finden in der Corona-Pandemie nur noch vor (fast) leeren Rängen statt.
    Fußballspiele finden in der Corona-Pandemie nur noch vor (fast) leeren Rängen statt. Foto: Adam Pretty, dpa (Symbolbild)

    Und dann ist da noch ein Faktor, der Prognosen speziell zum Stadionrock schwer macht: Die Stars, die die größten Arenen dieser Welt füllen, befinden sich überwiegend im Senioren-Alter. Die Webseite Pollstar listet die Top 20 der Jahre 2010 bis 2019 auf. Die vier Iren von U2 sind um die 60 Jahre alt. Jungspunde, verglichen mit den zweitplatzierten Rolling Stones. Mick, Keith und Charlie gehen stramm auf die 80 zu, der junge Ronnie blickt auch schon auf seinen 70. Geburtstag zurück. Ebenfalls in der Ü-70-Liga spielen Paul McCartney, 78, Bruce Springsteen, 71, Roger Waters, 77, Elton John, 73, und Eagles-Chef Don Henley, 73. Nur ein paar „Zwanziger“ finden sich in der Liste, Ed Sheeran – aber auch der wird im Februar 30 – sowie die Jungs von One Direction und Justin Bieber.

    Vermutlich heißt es bei den After-Corona-Konzerten: America first!

    Selbst wenn alte Granden wie Mick Jagger und Keith Richards versichern, dass sie nach Corona wieder Konzerte geben wollen – die Frage ist, ob sie es dann noch können. Und was für Fans in Europa nachteilig ist: Sollte die Tour-Maschinerie wieder anlaufen, dann werden die betagten Helden wohl zuerst den wichtigsten Markt beackern. America first …

    Aber auch dort werden sie warten müssen. Bruce Springsteen hat gerade erklärt, er werde 2021 nicht auf Tour gehen. Die These „Nicht mehr in diesem Leben“ droht, wahr zu werden.

    Corona wird zur Wendemarke im Showgeschäft werden – in jeder Beziehung. Bleiben werden die Erinnerungen an große, unbeschwerte Stadion-Momente und virtuelle Konzert-Rückblicke im Internet.

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