Die Zeiten haben ihn geändert. Früher, sagt Udo Lindenberg, hatte er so eine Stimme höchstens, wenn er um sechs Uhr morgens aus irgendeiner Bar herauswankte. Er wäre fast daran zugrunde gegangen. Jetzt, mit 73, als er beim Konzert in der ausverkauften Münchner Olympiahalle auch daran zurückerinnernde Songs wie „Lady Whisky“ singt, ist er heiser, weil er sich tags zuvor beim Joggen im Englischen Garten einen Infekt eingefangen hat. Dass er trotzdem auftritt, versteht sich bei dem Rocker von selbst. Denn schließlich ist es jetzt die Welt, die zugrunde zu gehen droht.
Da jedoch scheinen sich die Zeiten eben nicht geändert zu haben. Denn dazu hat Udo ja schon seit den 80ern passende Lieder. Wenn er sie an diesem Dienstag mit großem Spektakel aufführt, passen sie aber sogar noch besser: 2019, es sind perfekte Zeiten für ihn und sein Panikorchester. Direkt hintereinander spielen sie: „Wozu sind Kriege da“, zu dem ein Kinderchor mit Fadenkreuzen auf den T-Shirts auftritt; „Ratten“, das vor über 30 Jahren schon Umweltverschmutzung anprangerte und Udo jetzt freilich in Verbindung mit „Fridays For Future“ bringt; und „Straßenfieber“, das zum Widerstand gegen die Politik aufruft und Udo nun für aktualisierten Politikverdruss nutzt: Die Politiker sollten ihre Geld- und Machtspiele untereinander und nicht auf dem Rücken der Menschen und der Welt austragen – dazu steigen Boxer mit großen Putin- und Trump-Köpfen in den Ring, bevor als lachender Dritter Xi Jinping mit Rakete in der Hand von der Videoleinwand grüßt.
Ja, es ist großes Weltretter-Pathos. Dazu gibt’s noch das alte Peace-Zeichen auf den Tour-Shirts und den Greenpeace-Eisbären auf der Bühne. Und Sätze von Udo wie: „Wenn einer allein träumt, bleibt er ein Träumer – wenn wir alle gemeinsam träumen, wird es Wirklichkeit.“ Oder: „Die Menschen müssen endlich den Krieg abschaffen, damit der Krieg nicht letztlich die Menschen abschafft.“ Aber gleich zu Beginn der Show markierten ja Bühneneffekte mit Riesenknall und Feuerstößen sowie die Raumschiff-Inszenierung auf der Videoleinwand: Hier landet ein Außerirdischer mit seiner Botschaft – also lasst alle Nüchternheit fahren, ihr 12500 Fans! Feiert mit der ganzen Panikfamilie samt Tänzerensemble auch die „Bunte Republik Deutschland“, gleitet ins Finale mit einem Hit-Karneval samt „Sonderzug nach Pankow“ und „Alles klar auf der Andrea Doria“ …
Bei diesem wilden Ritt zwischen aberwitzigem Nonsens- und bekennend naivem Weltrettungsspektakel spielten dann auch Udos ganz irdische Stimmprobleme bald kaum noch eine Rolle – gegen die er übrigens auch erfolglos anfangs mit Eierlikör, gegen Ende etwas erfolgreicher mit Weißbier anzugurgeln versuchte. Und spätestens mit Erscheinen des Überraschungsgastes dieses Abends war sowieso alle Rationalität dahin. Otto Waalkes, ja auch schon 70 und in grauer Vorzeit mal Udos WG-Kollege, trat auf, sang unter anderem ein Cover von „Highway to Hell“. Das Absurde regierte, wo eben noch Kinder Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes zu „Wir ziehen in den Frieden“ vorgetragen hatten. Aber auf Planet Udo passt all das eben zusammen. Und gerade mit diesen lustvollen Brüchen gelingt sie, die Rettung der Welt, an diesem Abend, in dieser Halle, für diese knapp drei Stunden.