Man kann es natürlich machen wie Justin Bieber. Der forderte all die Millionen Fans, die ihm in den sozialen Netzwerken folgen, einfach mal auf, seine Songs auch nachts, während sie schlafen, bei Streamingdiensten wie Spotify und Apple Music laufen zu lassen. Für sie bedeute das ja weder großen Aufwand noch irgendwelche Kosten, denn als Kunden haben sie ja Abonnements mit einem festen, von der Nutzung unabhängigen Monatspreis – ihm aber brächte es noch mehr Aufmerksamkeit in den Ranglisten und vor allem: mehr Geld!
„Nur“ 588.000 Euro im Jahr 2019 für Helene Fischer?
Und darum geht es auch in einem Konflikt, der in der deutschen Musikbranche gerade eskaliert, und in den die größten Stars verwickelt sind, Helene Fischer und Rammstein, Sarah Connor und Peter Maffay, Silbermond und Marius Müller-Westernhagen … Denn Geld ist im boomenden Geschäft mit dem Streaming tatsächlich inzwischen einiges zu machen, nachdem die Branche lange Jahre wegen des Einbruchs der physischen Plattenverkäufe gedarbt hatte.
Im vergangenen Jahr wurden erstmals in Deutschland mehr als 100 Milliarden Musikstreams abgerufen. Und die Bild-Zeitung hat kürzlich mal exemplarisch durchgerechnet, wie viel Geld wer damit umsetzt, allerdings ohne jede Bestätigung für die Zahlen von den Künstlern. Die Faustregel: Pro eine Million Streams bekommt die Plattenfirma 3500 Euro vom Anbieter überwiesen. Die 107 Milliarden Streams von 2019 würden knapp 375 Millionen zu vergebende Euro bedeuten – und für Rammstein in diesem Jahr eine Überweisung von 1,2 Millionen, bei Helene Fischer rund 588.000, Sarah Connor knapp 550.000, Peter Maffay 161.000, Marius Müller-Westernhagen 108.000, die Kelly Family 91.000...
Spitzenverdiener in Deutschland sind aber die Deutschrapper, deren Publikum jünger ist und viel mehr streamt: Bonez MC verdiente 2019 nach Beispielrechnung über 2,8 Millionen, RAF Camora knapp 3,2 Millionen und Serien-Hitlieferant Capital Bra mit 1,8 Milliarden Streams sogar rund 6,3 Millionen Euro. Wobei der von den Dienstleistern überwiesene Anteil noch steigen dürfe, je erfolgreicher der Künstler ist, weil er damit etwa für Spotify ja auch profitabler ist.
Spotify und Co.: Von zehn Euro landen 50 Cent beim Künstler
Das Problem, auch in der Faustregel enthalten: Die Überweisung geht an die Plattenfirma des Künstlers. Wie viel also kommt wirklich beim Künstler an? Dafür servierte wiederum die FAS eine Faustregel. Demnach reichen Spotify und Co. rund 70 Prozent ihrer Einnahmen an die Rechteinhaber weiter. Durchschnittlich aber kommen von den 10 Euro, die ein Abonnent pro Monat zahlt, nur gut 50 Cent beim Künstler an, rund drei Euro dagegen blieben bei der Plattenfirma.
Und das – nicht etwa, dass sie so viel weniger verdienen als die Rapper – ist es, was nun Deutschlands Popstars auf die Barrikaden treibt. Genauer gesagt, die Managements, die deren Interessen vertreten. Und die sich nun, über alle Genregrenzen, die Helene Fischer und Peter Maffay und Rammstein trennen, hinweg, zusammengeschlossen haben. Sie haben nämlich einen gemeinsamen Brief an die Chefs der vier großen Plattenfirmen – Universal, Sony, Warner und BMG bei Bertelsmann – geschrieben, der der FAS vorliegt und sich wie eine gerichtliche Vorladung liest.
Es gebe „das dringende und grundlegende Bedürfnis nach einer Überprüfung und gegebenenfalls Neustrukturierung des Abrechnungs- und Vergütungsmodells im Bereich des Streamings“. Verhandelt werden soll Mitte Februar in einem Hotel in Berlin. Die dafür deutliche formulierte Forderung nach einer „Angemessenheit der Vergütung“ heißt schlicht: Es muss mehr für die Künstler rauskommen. Oder was?
Und die Kleinen der Branche haben sich mit Tiktok geeinigt
Wollen die in digitalen Marketing- und Vertriebszeiten ohnehin weniger auf die Labels angewiesenen Künstler sonst mehr selber in die Hand nehmen? Oder pokern sie schlicht mit den Effekten des Kapitalismus? Der Konkurrenzkampf zwischen den Plattenfirmen um die Stars möge ihnen den besten Deal bescheren … Während die anderen drei Riesen bislang mauern, hat sich die unter dem Kürzel BMG firmierende Musikabteilung des Bertelsmann-Konzerns jedenfalls sehr verständnisvoll und offen gezeigt – und will ja ohnehin expandieren im Stargeschäft. Das Management der Toten Hosen, JPK, indes betont, ebenfalls unter den Unterzeichnern: Es gehe ihm gar nicht um die Stars, sondern um die Verhältnisse „für junge, aufstrebende Bands“.
Jetzt, da wieder Geld zu verteilen ist, suchen sich alle Hebel im Ringen um eine Neuordnung des digital weiter wachsenden und sich immer weiter verästelnden Marktes. Auch diesseits der Stars und großen Plattenfirmen und in immer neuen Kanälen. So wurde nun auch bekannt, dass es eine Einigung zwischen TikTok und Merlin gegeben habe. TikTok ist ein aufstrebendes Videonetzwerk aus China mit inzwischen weltweit über 800 Millionen Nutzern; Merlin ist eine Lizenzplattform, die die Rechte für mehr als zehntausend unabhängige Musikunternehmen vertritt – und damit nach eigenen Angaben gut 15 Prozent des Marktes für Musikaufnahmen.
Jetzt ist sichergestellt, dass TikTok-Nutzer diese nutzen dürfen (hier oft für eigene Play-back-Videos) – und dass die Künstler dafür Geld bekommen. Also zunächst deren Plattenfirmen. Mit denen die Musiker dann wieder aushandeln müssen … Ja, kompliziert, die neue Musikwelt. Und je mehr Geld wieder zu verdienen ist, desto umkämpfter wird sie sein.
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