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Löschs "Nachtasyl": Krise taugt nicht zum Skandal

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Löschs "Nachtasyl": Krise taugt nicht zum Skandal

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    Löschs «Nachtasyl»: Krise taugt nicht zum Skandal
    Löschs «Nachtasyl»: Krise taugt nicht zum Skandal Foto: DPA

    Doch aus der Augenpartie ist auf voller Breite eine Luke geworden, aus der elf Figuren herausschauen. "Ich kannte einen Menschen, der glaubte an das Land der Gerechten", schreien sie im Chor. Merkel, ein Chor, Gesellschaftskritik: Sofort sind am Freitag die Eckpfeiler dieses Theaterabends klar. Regisseur Volker Lösch gibt zur Stuttgarter Spielzeiteröffnung mit "Nachtasyl Stuttgart" einen entrüsteten Kommentar zur Krise, dem das Publikum aber äußerst gelassen begegnet.

    Sofort nach dem schreienden Chor werden wie in einem Episodenfilm die Figuren und ihre Charaktere laut und schnell umrissen: Der Unternehmer beutet aus, die Studentin träumt vom Systemsturz, der Taxifahrer hat Geldprobleme, der Banker prahlt mit seinen Boni, die Kassiererin wird ausgebeutet, ein Zeitarbeiter fühlt sich wertlos. In ihnen verdichten sich Interviews, die Lösch und sein Team mit 33 Stuttgarter Bürgern geführt haben und in denen sich vor allem die Angst vor dem Abstieg zeigt.

    Das rund 100 Seiten starke Programm enthält auch das Gespräch mit einem Sozialarbeiter, der in einer zentralen Rolle den Motivator für alle anderen spielt. In bester Hilfe-zur-Selbsthilfe-Manier gibt er den anderen den Glauben an sich selbst zurück. Doch Erfolg hat er damit nicht: Lösch wäre nicht Lösch, wenn er eine derartige Katharsis im Minutentakt zulassen würde. Die Figuren scheitern an ihren neuen Träumen. Am Ende steht ein hoffnungsloses Fazit.

    "Wir haben alle keine Erfahrung damit, wie es ist, dass einem plötzlich, von heute auf morgen, der Teppich unter den Füßen weggezogen wird", fasst der Unternehmer zusammen. Besonders "grausam" werde das in Stuttgart, dem "Epizentrum der Krise", vor allem ab dem 28. September, dem Tag nach der Wahl. Auf der Suche nach Bestätigung fragen die Figuren schließlich im Publikum, wer denn nun besonders von der Krise betroffen sei oder wer daran glaube, dass Kapitalismus eine gute Gesellschaftsform sei.

    Öffentliche Anklage und lautes Infragestellen des Systems - diese Formen des radikalen politischen Kommentars haben bei Volker Lösch Methode. Sein "Hamlet" durfte im Schlamm wühlend über Verflechtungen der Großindustrie philosophieren, im Hamburger "Marat" wurden offensiv Millionärsnamen ausgerufen. Beim Stuttgarter Publikum löst die Kapitalismuskritik zum Auftakt der Spielzeit 2009/2010 unter dem Motto "Glaube Liebe Geld" aber nur gelassene Reaktionen aus.

    Am Ende des Abends folgt lautes Klatschen für die Leistungen der Schauspieler. Bei Regisseur Lösch, Dramaturg Jörg Bochow und Bühnenbildnerin Cary Gayler mischen sich jedoch auch einige deutliche Buhrufe in den Applaus.

    www.staatstheater.stuttgart.de

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