Und schon wieder findet der totale Umsturz statt. Politiker mögen ihn je nach Motivation warnend an die Wand malen oder herbeireden, Journalisten und Wissenschaftler mögen ihn drohen sehen oder prophezeien – in der Literatur nimmt er tatsächlich und unentwegt und auf unterschiedlichste Weise Gestalt an. Diesmal nicht etwa ausgelöst durch einen Tross von hunderttausenden Flüchtlingen, wie ihn Timur Vermes in „Die Hungrigen und die Satten“ drastisch beschrieb. Und nicht durch die Machtübernahme der Muslime, wie sie Michel Houellebecq in „Unterwerfung“ skizzierte. Aber wieder geht es um die Angst vor und die Macht von rechts.
„Rechtswalzer“ heißt der neue Roman des Wiener Autors mit dem Künstlernamen Franzobel. Und der beginnt nicht von ungefähr mit einem Zitat aus Houellebecqs Umsturz-Buch. Denn wenn der französische Star inszeniert hat, wie sich eine liberal erschlaffte Gesellschaft aus Angst vor der Rechten an den autoritären Islam ausliefert, dann ist das hier das Gegenstück. Franzobel erzählt, wie eine verunsicherte liberale Gesellschaft den autoritären Rechten nichts entgegenzusetzen hat, die mit der Angst vor einer Übernahme durch Migranten Politik machen. Mit dem gleichen Ansinnen wie Timur Vermes, mit der Frage: Muss diese angesichts der Krisenszenarien wankende Demokratie erst in die autoritäre Katastrophe verfallen, bevor sie zum Kampf für ihre Werte und die Kooperation zu kämpfen bereit ist?
Mit dem letzten Roman Gewinner des Bayerischen Literaturpreises
Zuletzt hatte Franzobel in der Zeit der auf dem Meer sterbenden Flüchtlinge und der Warner vor „vollen Booten“ mit einem vergangenen Horror für Furore gesorgt. Da gewann der Autor unter anderem den Bayerischen Literaturpreis, weil er in „Das Floß der Medusa“ das berühmte historische Szenario wuchtig belebt hatte, in dem Schiffbrüchige ums Überleben kämpften und dabei nach und nach alles Zivilisatorische für die eigenen Zwecke verloren – und sogar zu Kannibalen wurden. Eine durchaus doppelbödige Parabel ohne echtes Happy-End.
Und nun setzt der 51-Jährige mit „Rechtswalzer“ zwar eigentlich seine bereits zweiteilige Krimiserie um den Wiener Ermittler Groschen fort. Tatsächlich aber ist es unter der Oberfläche eines schreiend schrillen Unterhaltungsplots eben eines dieser politischen Mahnerbücher, die gerade so hohe Konjunktur haben in einer Zeit der Ungewissheit und des Umbruchs.
Der Franzobel-Kniff dabei: Bei der Kriminalgeschichte, die er erzählt, stellt sich gar nicht erst die Frage, ob sie glaubwürdig ist. Es ist einfach zu grotesk, wie hier der mit Kind, Frau und hippem Getränkehandel im Leben stehende Malte Dinger über versehentliches Schwarzfahren plötzlich ins Gefängnis geschickt und in mafiöse Machenschaften verstrickt wird. Und hanebüchen wie Franzobels immer wieder Amok laufender Wortwitz ist auch, wie sein Kommissar Groschen auf der Spur von brutalsten Morden und sexuellen Exzessen, an die Saudis verkauften Gletschern und einem Showdown beim Wiener Opernball Einblicke in die sich langsam immer merklicher durchsetzende autoritäre Bewegung erhält. Denn eigentlich geht es ja um diese. Und ihre Konstruktion wirkt inmitten des sonst herrschenden Wahnsinns eben geradezu glaubwürdig.
Es ist das Jahr 2024, die Bewegung heißt – nach dem historischen römischen Grenzwall – Limes und hat die Stimmung gegen Migration und Liberalität, Gender-Debatten und die EU weiter aufgeheizt, die schwarz-blaue Regierung damit rechts überholt und setzt mit einem feschen Meister an der Spitze zur Machtübernahme an. Franzobel spielt dabei nach und nach die ganze Klaviatur des gesellschaftlichen Umbaus ins Autoritäre, in eine Diktatur, durch. Die Menschen werden sortiert, Unerwünschte wie Migranten raus aus dem Land, Oppositionelle rein ins Lager. Weg mit kritischen Medien und widerspenstiger Kunst, Sprache und Denken werden von den Bürgern zusehends gegenseitig überwacht, Institutionen wie Kirche, Kultur und vor allem die Polizei und die Justiz werden unter dem Motto der Bewegung („Wir sind das Volk“) gleichgeschaltet …
2025 kommt Alexander Gauland zum Wiener Opernball
Franzobel sagt selbst, er habe einfach das auf das Österreich der nahen Zukunft übertragen, was eben immer geschehe, wenn Diktaturen entstünden, historisch, aber auch aktuell in der Türkei. Und gerade dabei sei er immer wieder bestürzt gewesen, welche Töne dieser Klaviatur bereits die heutige Wirklichkeit in seiner Heimat erkennen lassen. Wenn etwa Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ fordert, die Justiz solle sich nach der Politik richten. Aber waren solche Töne, Forderungen wie die Rechtssprechung solle sich am „Rechtsempfinden der normalen Menschen“ orientieren, nicht auch in Deutschland zu vernehmen? Nun, Österreich ist ja auch im Roman von Franzobel nur der Beginn der Erfolgsgeschichte der Limes-Bewegung. Und zum Opernball 2025 begrüßt der Meister dann als Gäste: Marine Le Pen, Viktor Orban, Alexander Gauland …
Aber ist das nicht billig? Ideologisierend übertrieben, effektheischend? So Groteskes sie auch lieferten: Timur Vermes bemühte sich doch ernsthaft um Analyse und Lösung des Migrationsproblems, Michel Houellebecq entlarvte auch die Widersprüche und den drohenden Zerfall liberaler Gesellschaften. So schärften deren provokative Szenarien das Verständnis für die Gegenwart. Nützliche literarische Katastrophen also. Und Franzobel? Drückt bei allem humoristischen Lärm und effektheischenden Alarm bloß eine Angst aus: Was, wenn alles kippt, wir es nur nicht sehen wollen und uns dann, zu spät und zu vereinzelt, machtlos fügen? Fantasy? Hoffentlich, suggeriert Franzobel – denn auf uns wäre kein Verlass, wir tanzten den „Rechtswalzer“ mit.
Und auch „Rückwärtswalzer“? So heißt tatsächlich der neue Roman der Wienerin Vea Kaiser, der im März erscheint. Nächster Alarm. Oh, ach, nö, es geht hier nur um das Abenteuer des einzelnen, mit der Geschichte verwobenen Lebens. Man wird wohl allzu leicht allzu untergangsversessen mit all diesen Szenarien …
Franzobel: Rechtswalzer. Zsolnay, 416 S., 19 €.