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Literatur: Florian Illies schreibt über "Die Liebe in Zeiten des Hasses"

Literatur

Florian Illies schreibt über "Die Liebe in Zeiten des Hasses"

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    Das It-Girl der damaligen Zeit und Star der Berliner Bohème: Schauspielerin und Schriftstellerin Ruth Landshoff, Nichte des Verlegers Samuel Fischer. Wenn Charlie Chaplin nach Berlin kommt, zeigt sie ihm die Stadt.
    Das It-Girl der damaligen Zeit und Star der Berliner Bohème: Schauspielerin und Schriftstellerin Ruth Landshoff, Nichte des Verlegers Samuel Fischer. Wenn Charlie Chaplin nach Berlin kommt, zeigt sie ihm die Stadt. Foto: Ullstein Bild Dtl. via Getty Images

    Ein Buch, das man andauernd weglegen möchte. Nein, nicht weil es langweilt, überhaupt keine Zeile. Sondern weil man zu neugierig wird, zu ungeduldig, schnell nachlesen möchte irgendwo im Netz, zum Beispiel eines der federleichten aber mit spitzem Kiel geschriebenen Gedichte, welche die junge Mascha Kaléko in diesen Jahren aus der Berliner Luft fischt: „Ich singe, wie der Vogel singt, beziehungsweise sänge, lebt er wie ich, vom Lärm umringt, ein Fremder in der Menge...“.

    Oder weil man doch ein wenig klatsch- und tratschsüchtig wird, schon mal vorab wissen möchte, wer noch im Cabrio des It-Girls Ruth Landshoff mit ihrem kessen Bubikopf, Inbegriff der neuen selbstbewussten Frau, Platz nimmt und mit ihr am Lenkrad durch Europa braust, und wen sich Kurt Tucholsky als neue Liebschaft ins schwedische Häuschen einlädt, wie lange Pablo Picasso diesen Liebes-Zeitplan durchhält: Am Wochenende Familie, unter der Woche die Geliebte, dazwischen muss die Bettwäsche gewechselt werden … Aber gemach, gemach, wird ja von Florian Illies alles erzählt auf den 432 Seiten seines Buches „Liebe in Zeiten des Hasses“.

    Florian Illies setzt "Liebe in Zeiten des Hasses" nach bewährter Manier zusammen

    Ein Buch, wie ein XXL-Puzzle, das Illies nach bewährter Manier zusammensetzt wie schon in seinem Bestseller „2013“, wo am Ende der „Sommer des Jahrhunderts“ sich zum Gesamtbild fügte. Nun sind es die Jahre zwischen 1929 und 1939: Im letzten Schimmern der Goldenen Zwanzigern wird in der Boheme wild und verzweifelt gelebt, begehrt, betrogen, geliebt auch – aber nicht immer. Am Horizont zieht schon die Düsternis der kommenden Jahre auf. Weil Illies im Präsens schreibt, als sei das Ende noch nicht gewiss, liest man das auch so: Folgt also all den berühmten Liebespaaren von einer Verwirrung und Verirrung zur nächsten, hofft wie für alle Liebenden aufs Glück, sitzt lebens-, geschichten- und gegenwartshungrig mit im Romanischen Café in Berlin, in dem „der Weltgeist zu Hause ist in jenen leuchtenden Jahren vor der Verdunklung“.

    Wie gut also war es um die Liebe bestellt in Zeiten des Hasses? Illies, erfahrener Zeitgeist-Diagnostiker, berühmt geworden mit seiner Untersuchung „Die Generation Golf“, misst die Temperatur, stellt fest: Die Liebe in diesen Zeiten ist kühler, wenn auch nicht gleich unter Null, wie es sich Ernst Jünger für die Literatur wünscht. Eine ganze Generation habe jene Kälte zur Maxime erhoben, deren Lehrmeisterinnen Greta Garbo und Marlene Dietrich gewesen sind, diese beiden großen Unbeweglichen, schreibt Illies. Hauptsache cool.

    Am Berliner Bahnhof steht denn auch ungerührt Bertolt Brecht – frisch getraut – und empfängt mit dem Hochzeitsstrauß die Geliebte, Anais Nin gibt dem Schriftsteller Henry Miller einen Schlaftrunk, um aushäusig zu übernachten, Alma Mahler-Werfel lässt sich über Franz aus, seit wenigen Monaten ihr dritter Mann: „Soll er seinen Dreck allein machen. Warum habe ich geheiratet? Wahnsinn.“ Und durch Schweden braust die traurige Lisa Matthias, von Tucholsky abserviert, und fragt sich: „In der heutigen Zeit Liebe? Wer liebt denn heute noch?“. Kurt Weill zum Beispiel seine Lotte Lenya, die aber bringt das Geld des Komponisten mit einem furchtbar schlechten Spieler in den Casinos in Südfrankreich durch.

    Die Protagonisten erproben alle Spielarten der Liebe

    Auftritt, Abgang, Aufritt, Abgang – immer nur kleine Szenen gesteht Illies den Protagonistinnen und Protagonisten zu, dafür betreten sie meist mehrfach die Bühne, erproben alle Spielarten der Liebe: Max Beckmann, Vickie Baum, Josephine Baker, Gustaf Gründgens, die Mann-Geschwister Klaus und Erika, Pamela Wedekind, Erich Kästner, Alfred Döblin, Gottfried Benn, Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Zelda und F. Scott Fitzgerald. Es ist als schaue Illies durchs Kaleidoskop, bei jeder Drehung eine neue Paarung, die Beziehung immer etwas anders glitzernd oder auch schon mit dunklen Splittern durchsetzt. Fifty und mehr shades of love.

    Was aber erfährt man über die Geschichte, wenn man sie anhand von Gefühlen, von Sehnsüchten und Ängsten erzählt? Zum einen, was man natürlich weiß, sich nun als kleinteiliges Mosaik vor einem ausbreitet, wie die dunkle Politik die Liebe zerstört, die Menschen auseinandertreibt und allein zurücklässt wie Charlotte Wolff, Ärztin, Sexualwissenschaftlerin, bald ohne Arbeit und dann auch ohne Partnerin, die sie wegen ihrer jüdischen Herkunft verlassen wird. Zum anderen, wie zerborstene Liebe den Lauf der Weltgeschichte um ein paar Grad in eine andere Richtung wendet, tiefer ins Dunkle.

    Josef Stalin verliert nach dem Selbstmord seiner Frau Nadja auch den letzten Rest Vertrauen in die Menschheit: „Ab dem 9. November 1932 wittert er nur noch Verschwörer, die es zu vernichten gilt.“ Schon ein Jahr vorher verliert Paul von Hindenburg das Zutrauen in seinen vor der NSDAP eindringlich warnenden Ratgeber Kurt von Schleicher – weil der die Frau des eigenen Cousins geheiratet hat.

    Ist Florian Illies all seinen Figuren wirklich so nah gekommen?

    Aber schnell weiter und weiterlesen, manchmal dabei auch Zweifel wegwischend: Kann Illies all seinen Figuren wirklich so nah gekommen sein, durch Lesen von Tagebüchern, Briefen und Biografien, wo beginnt die Fiktion? Und: Wird er mit diesem Format der Tragik mancher Schicksale gerecht, entsteht nicht doch eine Schieflage, wenn Selbstmord und Seitensprung gleichermaßen schnell und elegant erzählt aufeinanderfolgen. Bräuchte es nicht manchmal doch einen anderen Ton, mehr Reflexion, eine andere Gewichtung? Aber, ach: Was liest sich das wieder gut, was entsteht da für ein großartiges Liebes-Panorama, welch ein begnadeter Erzähler ist dieser Autor.

    „Was die Menschen der zwanziger Jahre dringend gebraucht hätten, war Liebe (oder wenigstens Therapeuten)“, schreibt Florian Illies: „Was sie bekamen, waren Aufputschmittel.“ Aus Amerika dichtet die emigrierte Mascha Kaléko: „Gewiss, ich bin sehr happy. Doch glücklich bin ich nicht.“

    Florian Illies: Liebe in Zeiten des Hasses. S.Fischer, 432 Seiten, 24 Euro

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit Buchblogger Marius Müller an:

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