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Literatur: Die erniedrigte Frau: Plötzlich ein Weltbestseller

Literatur

Die erniedrigte Frau: Plötzlich ein Weltbestseller

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    „Kim Jiyoung, geboren 1982“ heißt das Buch von Cho Nam-Joo und wurde in ihrer Heimat Korea auch bereits erfolgreich verfilmt.
    „Kim Jiyoung, geboren 1982“ heißt das Buch von Cho Nam-Joo und wurde in ihrer Heimat Korea auch bereits erfolgreich verfilmt. Foto: Minumsa, Kiepenheuer & Witsch

    Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite sind da die Hymnen. Die fallen im Englischen wie immer besonders hochtönend aus und werden nun sicher als weitere, weit ausstrahlende Multiplikatoren dafür sorgen, dass dieses Büchlein, das in seinem Herkunftsland Korea ein großer Erfolg war und bereits verfilmt ist, das schon jetzt über zwei Millionen Mal verkauft wurde, den bereits auf ihm angebrachten Aufkleber umso mehr erfüllt: „Weltbestseller“! Der britische Guardian etwa raunt: „Diese Geschichte könnte die Welt verändern.“ Die New York Review of Books: Es zu besitzen, bedeute einen Mitgliedsausweis für „die kollektive Erfahrung der Erniedrigung von Frauen“. Aber holla! So was druckt man dann natürlich auf einen Buchrücken!

    Auf der anderen Seite aber stehen Form und Inhalt des Büchleins selbst. In sehr nüchterner Beschreibung wird von der titelgebenden „Kim Jiyoung, geboren 1982“ erzählt, beginnend mit dem rätselhaft verwirrten Zustand, in dem sie sich eigentlich am Ende der Geschichte befindet: Sie scheint nicht mehr zu wissen, wer sie ist, spricht etwa mit ihrem Mann, als wäre sie ihre eigene Mutter oder dessen frühere Freundin … Um dann zu berichten, wie die erst 23-jährige Frau und junge Mutter in diese Lage gekommen ist. Und zum so gar nicht dramatisch angelegten Ton kommen dann auch noch Fußnoten, in denen auf wissenschaftliche Studien und offizielle Statistiken verwiesen wird.

    In "Kim Jiyoung" geht es um Geschlechtergerechtigkeit, Rollenmodelle und Gewalt gegen Frauen

    Natürlich, es geht bei all dem um ein an sich wichtiges und in diesen Zeiten zudem sehr schnell mit sehr großer Bedeutung aufgeladenes Thema: Geschlechtergerechtigkeit, Rollenmodelle, strukturelle Gewalt gegen Frauen in der Gesellschaft. Der konkrete Fall der Kim Jiyoung aber ist sehr stark kulturell geprägt. Oder ist in England, den USA oder Deutschland diese Enttäuschung von Großeltern verbreitet: einst, dass Jiyoung nicht als Junge geboren wurde, und heute noch, dass sie selbst nur ein Mädchen zur Welt bringt? Ist es auch hier selbstverständlich, dass in der Schulkantine alle Jungen zuerst drankommen, bevor das erste Mädchen essen darf? Können Frauen auch hier noch so viel fleißiger und besser sein als ihre männlichen Kollegen, Karriere machen trotzdem jene? Und ist selbstverständlich, dass wegen der Kinder sie den Beruf aufgibt, nicht er? Werden Frauen selbst verantwortlich gemacht für Belästigungen, die sie erleiden?

    Oh, hat sich das im Lauf der Fragen nicht etwas verschoben? Und genau das ist das Kluge an diesem Buch. In Jiyoungs Geschichte nämlich liegt die Geschichte ihrer Mutter wie die ihrer Großmutter – natürlich mit Verschiebungen bis ins Heute, Verbesserungen. Und ebenso gibt es Erscheinungen, die kulturell bedingt sind, ist die Gleichberechtigung anderswo also schon weiter entwickelt. Aber in den Spiegelungen dieses so unaufgeregt daherkommenden und wissenschaftlich untermauerten Büchleins kann man dennoch am nach wie vor überall herrschenden Skandal nicht vorbeisehen, dass die Benachteiligung von Frauen noch immer Normalität ist.

    Es ist also ein kluges, ein gutes und wichtiges Buch. Und tatsächlich ist es ein Glücksfall, wenn eines wie dieses zum Weltbestseller wird – und kein neues „Fifty Shades of Grey“. Aber „die Welt verändern“? Hätten dann doch schon so viele müssen, literarisch bessere auch womöglich. Die äußere Sensation ist also eigentlich keine im Inneren. Aber wenn auch die Superlative und Hymnen helfen, die Erkenntnis zu verbreiten, ist ja einiges gewonnen.

    Cho Nam-Joo: Kim Jiyoung, geboren 1982. Übersetzt von Ki-Hyang Lee. Kiepenheuer & Witsch, 208 S., 18 Euro

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