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Liberalismus-Krise: Am Beispiel Robert Habeck: Das Dilemma der Politik

Liberalismus-Krise

Am Beispiel Robert Habeck: Das Dilemma der Politik

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    Da war die direkte Politivermittlung noch möglich: Robert Habeck vor Corona bei einer Wahlkampfveranstaltung. Sichtbar in Szene gesetzt: Die verbindende Mitte der Gesellschaft soll grün sein.
    Da war die direkte Politivermittlung noch möglich: Robert Habeck vor Corona bei einer Wahlkampfveranstaltung. Sichtbar in Szene gesetzt: Die verbindende Mitte der Gesellschaft soll grün sein. Foto: dpa

    Robert Habeck hat also wieder ein Buch geschrieben. Natürlich hat das mit seiner Karriere zu tun. Als er 2016 die Autobiografie „Wer wagt beginnt“ veröffentliche, setzte er mit der Bewerbung als Spitzenkandidat der Grünen für die Wahl zum Sprung aus der Landes- in die Bundespolitik an. Als er 2018 die Denkschrift „Wer wir sein könnten“ nachlegte, wurde er deren Bundesvorsitzender. Und nun, das verschweigt der 51-Jährige gar nicht, ist das Ziel, nach der Wahl 2021 mitzuregieren. So kommt „Von hier an anders“ denn auch titelgemäß als Entwurf für eine künftig andere Politik daher. Dabei ist dieses Buch aber in der Erklärung, warum eine solche nötig ist, ein Lehrstück über eine Politik-, eine Gesellschaftskrise, die weit über Habeck, die Grünen und Deutschland hinausweist.

    Ist es darum als Hoffnungszeichen zu verstehen, dass, wer sich auf Amazon für Habecks Buch interessiert, in der Standard-Rubrik „Wird oft zusammen gekauft“ nicht etwa dessen ältere Bücher angezeigt bekommt, sondern: Sven Voelpel mit „Die Jungbrunnenformel“? Ist parallel zu dessen Untertitel „Wie wir bis ins hohe Alter gesund bleiben“ bei Habeck das gleiche für die liberale Demokratie zu finden? Während Voelpel jedenfalls gegen „Zivilisationskrankheiten wie Herzinfarkt, Diabetes, Atemwegserkrankungen und Krebs“ praktische Tipps „für die Bereiche Ernährung, Bewegung, Schlaf und soziale Beziehungen versammelt“ – bei Habeck überragen die Verfallserscheinungen deutlich die Wiederbelebungsansätze. Voelpel verspricht jedem Einzelnen für ein gesundes Altern: „Wissen wirkt Wunder!“ Habeck beschwört gegen das drohende Zerfallen der Gesellschaft: „Die Macht des Miteinander“. Und: das Gefühl!

    Robert Habeck ist ein studierter Philosoph, der Romane und Kinderbücher schrieb

    Voelpel ist eigentlich Betriebswirtschaftler, Habeck ein studierter Philosoph, der Kinderbücher und Romane schrieb. Der Münchner ist als Verhaltens-Ratgeber zum Bestseller geworden, der Lübecker als Politik-Erklärer zwischenzeitlich zum beliebtesten Politiker in Deutschland. Doch während die Klientel des einen unweigerlich immer weiter wächst und die Probleme dabei die gleichen bleiben, hat der andere inzwischen mit Aufmerksamkeitsschwund zu kämpfen und dem drohenden Exitus seines Projekts: Die liberale Demokratie, sie leidet an einer Art Folgevergiftung durch ihre eigenen Prinzipien.

    Habeck macht sich im Buch den Zweifel von Barack Obama zu eigen, den der formulierte, als er im Amt des US-Präsidenten seinem Nachfolger Platz machte: „What, if we were wrong?“ Was also, wenn die Wahl Donald Trumps und der Aufschwung von neuen Rassismen und Nationalismen zeigt, dass die Annahme, das Richtige zu tun, indem man liberalen Grundsätzen wie die Gleichberechtigung zur weiteren Durchsetzung verhilft, ein Irrtum war? Wenn das forcierte Liberale unweigerlich das Illiberale gebiert? Wenn der Versuch, alle als gleich zu einen, gerade zur Spaltung führt?

    Habeck berichtet von persönlichen Erfahrungen

    Habeck übersetzt das freilich auf deutsche Verhältnisse, wo etwa die Ehe für alle oder die Hilfe für flüchtende Menschen eine Entfremdung so mancher Anhänger traditioneller Werte von der Politik bewirkt habe, die sich im Wandel der Gesellschaft nun nicht mehr als deren Mehrheit empfanden und bedroht fühlten. Er berichtet dabei wie immer von persönlichen Erfahrungen: Wie ihm ein Passant am Bahnhof sagt, einen wie ihn sollte man erschießen; wie ihn einer im Zug beschimpft und nicht als Nachbarn haben will, woraufhin dem Politiker aber die anderen im Abteil zur Hilfe kommen; wie er schließlich als den Kohlebergbau abschaffen wollender Grüner die Wut der Kumpel zu spüren bekommt und versteht, dass es unabhängig von der politischen Haltung und Sachentscheidungen darauf ankomme, die Lebensleistung der anderen anzuerkennen und deren Gefühle zu respektieren …

    Darüber landet Robert Habeck aber dort, wo auch in den USA nun Trump-Nachfolger Joe Biden seine Lösung angesiedelt hat. Was der nämlich als „Unity“ beschworen hat, als Einheit aller unabhängig der Parteizugehörigkeit demokratisch Gesinnten, heißt bei dem deutschen Grünen eben: Das neue Verständnis von Macht für die künftige Gesellschaft sei „die Macht des Miteinander“, eine „dialogische“ Macht. Die Grundlage müsse bei aller Gegnerschaft in der Sache „das Einvernehmen“ über demokratische Prinzipien in Politik und Gesellschaft sein.

    Ein Weg zur Rettung der demokratischen Mitte

    Die Lehre der Liberalen scheint zu lauten: Es ist die Stunde der Integrationsfiguren, der Politik-Erklärer. Laschet statt Merz. Und Robert Habeck, der so offensiv wie ostentativ auch (selbst-)kritische Meta-Politiker: Er schreibt aus den Lehren der gesellschaftlichen Spaltung heraus auch den Ideologen der eigenen Partei, dass es im politischen Wettstreit um den richtigen Weg keine über den Diskus erhabenen Wahrheiten, keine moralischen Absolutheiten gebe – auch keine liberalen. Weil ein solcher Rigorismus doch wieder nur zu Herabwürdigungen, zum Ende des Dialogs, zu Feindschaft führten. Und weil Politik immer schon, aber in der durch Social Media aufgeheizten Atmosphäre heute noch mehr auch das Managen der Gefühle der Menschen sei, um diese einzubinden. Weil nur so die Rettung einer demokratischen Mitte noch möglich ist. Wenn schon das ehemalige, alle einschließende Wir-Gefühl nicht mehr zu bewahren ist, seit der gemeinschaftsstiftende Aufstieg im Wohlstand brüchig geworden ist, es im Paternoster-Prinzip für jeden Aufsteiger einen Absteiger gibt und damit Konkurrenz und Abstiegsängste. Wenn die Gesellschaft nur noch ein Neben- und Gegeneinander von Interessensgruppen ist, „tribalistisch“.

    Aber wenn Habeck hier in der Tendenz Rolf von Dahrendorf und Andreas Reckwitz zitiert und wenn er keilt gegen die identitäre Rechte, die auf diese Auflösung des einschließenden Wir mit dem ausschließenden Völkischen reagiert – dann muss man Habeck aktuell Caroline Fourest entgegenhalten mit ihrem Debattenbuch „Generation Beleidigt“ vorhalten. Untertitel: „Von der Sprach- zur Gesinnungspolizei“ – eine identitäre Linke nämlich spaltet ja samt großer, Anerkennung einfordernder Gefühlsaufwallungen nicht minder … Wie das alles managen und moderieren?

    Robert Habeck endet: „Wir können entscheiden, wie und was wir sein wollen. Wenn wir die Erosion der Demokratie, dem Vertrauensverlust in Politik, dem Auseinanderfallen Europas, der Erderhitzung entgegenwirken wollen, dann können wir das machen. Wir müssen uns nur dafür entscheiden.“ Klingt nach dem Motivationspathos eines Sven Voelpel. Ob dessen Worte wirken, aber hängt nur vom Glauben des Einzelnen, seinen Anlagen, seinem Glück ab. Bei Habeck verlangen sie Glauben an den Vermittler – und an eine Mehrheit der Bürger. „Von hier an anders“? Die Zukunft der liberalen Gesellschaft, ob es einen Jungbrunnen für die Demokratie gibt, das hängt von der Kraft einer Autosuggestion von Millionen ab. Unter den erschwerten Bedingungen, dass eine neue wirtschaftliche Blüte nicht zu erwarten steht. Ob da die Demokratie all den Zivilisationskrankheiten trotzen kann? Die Habeck, Laschets und Bidens setze auf: Ihre Moderationsfähigkeiten, Vertrauen und Gefühl. Entsteht daraus Politik für die Umbrüche des 21. Jahrhundert?

    Robert Habeck: Von hier an anders. Kiepenheuer & Witsch, 384 S., 22 Euro

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