Da ist er wieder. Als Jahrhundertfälscher bewundert, als Millionenbetrüger verurteilt. Jetzt, vier Monate nach seiner Haftentlassung, sitzt Wolfgang Beltracchi auf der Ledercouch einer Galerie in München-Schwabing, um über seine neuen Bilder zu reden. Über seine Gegenwart und seine Zukunft. Nicht aber über seine Vergangenheit. Zu der sei spätestens in den drei Büchern, die er in den vergangenen Jahren mit seiner Frau und Mittäterin Helene geschrieben hat, alles gesagt. Nicht umsonst heißt diese erste Ausstellung unter seinem eigenen Namen in Deutschland auch „Freiheit“.
Als wäre so eine Geschichte einfach abzuschütteln. Dieser Skandal, der die Kunstwelt erschüttert hat. 36 Jahre lang hat der Maler Wolfgang Beltracchi Werke teils berühmter Künstler wie Max Ernst und Max Pechstein, Campendonk, Molzahn und Léger gefälscht, sie mithilfe seiner Frau verkauft und so Museen und Sammler in der ganzen Welt betrogen. Bis er 2010 durch die chemische Analyse eines Gemäldes überführt und schließlich zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
"Gefälscht sind eigentlich nur die Signaturen", so Wolfgang Beltracchi
Wobei: gefälscht? Da muss Beltracchi eben doch noch mal über die Vergangenheit reden. Er sagt: „Gefälscht sind eigentlich nur die Signaturen. Ansonsten sind das meine Bilder, die ich in der Handschrift anderer Künstler gemalt habe und die ich auch nie bereuen werde, gemalt zu haben.“ Er streicht sich das lange Haar hinters Ohr, strahlt ungeheure Ruhe aus, redet locker, selbstbewusst. „Kopiert habe ich nie ein Bild. Das kann man sowieso nicht. Ein Gemälde ist einzigartig durch Zeit und Raum seines Entstehens. Es kopieren heißt, eine Postkarte abzumalen, eine Kopie besteht nur aus sogenannten Reuestrichen.“ Das ist ihm wichtig. Denn es hat auch etwas zu tun mit seinen neuen Bildern, die an den Wänden der Galerie hängen. Und die tatsächlich in manchen Fällen Ähnlichkeit besitzen mit dem, was Beltracchi als Fälscher gemalt hat. Was unterscheidet also die Vergangenheit von der Gegenwart – außer der neuen Signatur?
Zuallererst sind es die Lebensumstände des Künstlers. Er sagt: „Damals war ich reich und hatte meine Ruhe – jetzt hab ich Schulden und keine Ruhe mehr.“ 20 Millionen Euro Schaden wurden im Prozess festgestellt – durch 53 Bilder. Beltracchi sagt, er habe noch weitere 200 bis 230 gefälscht, werde aber sicher nicht sagen, für wen und welche. Zum Zeitpunkt der Verhaftung hatten er und seine Frau ein Vermögen von sieben Millionen Euro. So muss das Paar nun die Schulden durch Einkünfte abtragen.
Die kompletten Einnahmen aus den Büchern gehen in die Tilgung, ebenso die aus den Film- und Fernsehproduktionen um Beltracchi, bei denen er etwa für den Fernsehsender 3sat in fünf Folgen Prominente wie Harald Schmidt, Christoph Waltz und Gloria von Thurn und Taxis porträtiert hat. Vom Verkauf seiner Kunstwerke fließt die Hälfte noch bis Ende dieses Jahres an die Gläubiger. Die erste Schau seiner Werke als eigenständiger Künstler noch aus dem offenen Haftvollzug heraus in Bern sei nach zehn Tagen komplett verkauft gewesen, Gesamteinnahmen: 650000 Euro.
Wolfgang Beltracchi: Porträts für 50000 Euro
Die Bilder in München hätten darum jetzt bereits den doppelten bis dreifachen Preis, kosten im Einzelfall bis an die 80000 Euro. In der kommenden Woche eröffnet die nächste Schau in Bergsdorf bei Berlin. Und wer von ihm porträtiert werden wolle, könne das haben, „solange ich ihn nicht unerträglich finde“, sagt er. „Kostet 50000 Euro. Wartezeit sechs Monate. Ich weiß gar nicht mehr wohin mit all den Aufträgen.“ 30 bis 50 Mails mit Anfragen bekäme er täglich – und das seit langer Zeit schon. Darum mache er jetzt nur noch eine Porträtserie mit dem Schweizer Fernsehen, eine ähnliche Anfrage aus den USA sage er dagegen ab.
Da ist er wieder? Es klingt vielmehr, als wäre Beltracchi nie weg gewesen. Als wäre der Übergang vom Fälscher zum Künstler unter eigenem Namen nahezu schwellenlos verlaufen. Ist der Name als Marke etwa aus dem Skandal unbeschädigt hervorgegangen? Dass etwa der Bundesverband Deutscher Galerien jedem Mitglied mit dem Rauswurf gedroht hat, der Beltracchi ausstellt, wirkt jedenfalls wie ein einsamer Protest – den der verbandsfreie Betreiber der Münchner Galerie, Curtis Briggs, darum auch „übelste Zensur, fast im Stil der DDR“ nennt und ignoriert. Vielmehr hat der Skandal der Marke genutzt, weil renommierteste Experten nicht nur auf den Betrug des Künstlers hereingefallen sind, sondern auch dessen herausragendes Können immer wieder betont haben.
Beltracchi selbst bringt das auf eine einfache Formel: „Ich kann alle.“ Er meint: alle Künstler der Kunstgeschichte. Er könne sich deren Handschrift aneignen und damit eigene Werke schaffen. „Ich weiß nicht, warum, wahrscheinlich hochbegabt – und hochkriminell“, sagt er. „Wobei das Zweite ja jetzt wegfällt.“ Denn Fälschen will er nie wieder. Mit Blick vor allem auf den geschlossenen Vollzug sagt er: „Das ist kein Geld der Welt wert.“
Anfragen habe er durchaus erhalten. „Zum Beispiel von einem Kunstfonds aus Hongkong. Die haben mir für drei Bilder 25 Millionen geboten. Eine ausgeklügelte Sache. Die kaufen das, lagern es fünf Jahre in irgendwelchen Safes, bis die Verjährungsfrist für solche Vergehen abgelaufen ist, und bringen das dann auf den Markt.“ Aber nicht mit ihm. Wolfgang Beltracchi signiert nur noch als Wolfgang Beltracchi – „obwohl ich das eigentlich kaum kann“, sagt er und zeigt lachend auf die neuen Bilder. „Schauen Sie – überall sieht meine Unterschrift anders aus. Als müsste sie immer zum jeweiligen Bild passen.“
Und tatsächlich zeigen die Gemälde eine stilistische Bandbreite, wie sie sonst nur in Sammelausstellungen zu sehen ist. In Farbpaletten, Malgegenstand und Strich – hier erscheint alles Mögliche, was das frühe 20. Jahrhundert hergibt. Da ein Matisse, ein Degas, dort ein Gauguin, ein Delauny – eindeutig und doch anders. Denn über den Gauguin etwa legt sich eine Zeichnung im Stil von Picabia. Und hier, sind das nicht wieder Campendonk, Ernst, Léger, die berühmten Gefälschten? Aber Ernst vermischt sich mit einer Dürer-Zeichnung. Aber im Léger – was ist das? „Das sind die von Oskar Schlemmer entworfenen Tanzfiguren“, erklärt Wolfgang Beltracchi, der fast alle seiner Bilder so aufschlüsseln kann.
"Es gibt nichts Eigenes. Kann es nicht geben."
Nur der Fachmann kann ihm in jede Verästelung folgen, aber auch der Laie erkennt das Prinzip. Und stellt womöglich eine naheliegende, doch fatale Frage: „Und wann machen Sie mal was Eigenes?“ Oder sind so was vielleicht seine Porträts von der Tochter Franziska in der Ausstellung, die sich stilistisch eben auf keinen bestimmten anderen Maler beziehen? Da wird der Künstler entschieden: „Es gibt gar nichts Eigenes. Kann es nicht geben. Es gibt nicht mal eine wirklich eigene Handschrift. Weil alle durch Einflüsse dessen, was vorher war, geprägt sind, ob das nun offensichtlich ist oder nicht.“ Was Künstler im Auge des Betrachters und des Marktes meistens ausmache, sei vielmehr eine Wiedererkennbarkeit, vielleicht eine Unverwechselbarkeit, weil sie halt immer auf dieselbe Art malten. „Aber mir ist das schlicht zu langweilig, wie es mir auch damals zu langweilig war.“
Noch ein letztes Mal damals also. Diesmal reicht der Sprung viel weiter zurück. Beltracchi nämlich, geboren vor gut 64 Jahren als Wolfgang Fischer in Höxter/Nordrhein-Westfalen, stammt aus einer Künstlerfamilie. Der Vater war Restaurator, der Bruder hat im Gegensatz zu ihm sogar die Kunsthochschule abgeschlossen. Mit zarten 21 Jahren wurde er das erste Mal ausgestellt, mit drei eigenen Bildern im Münchner „Haus der Kunst“. Sie wurden verkauft, er habe zudem Angebote von Galeristen gehabt – aber alles abgesagt. Denn was er bereits 1971 begonnen hatte, fand er viel spannender.
Damals, mit seinem Schwager auf kleinen Märkten in Belgien auf der Suche nach alten Fundstücken, die sich dann mit Gewinn im Ausland weiterverkaufen ließen, hatte er eine Entdeckung gemacht: dass höhere Preise zu erzielen waren, wenn er die alten Werke noch etwas ergänzte. Das Handwerk hatte er von seinem Vater, über das Können verfügte er sowieso.
So fälschte er das erste Mal – und holte sich bald darauf nur noch die alten Bilder, um auf der historischen Basis ganz neue Bilder zu malen. Es war der Beginn jener künstlerisch abenteuerlichen, in Drogenexzesse und zu Millionenbetrug führenden Geschichte, die eben eines sicher nicht war: langweilig.
Die Ausstellung eröffnet am Freitag, 8. Mai, im „art room9“ in München und dauert bis 23. Oktober.