Ob die Männer diesem Schlafzimmerblick erlegen sind? Den weiblichen Rundungen und den Posen? Oder waren sie womöglich so sehr mit dem Studium der unzähligen Tätowierungen beschäftigt, dass ihnen dabei die erotischen Reize der grotesken Attraktivität ganz abhandenkamen? Otto Dix hat dieser Dame – Suleika heißt sie – 1922 immerhin eine imposante Kaltnadelradierung gewidmet. Sie ist Teil einer „Zirkus“-Mappe, die mit einer 50er Auflage im Eigenverlag erschien.
Wer die ätzenden Karikaturen des Malers aus Gera kennt, muss zugeben, dass „das tätowierte Wunder“ im Stil einer antiken Venus ausgesprochen gut wegkommt. Dix hatte einen Hang zu Außenseitern – dafür standen damals Tattoos. Er lenkte den Blick auf die Verlierer, die Abgestürzten, Krüppel, Prostituierten, Bettler und Heimatlosen. Wobei im Fall der Suleika sicherlich das Bizarre den Ausschlag gab.
Mit der "Schönmalerei" war es nach dem Krieg vorbei
Der 1891 geborene Künstler hatte im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft, sein grandioser Zyklus „Der Krieg“ (1924) ist ein schockierendes Zeugnis dieser Erlebnisse. Dass es mit der „Schönmalerei“ ein für alle Mal vorbei war, liegt auf der Hand. Und also wurde Dix zum schonungslosen Chronisten der 1920er Jahre, die sich nur für einen überschaubaren Teil der Bevölkerung als „golden“ erwiesen.
Wo ihm die kuriose Suleika untergekommen ist, ob im Zirkus Busch in Hamburg oder im Zirkus Sarrasani in Dresden, lässt sich nicht mehr klären. Doch wie man sieht, gab es die Dame wirklich – unter dem Namen Maud Arizona war die Tattookünstlerin um 1920 eine Berühmtheit. Selbstredend wurden von ihr auch werbende Postkarten gedruckt.
Dabei begann Mauds Leben ganz brav in der österreichischen Provinz: 1888 wurde sie in Löchau als Genovefa Weisser geboren. Es drängte sie früh in die Großstadt, nach Wien, wo sich die junge Frau als Hausangestellte beziehungsweise als Stubenmadl ihr Geld verdient hat. Dort lernte sie dann auch ihren künftigen Mann kennen. Die beiden Glückssucher gingen nach Berlin und Dortmund, wo sie auf den Schausteller und Tätowierer Rudolf Schulz trafen.
Suleika war eine Attraktion
Während ihr Gatte in den Krieg ziehen musste, wurde Genovefa – bald komplett mit Ornamenten und Zeichnungen übersät – Mitglied in Schulz’ Truppe. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Tattoo-Queen alle Blicke auf sich lenkte. Und Impresario Schulz wusste sie perfekt zu inszenieren und zu vermarkten. Maud Arizona alias Suleika wäre heute noch eine Attraktion, obwohl mittlerweile jeder Fünfte in Deutschland quasi fürs Leben gezeichnet ist.
Otto Dix hat den Varieté-Star übrigens auch auf einem Gemälde verewigt, das sich vermutlich in einer italienischen Privatsammlung befindet. Auf die Radierung trifft man dagegen in einigen wichtigen öffentlichen Sammlungen – und momentan noch in der Kunsthandlung von Alexander Kunkel, dem Münchner Spezialisten fürs 19. und frühe 20. Jahrhundert. Suleika hat dort allerdings ihren Preis.
- Kunkel Fine Art München, Prinzregentenstraße 71, Besuch nach Vereinbarung unter Tel. 089/21 86 90 34
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